Donnerstag, 20. Oktober 2016

Geballte Arroganz .... oder Gehirne auf zwei Beinen.

In den letzten Wochen war ich viel unterwegs. Auch auf zwei Kongressen, deren Publikum erst mal Neurologen waren.

Das ist ein Tweet, den ich nach einer Session getwittert habe, weil ich mehr als genervt war und er wird bis heute weiter gereicht:

"Don't talk about patients. Talk with the patients."
Redet nicht nur über Patienten, redet mit ihnen.

Es ist schon spannend, Ärzte zu beobachten, ihnen zu zuhören und das ganz ohne sich als Patient zu outen. Das Bild vom Patienten ändert sich rasend schnell, wenn man quasi gar nicht da ist.

Achtung, der Mensch mit der Erkrankung, quasi die Zielgruppe hört mit. Und das Sprichwort stimmt teilweise: "Der Lauscher an der Wand hört seine eigene Schand."

Gut, meine Schande habe ich nicht gehört, aber wie so manches Mitglied der versammelten Ärzteschaft denkt, schon. Und es entsetzte mich so mancher Kommentar.

Ich möchte vorausschicken, dass es auch Fachärzte gibt, die kompetent und vernünftig mit Patienten sind, menschlich und auch verständnisvoll. Nicht jeder ist doof. Genau wie bei uns Patienten, wo es sicherlich auch einige komische Exemplare gibt.

Aber, was einem da entgegen schlägt, ist teilweise richtig schlimm.

Wenn so über einen geredet wird, hört man viel über sich, was gar nicht stimmt. Zum Beispiel, dass wir zu träge sind, Vorschläge in Sachen Medikation oder Ernährung nicht sofort mit Jubelschreien begrüßen, sondern hinterfragen, das böse Internet dafür nutzen (gähn .... hörte ich jetzt nicht zum ersten Mal und ist ein alter Klopper) uns Infos zu holen, was an sich schon ein Vergehen ist und dass wir nie tun, was der Neurologe uns ansagt. Pöse Menschheit auch.

Das hörte ich während der ECTRIMS in London. Ich bin ein dummer, kleiner Patient und ja meine beiden Sitznachbarinnen, neben Euch saß eine Frau mit MS, deren Ohren immer länger wurden bei dem, was ihr Ladies so abgelassen habt. Mir ist klar, dass es nicht so angenehm ist, wenn man als Person mit MS einen eigenen Willen hat. Aber das, was ihr da losgetreten habt, ist extrem herablassend und unhöflich. Ist das üblich bei Kongressen, bei denen man sich quasi im geschützten Raum wähnt?

Ich kam mir vor, wie ein Gehirn auf zwei Beinen, das ab und an bei so einem Spezialisten anlandet, der dreht halt ein bisschen am Schräublein und gut is. Wirklich?



Was hält den einen oder anderen Neurologen (ich bleibe bei dieser Anrede, die auch für weibliche Kolleginnen gilt, aber ich mache mir das Leben hier einfacher) davon ab, menschlich und wertschätzend zu sein? Und nicht über den informierten Betroffenen zu schimpfen, der fragt und aktiv aufgrund eigener Recherche und der Informationen eines Arztes entscheiden möchte? Für sich. Weil er zufällig die Konsequenzen aus der Entscheidung trägt.

Mir ist klar, die Zeit und die Ressourcen sind knapp, aber was mich wirklich geärgert hat, ist das Gespräch über uns. Betroffene. Menschen mit MS. Und vor allem, das sehr vermeintlich wirkended Wissen über uns.

Ich hatte das Gefühl, dass man gar nicht interessiert ist, was da wirklich bei den Menschen mit MS passiert, was sie fühlen, machen oder denken. Und das stimmt mich nachdenklich. Wenn der Arzt nicht zuhört, wie kann ich sicher sein, dass er wirklich weiß, was ich möchte oder denke oder was mir wichtig ist? Wie kann ich in einer Zeit, in der wir über personalisierte Medizin diskutieren, sicher sein, dass der Arzt mir genau das empfiehlt, was gut für mich ist? Und kann ich sicher sein, dass am Ende alle Infos bei mir sind und nicht nur die, die andere für relevant für mich befinden? Hm.

Ich verstehe, jeder ist ab und an frustriert und muss Dampf ablassen oder lästern. Aber doch bitte nicht auf einem Kongress, bei dem Tausende von Menschen sind von denen man nichts weiß und unter denen auch die sein könnten, die am Ende die Zielgruppe, Betroffene sind. Was sollen die über so ein Verhalten denken? Ist das vertrauenswürdig? So öffentlich? Ich glaube nicht.

Und deshalb habe ich auch beim wissenschaftlichen Kommittee der ECTRIMS nachgefragt, ob es in dem ganzen Ärztetreiben nicht möglich wäre, ein Patientenforum einzurichten, das in einer Diskussionsrunde auf der wirklich großen Bühne mal die andere Seite zeigt. Ohne Lästern, aber mit klaren Ansagen und einer anderen Perspektive. Das Bild zeigt die große Bühne im riesigen Saal in London in diesem Jahr, gut, groß, es gibt auch noch "kleinere" Ausführungen, aber man muss sich ja Ziele setzen. ;-)



Nachdenkliche Grüße
Birgit



Text: Birgit Bauer
Bilder: Birgit Bauer
Copyright 2016


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