Zugegeben, es fiel mir erst spät auf, dass ich am 21. Januar 2020 meinen 15. Jahrestag mit dem ollen Fräulein Trulla feiern kann, soll, muss, darf. Was auch immer.
Ich saß so vor meinem Rechner und überlegte mir, ob ich etwas dazu mache und wie. Dann vergaß ich es wieder. Weil mir schlicht nichts einfiel, was ich machen könnte.
Dem Fräulein gefiel das gar nicht. "Ich will die mir zustehende Aufmerksamkeit", greinte das olle Fräulein so laut, dass das gestärkte Jubiläumsspitzenkrägelchen ihrer Bluse bedenklich ins Wanken geriet.
Sie lief vor Wut puterrot an und ich befürchtete, sie würde gleich explodieren. Was mir ehrlich gesagt schon mal gefallen hätte. Am Ende wäre ich sie sogar los geworden.
Tat sie aber nicht. Sie ist immer noch da. Und ärgert mich gerade ein bisschen in meiner linken Hand. Da ist ein Symptom, das ab und an aufpoppt. Dann habe ich in manchen Fingern weniger Gefühl und sie kribbeln. So gesehen, hält mich nicht auf, es ist links. Und ich bin Rechtshänder.
Als ich etwas später meine von der Physiotherapy gebeutelten und schmerzenden Wirbel in einem Rheumabad (ja auch ich werde älter :-) ) aufwärmte und entspannte, um den Schmerz rauszukriegen und vertieft in einer der Zeitschriften schmökerte, die mich immer inspirieren, war klar, was ich schreiben würde.
Es geht um Kriege. Kämpfe. Kämpfe, die ich nicht mehr führe.
In den sozialen Netzwerken, besonders in der MS Community auf Instagram sind es viel genutzte #. Die kämpfenden, kriegerischen Begriffe wie #mswarrior oder #msfighter.
Oft genug lese ich in Gruppen vom Kampf gegen MS und vom Krieg gegen die Erkrankung.
Ab und an habe ich dann blutrünstige Bilder in meinem inneren Kino. Grausam geht es da zur Sache und es gibt nur ein Ziel, den Feind, in dem Fall die Erkrankung, zu vernichten. Sie niederzukämpfen. Gewaltsam und mit äußerster Kraft. Alle Energie wird oft verwendet und doch bleibt die Frage nach dem Erfolg offen.
Das ist deprimierend. Frustrierend und raubt einem die Energie, die man in Dinge stecken sollte, die es wert sind. Es erschöpft. Saugt aus. Ja ich weiß, MS wegzukriegen, wäre es wert. Aber ehrlich, geht halt nicht. Das ist die pragmatische Sicht der Dinge. Wir können dennoch viel für uns tun. Für uns. Ohne Kampf und Energieverbrauch, der alles das, was da ist extrem überschreitet.
Über die Jahre habe ich viel über mich gelernt. Und über andere. Oft genug - und wir mit MS kennen diese Vorurteile schon zur Genügen - müssen wir uns diverse blöde Sprüche anhören, für unsere Rechte einstehen, uns informieren, wir werden ausgeschlossen und viele andere Sachen mehr. Das Leben mit MS kann verdammt anstrengend sein. Es ist manchmal wie ein zweiter Job.
Was ich auch über die Jahre gelernt habe ist, dass die Energie, die ich besonders am Anfang aufgewendet habe, um gegen MS anzugehen, gegen sie zu kämpfen, verschwendete Energie ist. Eine, die mich auslutschte, denn es war wie ein nicht enden wollendes Laufband. Ich lief und lief und lief und irgendwann klappte ich zusammen. Weil ich mich selbst ausgelutscht habe. Systematisch im Wahn, das Fräulein Trulla abzuschütteln, zu eliminieren und für immer auszulöschen. Die MS wurde ich aber nicht los.
Über die Jahre hinweg habe ich gelernt, dass diese Energie eine ist, die schlecht wirkt. Auf mich. In dem verbissenen Bemühen, eine Lösung für ein Leben ohne MS zu finden, habe ich mich irgendwo selbst vergessen. Dann war da dieser Moment. Der, in dem sich alles änderte. Ein Arzt erklärte mir während eines Schubes der Extraklasse:
"Du kannst im Moment nichts gegen MS als Erkrankung tun weil du sie nicht los wirst im Moment. Aber etwas für dich, damit du bei Kräften bleibst und dein Leben dennoch lebenswert ist!"
Er meinte damit weder eine Therapie oder so, sondern gab mir den gut gemeinten und wertvollen Tipp, mich um mich zu kümmern, zu sehen, dass ich anfing mich wieder selbst zu mögen und mich in meiner Haut wieder wohl zu fühlen.
Das war zu dem Zeitpunkt nämlich gar nicht der Fall. Und ich war müde. Müde vom Dasein als MS Kriegerin, als Warrior und Fighter.
Damals habe ich mich entschieden, dem weisen Rat meines Arztes zu folgen. Ich hörte auf Krieg zu führen und suchte nach einer Lösung mit MS zu leben. So, dass ich mich trotzdem mit mir wohl fühle, zufrieden bin. Es ging um lebenswertes Leben, eine gute Balance und letztlich eben auch um Lebensqualität. Ich begann viel zu ändern.
Mich, mein Leben und Gewohnheiten. Etwas, was auch meiner Ehe gut getan hat. Und dem Herzblatt. Denn unsere Gespräche änderten sich, wurden vielfältiger und bunter. Irgendwann hatten wir wieder Spaß zusammen. Es kehrte Frieden ein. Wir lebten wieder. Wenngleich uns Trulla irgendwie immer begleitet. Mehr oder weniger. Wir haben beide verstanden, dass es an uns liegt, wieviel Raum wir der MS geben.
Wenn ein Schub kommt, was bei mir echt übersichtlich ist, bekommt sie natürlich den Raum, sie nimmt ihn sich. Aber dennoch stehen wir zusammen und grenzen auch hier die Verfügbarkeiten ein und tun uns gut.
Ich habe gelernt, mit dem zu leben was da ist, einen Weg zu finden, der für mich machbar ist. Ein Weg, der friedlich ist (meistens) und der mir auch ermöglichte mich selbst zu finden und zu mögen und die Grenzen sanft, aber nachhaltig auszudehnen. Etwas, was ich mittlerweile echt gut kann. Das macht mit stolz, denn ich habe mir über die Jahre viel zurück geholt. Mein Rad ist nur ein Beispiel.
Kämpfen können die Forscher, sie haben die Möglichkeiten aus Forschungsergebnissen Rückschlüsse zu ziehen und etwas zu finden, das der Erkrankung den Garaus macht. (Veröffentlichen sollte man die Ergebnisse von Studien aber besser, öfter und einfach auffindbar, daran hapert es manchmal gewaltig.)
Meine Aufgabe ist es, mein Leben sinnvoll zu gestalten, es gut zu leben wenn es geht und meine Energie so zu investieren, dass es mir damit gut geht. Das ist besser als verbissen zu kämpfen. Weil was übrig bleibt, das wertvoll ist. Momente, Erinnerungen, das Lachen, Vertrauen und Zuversicht.
Der Zeitpunkt an dem ich mein Leben fortsetzte anstatt weiter Energie fehl zu investieren, war der Zeitpunkt, als ich wieder anfing mein Leben zu mögen. Klar gibt es Tage, die sind schlicht nichts für den Kalender, sondern für den Mülleimer. Dann bin auch ich matschig und krank. Suhle mich ein wenig in meinem Elend, wälze mich in Selbstmitleid, stehe aber auch wieder auf und mache weiter.
Weil ich nicht für MS lebe. Sondern für mich. Und das ist das Wichtigste.
Nachdenkliche Grüße
Birgit
Text: Birgit Bauer
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