Ich bin im Moment ein bisschen ruhiger. Das liegt daran, dass wir vor einem halben Jahr beschlossen haben, unser Erdgeschoß zu renovieren. Sprich Esszimmer und Wohnzimmer auseinandernehmen und neu zu gestalten. An sich eine schöne Sache, aber fängt man erst einmal an, wird es immer mehr.
So endeten wir von "ein neuer Boden und neue Farbe an den Wänden inklusive neuer Möbel" bei einem smart home, jeder Menge Staub und Dreck inklusive neuer Schlitze für neue Leitungen, Schalter und jeder Menge elektronischem Gedöns. Aus ein bisschen Renovieren wurde eine Aktion, die es echt in sich hat. Weil auf einmal viel nicht mehr funktioniert, Leitungen sind unterbrochen und liegen ungeschützt brach.
Mein Haus hat einen Schub.
Ich stand dieser Tage also vor jeder Menge offener Leitungen, produzierte ein neues Puzzle und als ich so überlegt habe, was da grad passiert, dachte ich nur so: Mein Haus hat MS.
Die Analogie gefiel vielen und ich bekam viel Anfragen, ob ich das noch ein bisschen ausführen könne, weil man damit natürlich einen Schub beschreiben kann.
Es folgt also der Versuch eine Analogie in eine Erklärung zu bringen, wie so ein Schub ist.
Wir haben uns auf die dunkle Seite geschlagen, haben wie MS gewütet. Wir haben bewusst Funktionen eingeschränkt, indem wir Lichtschalter entfernt haben, wir haben ganze Schlitze in die Wand gehauen und damit die Hülle aller Leitungen beschädigt. So gesehen, wir waren MS. Sie beschädigt auch Leitungen, Nervenbahnen um genau zu sein und damit schränkt sie einen ein. Unterbricht die Leitung und die Konsequenz für uns ist, dass wir diverse Dinge nicht mehr tun können. Also zum Beispiel die Fähigkeit zu Laufen oder etwas zu greifen.Unser Haus kann im Moment im Erdgeschoß nicht mehr selbstständig denken, die kognitiven Funktionen sind eingeschränkt, weil wir quasi in den Gehirnarealen aktiv sind, die eine Heizung am Laufen halten oder dafür sorgen, dass wir ein Licht einschalten können.
Der Umstand, dass wir das Parkett im Erdgeschoß entfernt haben und derzeit noch auf blankem Estrich laufen, wäre bei uns schlicht schmerzhaft und sicherlich eine unangenehme Erfahrung mit MS. Schmerzen gehören zu den Symptomen. Vor allem, wenn Nerven blank liegen.
So gesehen: Nix geht mehr!
Deshalb haben wir jetzt wieder die Seiten gewechselt. Zuerst haben wir alle die Leitungen erneuert, die unser Haus braucht, um das Erdgeschoß wieder zu versorgen, wir haben so gesehen sowas wie eine Plasmapharese durchgeführt, also eine Blutwäsche, die bei besonders schweren Schüben stattfindet. (Mehr dazu gibts hier!)
Wir haben alles das, was kaputt war aussortiert, entsorgt und gereinigt. Jetzt bauen wir wieder auf. Unser Haus hat jetzt keine Schlitze mehr, die Nervenbahnen haben wir gezogen und wieder geschlossen, quasi dafür gesorgt, dass die bei Schüben empfindlich geschädigte Myelinscheide, wieder erneuert wird, damit die Verbindung wieder stimmt.
Die Erneuerung der Myelinscheide wird übrigens erforscht, wie dieser Artikel der Max-Planck-Gesellschaft aus dem vergangenen Jahr berichtet: https://www.mpg.de/17766409/strategien-fuer-die-regeneration-von-myelin
Ein neuer Boden wird dafür sorgen, dass die Nerven wieder schmerzfrei werden (und meine Füsse wieder gut auftreten können, wenn ich die Hausschuhe vergesse, weil ich nie Hausschuhe trage Zuhause, aber es ist nicht nett ohne im Moment).Der neue Putz und Wandfarbe sorgen für eine optimale Verpackung der Nervenbahnen, die dort versteckt in den Wänden für Strom und Wärme sorgen.
Eine radikale Kur und zugegeben, es macht keinen Spaß sich auf die Seite von Fräulein Trulla zu schlagen. Mir tut unser Haus ein bisschen leid, weil ich weiß, wie es ist, einen Schub auszuhalten und wie mühsam es ist, sich zurück zu kämpfen. Ins Leben. Aber wir geben uns Mühe. Auch weil es einfach schön ist zu wissen, dass eines funktionieren wird, wenn ich einen Schub habe und ein gutes Umfeld brauche, denn es wird einige Dinge geben, die smart sind und die mir auch überflüssige Gänge im Haus sparen werden. Wenngleich ich derzeit gut drauf bin und alles ok ist, ist es gut zu wissen, dass in Zukunft das eine oder andere Ding einfacher wird weil ich per App drauf zugreifen kann. Abgesehen davon finden wir beide das sehr spannend.
Die Reha!
Wir sind jetzt vom Zerstörermodus in den Therapiemodus gewechselt und das Rehaprogramm eingeleitet und sind jetzt Therapeuten. Wir leben in einem Zwischenmodus, zwischen neuer Mauer und Wandfarbe die schon strahlt, altem Estrich und Heizungsthermostaten, die an Leitungen herumhängen und mit Lichtschaltern, die wir im Keller betätigen müssen. Aber es wird langsam und mit jedem Tag kommt etwas zurück. Wir haben ein vollumfängliches Rehaprogramm gestartet und wäre es ein Mensch, würde ich sagen, wir reden über Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie, damit das wieder richtig klappt. Es könnten auch Massagen dabei sein, ein bisschen Bewegungstherapie oder Psychotherapie. Damit das alles wieder klappt.
Unser Haus muss sich jetzt erholen. Von dem Schub, den wir ihm verpasst haben. Wir sorgen dafür, dass es wieder "voll im Leben" ist, so das Motto des Welt MS Tages 2022.
Der Unterschied ist nur einer: Bei einem Mensch, der mit MS lebt, bleibt zu oft noch etwas vom Schub zurück. Unser Haus können wir wiederherstellen, verbessern und dafür sorgen, dass nichts zurückbleibt. Und das ist gut so. Ich muss mich auch erholen wenn ich ehrlich bin, das Fräulein Trulla zickt ein bisschen und wir arbeiten jetzt als Nächstes an meiner "Reha", sprich Urlaub. :-)
Und dem Haus hab ich versprochen: So schnell geb ich keine Trulla mehr. Deren Job ist lausig.
Schmunzelnde Grüße
Birgit
Bilder und Text: Birgit Bauer
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