Mittwoch, 9. Juli 2025

Körpersprache – wenn mein Körper spoilert

Bevor wir zum eigentlichen Thema kommen: Danke.
Für all die positiven Rückmeldungen zu meinem Artikel zum Welt-MS-Tag. Ich war überrascht. Und ehrlich gesagt: auch bewegt. Es ist schön, wenn Gedanken, die man so rausschickt, irgendwo ankommen. Und bleiben, diskutiert werden und Zustimmung erhalten und mir war nicht klar, wie viel Zustimmung da war und ist. Das Ding ist nur, diese Zustimmung ist leise, fast unsichtbar, weil sich diese Menschen bedauerlicherweise auch zurückziehen. Aus Gründen, die ich nachvollziehen kann, geht es mir doch ähnlich. 

Aber ja – ich hab auch anderes mitbekommen. Die leiseren Töne. Das Getuschel. So vermeintlich dezent hinter meinem Rücken. Geschenkt.

Ich sag’s, wie’s ist: Jeder darf eine Meinung haben. Auch eine andere als meine. Aber wenn’s was zu sagen gibt – bitte sagt es mir und nicht über mich. Offenheit ist Haltung. Und Haltung schätze ich.

Themenwechsel. Oder auch nicht.

Ich will heute über Körpersprache reden. Aber nicht über gekreuzte Arme und hochgezogene Augenbrauen. Sondern über die Sprache, die mein Körper spricht – wenn er etwas mitteilen will, bevor ich’s selbst kapiere.

In meinem Fall: ein zuckendes Auge. Es war im Mai in Brüssel. Ich war im  Europäischen Parlament. 

Bild: Patient and Citizen Network 


Also schon eine spezielle Sache, die volle Aufmerksamkeit erfordert. Weil das, was man sagt, Gewicht hat. Und ich war voll im Flow. Hielt eine Intervention zum Thema Europäischer Gesundheitsdatenraum. Ein Thema für das ich brenne. 

Und plötzlich: zack, mein Auge spielt verrückt. Es zuckt. Man könnte meinen, es war die Aufregung. Aber weit gefehlt. 

Das war ein Schub. Es war nicht das erste Mal, dass es mir in dieser Zeit passierte, aber ich bin Meisterin in der Ignoranz und kann sowas gut wegstecken. Bis zu einem Punkt. 

Fräulein Trulla hatte sich zu Wort gemeldet.

Für alle, die sie noch nicht kennen: Trulla ist meine MS. Und nein, sie fragt nicht, ob sie kommen darf – sie erscheint einfach.
Spießig, korrekt, mit orthopädischen Schuhen und belehrender Miene. Sie hat Timing wie ein Vorschlaghammer und ein Talent für dramatische Auftritte.

Dieses Mal war’s das Auge. Und ich?
Ich konnte nichts tun. Keine Brille absetzen. Nicht mal diskret reiben. Ich stand da, sprach weiter, tat, als wäre alles normal. Auch das kann ich. Fast so wie die olle Trulla. Wir sind talentiert. 
War es aber nicht. Also normal. 

Körpersprache. Und was sie uns sagen will.

Mein Körper hatte gesprochen. Und ich hatte zu lange nicht hingehört. Ich hatte überhört und ignoriert. Ich bin Meisterin der Ignoranz, obwohl mir klar ist, dass das meistens schief läuft. 

Ich war müde. Überarbeitet. Emotional überladen. Und wie so oft hatte ich gedacht: „Ach, das geht noch.“
MS ist nicht immer Drama – aber sie ist immer da. Mal still, mal laut. Mal mit kleinen Signalen, mal mit Nachdruck. 

Mein Arzt sagte: „Sie sollten langsamer machen.“

Ich rollte innerlich die Augen. Wie oft hab ich das schon gehört? Aber diesmal hatte er recht.

Denn mein Körper – und Fräulein Trulla – hatten längst gewarnt. Ich wollte es nur nicht wahrhaben.
Ich dachte: Ich schaff das schon. Ich will das. Ich kann das. Was an sich stimmt, aber eben auch tückisch ist. 

Was mich aber richtig stört?

Dass ich mich immer noch erklären muss, wenn ich absage. Dass Leute enttäuscht sind, beleidigt, irritiert – wenn ich „Nein“ sage. Dass es Menschen gibt, die glauben, ich würde Ausreden finden oder mich drücken wollen.

Nein. Wenn ich absage, hat das einen Grund. Und der ist meist handfest. Auch wenn er für andere unsichtbar ist. #butyoudontlooksick 

Ich wünsche mir, dass ich sagen kann: „Heute nicht.“ Ohne Diskussion. Ohne enttäuschte Blicke. Ohne misstrauisches Schweigen.

Ich möchte bitte weiter auch eingeladen werden – und ich möchte auch absagen dürfen, ohne abgewertet oder bockig nicht mehr eingeladen zu werden. Weil es ja zum Großteil wirklich immer klappt, ausser ich habe schon andere Termine im Kalender. 

Und manchmal frage ich mich, wenn jemand anders absagt weil er Rücken oder Magen Darm hat, darf der das, das wird akzeptiert, alles ist gut. Was ist also der Grund dafür, dass ich das nicht darf oder kann? 

Denn MS ist nicht weg. Sie steht ständig um die Ecke. Und wenn sie will, taucht sie auf. Ungefragt.
Mit Handtäschchen und vorzüglich sittlichem Trullaverhalten. Und dem Gefühl, jetzt sei genau der richtige Moment für eine Ansage.

Ich habe reagiert. Spät, aber ehrlich.

Ich bin langsamer geworden, habe mal auf alles gehört, was man mir sagte. Habe mich umorganisiert und mir Pausen ins Heft geschrieben. Ich bin präsent, aber nicht mehr immer verfügbar. Ich erlaube mir Pausen fürs Nichts tun. Fürs Abhängen. Und siehe da: Es wirkt.

Und es geht trotzdem. Auch mit weniger Zeit aber dafür einfach geplanter, effektiver und mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass es mit 80% eben auch funktioniert, in vielen Fällen zumindest. 

Ich kann wieder durchatmen. Faultiermäßig abhängen. Ein Buch lesen. Einfach mal abschalten.

Ich hab gelernt, dass mein Körper nicht spinnt – sondern spricht. Und wenn ich klug bin, höre ich zu.

Meine 5 Learnings aus dem Gespräch mit meinem Körper:

  1. Arbeit darf Spaß machen – auch mit MS.
    Aber sie darf nicht auffressen. Leidenschaft braucht Pausen.

  2. Ich darf mich selbst nicht vergessen.
    Ich bin kein Roboter. Ich darf atmen, fühlen, ausruhen.

  3. Ich darf absagen – ohne Schuldgefühl.
    Wer das nicht versteht, darf gern weiterziehen.

  4. MS ist kein Drama. Aber auch kein Witz.
    Sie ist eine Realität, die mitredet – und manchmal spoilert.

  5. Fräulein Trulla bleibt.
    Aber ich bestimme, wie viel Bühne sie bekommt.

Fazit?

Mir geht’s besser.

Ich höre wieder zu. Ich nehme mich ernst. Und ich lasse mich nicht mehr abstrafen, wenn ich auf mich höre. Ich setze Grenzen. Weil sie nötig sind, wenn jemand mal wieder voll auf der Leitung steht und die beleidigte Nummer gibt.

Mein Körper spoilert manchmal. Aber wenigstens ist er ehrlich. Und er zeigt, was geht und was hilft. Und das ist gut so. 


Birgit 


Text Birgit Bauer 

Bildnachweis siehe unter dem Bild direkt 

Copyright by Manufaktur für Antworten UG / Birgit Bauer 

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