Donnerstag, 26. April 2012

Nimm mich so, wie ich bin. Fertig!

Diese Botschaft bekam ich gestern. Und sie ist gut! Selbst wenn man sie schon kennt, ist sie immer wieder wichtig und spannend.

Nimm mich so, wie ich bin. Frag nicht, was ich habe, ich bin einfach so. Aber ich bin da, ich kommuniziere mit dir, nehme dich war. Auf eine eigene Art, aber dennoch ist es so. Ich kann nicht aus meiner Haut, habs mir nicht ausgesucht, ich bin so, wie ich bin, das musst du akzeptieren.

Diese Botschaft kam eher zwischen den Zeilen, behutsam und dennoch mit aller Kraft ... Gestern war ich unterwegs, um auf einem Bauernhof der Begegnung von Mensch und Tier zuzusehen. Eine Mission, die mir zum einen die oben formulierte Botschaft lieferte, Fingerspitzengefühl erforderte und mir eine Powerfrau bescherte, die ihren Bauernhof mit ihrer Familie in ein neues Konzept für die Zukunft umformt. Alles sehr spannende Aspekte, aber bleiben wir bei der Botschaft.

Nimm mich so, wie ich bin.

Kinder mit geistigen Behinderungen, Lernschwierigkeiten oder mit psychischen Problemen waren gekommen, um einfach zu sein. Das Mädchen, das mir zwischen den Zeilen sagte, kam selbstverständlich auf mich zu und erzeugte so Erstaunen. Sie ist Autistin und kommuniziert normal nicht mit Fremden. Sie führte ein Pony in Schäferhundgröße mit sich, kam zu mir, die ich gerade Fotos machte und mich umschaute, drückte mir die Führleine in die Hand, schaute mich einen kleinen Moment direkt an und dann kam: "Da, nimm du, brauch ich nich mehr"

Ich war baff. Mir wurde vorher schon erklärt, dass das Mädel eigentlich nicht spricht und wenn sie kommuniziert, dann eben bei den Tieren, die hier eine besondere Rolle als Vermittler und Cotherapeuten einnehmen. Sie nehmen ihre Gäste nämlich genauso, wie sie sind. Und dieses "Sein" dürfen ist es, das so wichtig ist. Nicht gegängelt oder Zeitplänen unterliegend, sondern einfach Sein.

Ein gegenseitiges Miteinander entstand, das mich veblüffte und das kleine, zickige Pony, das nun an mir herumzog, mich mit der Leine einwickelte, schnaubte und endlich auf die Wiese wollte, war jetzt erst mal bei mir.

"Musst du führen"

"Magst du nicht mehr"

"Nein, ich will ein Lama!" Ansage Ende. Nimm dieses kleine Geschenk, mehr gibts nicht. Nimm mich so, wie ich bin, sagte ihr Blick und dann verschwand sie wieder in ihre eigene Welt, redete mit den Tieren, die das beste Beispiel waren, wie das "Nimm mich einfach, wie ich bin" Ding funktioniert.

In diesen einen Moment, in dem das Mädchen ihre Welt verließ, mit mir sprach und mir den kleinen Hengst an die Hand gab, war kostbar. Das erfuhr ich auch hinterher von ihrer Betreuerin, die im Hintergrund blieb und ihrem Schützling freien Lauf ließ. Das Mädchen muss wohl Vertrauen gehabt haben um sich zu entschließen, mit mir Kontakt aufzunehmen. Ein ganz besonderes Erlebnis.

In der Zeit, in der ich da war, hatte ich spannende Erlebnisse, ich ging in der Gruppe mit und hörte zu, sah, wie sich die Gäste mehr und mehr entspannten. Auf einmal zottelten Lamas und Alpakas mit ihren kleinen Führern über die Wiese, lagen im Gras, bewunderten Frösche, lachten und quietschten und waren einfach. Ganz ohne Zeitplan, Regeln oder anderen Vorgaben. Einfach sein. Ohne ständig daran erinnert zu werden, eine Behinderung zu haben.

Einfach sein dürfen, den Moment genießen und das tun, was eben gerade wichtig ist, sich selbst pflegen. Den anderen eben so zu nehmen, wie er ist und ihm nicht sagen, wie er sein soll.

Eigentlich ganz einfach und doch so schwer, weil die Welt manchmal eben das "Einfach sein" nicht so einfach macht.

Für mich war dieser Tag gestern nicht nur Job, es war auch für mich einfach sein. Denn keiner fragte nach der MS. Klar habe ich sie und einige Besucher und Hofbewohner (Zweibeiner :-)) ) wissen davon, aber es war, wie schon einmal in Jobsachen, kein Thema. Es war klar, dass ich schon signalisiere, wenn mir der kleine Spaziergang beintechnisch nicht gelingen würde. Aber keiner fragte schon vorher, ob es gehen würde oder ob ich mich in der Lage fühle. Auch ich durfte auf einmal sein. Mit und ohne Spaziergang, der aber sowieso nicht so weit ging und auf guten Wegen war, sodass ich weniger Probleme damit hatte, weil Fräulein Trulla derzeit nur ganz selten zickig ist.

Wir waren eine Gruppe Menschen, die einfach miteinander eine gute Zeit hatte und am Ende erfreut über Kaffee und Kuchen herfiel und ein Sonnenbad genoss und nach einem Forschungsrundgang entspannte.

Es spielte keine Rolle, wer welche Erkrankung oder Behinderung hat. Jeder wurde so genommen, wie er eben ist. Sabberfäden wurden weggewischt, Hände gewaschen, jeder half jedem und alle waren froh.

Inklusiver hätte es nicht sein können und eigentlich ist es doch genau das, was wir "Großen" lernen können: Andere mit oder ohne Erkrankung oder Behinderung mal so zu nehmen, wie sie eben sind. Mit allen Schwächen und Stärken. Die haben wir doch alle ...

In Bewahrung eines kostbaren Nachmittags im Herzen

Birgit

1 Kommentar:

  1. Liebe Birgit,

    super Kolumne!Du sprichst mir aus dem Herzen!

    Glückwunsch,
    Jutta.

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