Mittwoch, 3. Oktober 2012

Was ist ein Leben wert?

Spannende Frage oder?

Als ich in der letzten Woche den Health Technology Assessment Course (HTA)  in London absolvierte, war das eine Frage, die uns vorgesetzt wurde. Es geht beim HTA darum, wie man die Entwicklung neuer Medikamente oder Therapieform einschätzt und ich habe eine Menge darüber gelernt, wie die andere Seiten, sprich Pharmaindustrie, Regierung und andere Beteiligte so denken. Es geht um Ökonomie, Menschen, Sachgründe und nicht nur um die Emotionen. Es geht darum, den Kosten - Nutzen Faktor oder eine sinnvolle Lösung für alle zu finden und zu entscheiden, ob man einigen wenigen Kranken ein neues Medikament zur Verfügung stellen wird oder lieber einer anderen Patientengruppe hilft.

Eine nicht einfache Sache, die mich ins Grübeln bringt. Als Patientin direkt und als jemand, der versucht, auch die anderen Seiten zumindest zu kapieren. Verstehen betrachte ich in dem Zusammenhang  als etwas anderes.

Und dann kam die Frage: Was ist ein Leben wert? Eine für mich nicht angenehme Frage, denn im selben Moment schießt mir die spontane Gegenfrage durch den Kopf: Sind wir Patienten weniger wert als die "Gesunden"? Es hinterlässt ein Gschmäckle. Irgendwie.

Und ja, sie ist voll von Emotion und Empörung.

Ist ein MS Patient wertvoller als einer, der nur noch eine Lebenserwartung von 3 Monaten hat? Ist es sinnvoll, kleine Patientengruppe zu versorgen, die vom Medikament einige gute Jahre mehr hätte, als eine größere Patientengruppe zu bedienen, die vielleicht einen größeren Benefit von der neuen Technologie hätte? Wer weiß. Was wäre die richtige Entscheidung. Rein wirtschaftlich betrachtet, ist der Fall klar, aber in menschlicher Hinsicht wirds schwierig.

Ethisch und moralisch sind diese Fragen unfair. Für uns Patienten. Für die Industrie oder Gesundheitsbehörden sieht es sicherlich anders aus. Hier spielen nicht nur voreingenommene Meinungen, dass geholfen werden muss eine Rolle, sondern auch die Frage nach Kosten und Wirtschaftlichkeit. Alle Faktoren sind zu betrachten. Weils eben auch um diese Themen geht. So hart es wohl ist und gefallen tut mir das als Patient auch nicht wirklich.

Denke ich als Patient, gehe ich innerlich hoch wie eine Atomrakete, bin getroffen davon, wenn man mir quasi ungeschönt die Frage nach dem Wert meines Lebens gegen den Latz knallt. Klar ist mein Leben etwas wert. Richtig viel. Es ist mir lieb und teuer und im Prinzip unbezahlbar. Mein Leben ist es wert, erhalten zu werden, verlängert, falls nötig oder auch verbessert. Ich hab mir mein Dasein als Patientin schließlich nicht ausgesucht.

Denke ich mich von einer anderen Perspektive an die Sache heran und beziehe den wirtschaftlichen Teil mit ein, dann sieht es tatsächlich anders aus. Was passiert vom wirtschaftlichen Standpunkt aus, wenn ich ein Medikament für einige wenige Menschen auf den Markt bringe und dafür einer größeren Gruppe zunächst nicht helfen kann?

Wie hieß es früher in Notfällen: Frauen, Kranke, Kinder zuerst.

Und heute? Wird nach Krankheit, Anzahl der Patienten und vielen Faktoren mehr gefragt, um zu einer Entscheidung zu kommen. Kommissionen oder Ausschüsse entscheiden und ich frage mich schon, wie gut sie wirklich über die tatsächlichen Umstände Bescheid wissen. Sicher: Man versucht ja, Patienten mit ins Gespräch zu holen, aber es bleibt irgendwie im Moment nur beim Versuch. Zuhören will, so mein Gefühl, nicht wirklich  jemand, weil hier Tatsachen in Prozesse einfließen, die so manche miese Seite einer Erkrankung zeigen, die man vielleicht nicht wirklich kennt. Oder kennen möchte. Wer weiß. Darüber an anderer Stelle mehr.

Die Frage nach dem Wert des Lebens ist wohl eine, die wir nie ganz beantworten können werden. Vielen ist ihr Leben viel wert, andere betrachten es wohl als Last, als Weg voller Trübsaal und Schmerz. Das sind persönliche Gedanken und Ansichten. Sie sind nicht objektiv, sondern verständlicherweise emotional und von der eigenen Persönlichkeit geprägt.

"Natürlich sollt ihr mir ein Medikament geben Ihr Idioten", wird mancher schreien und wüten, wenn er erfährt, dass sein Medikament mit der Begründung "unwirtschaftlich" vom Markt genommen oder gar nicht hergestellt wird. Ihm soll geholfen werden, das Leben soll leichter werden, an Qualität gewinnen. Ich verstehe das, niemand legt wohl mehr wert auf Lebensqualität als ich. Wird sie zu sehr eingeschränkt, werde ich ungemütlich.

Und dann die Frage: Ist das eigene Leben es wert, diese Hilfe zu bekommen?

Quasi "krankheitsfremde" Gruppen, die, wie oben schon erwähnt, auch Patientengruppen einladen, zumindest in einem bestimmten Teil des Verfahrens, entscheiden am Ende. Ob der Einfluss von uns Patienten aber ausreichend ist, um wirklich vernünftige Entscheidungen zu bewirken, das bleibt offen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er nicht genügt und eine lautere Stimme bräuchte. Und vielleicht wäre mehr Transparenz in den Entscheidungsgremien und in deren Vorgehensweise eine Entscheidung zu treffen, angebracht. Damit alle verstehen, was dem anderen das Leben wert ist und welche Faktoren, Zahlen, Daten und Fakten Entscheidungen wie diese beeinflussen.

Was ist ein Leben also wert?

Nachdenklich,

Birgit

1 Kommentar:

  1. Das ist wirklich eine schwierige Frage. Das hat man jetzt auch bei den sog. "Transplantationsskandalen" gesehen. Wahrscheinlich hilft am Ende nur größere Transparenz und die Beteiligung möglichst vieler Gutachter und "Betroffener". Soll man einer jüngeren Alkoholkranken eine Leber transplantieren, und falls ja, nach wie vielen Monaten Abstinenz? Soll ein lungenkrebskranker Raucher einen Lungenflügel transplantiert bekommen, wenn nicht sicher ist, ob der andere Lungenflügel völlig frei ist von Krebszellen?
    Die Betroffenen selbst wollen das auf jeden Fall -- (fast) jede/r hängt am Leben mit jeder Faser... Dann müssen die Gutachter entscheiden -- wie viele, und gilt dann eine Mehrheitsentscheidung?
    Nach irgendwelchen Kriterien wird man entscheiden müssen -- Alter, Schwere (Fortschritt) der Erkrankung, Gesundungsaussichten...
    Bei den nicht "tödlichen", aber fortschreitenden Erkrankungen wird es für die Forschung auch um die Zahl der Betroffenen gehen, einmal, um möglichst vielen helfen zu können, zum anderen aber auch aus wirtschaftlichen Erwägungen... Wenn ein neues Medikament vielfach verordnet wird, "lohnt" sich auch die Forschung...

    So viele Fragen -- und ganz schwierige Antworten,
    meint auch Jutta.

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