Sonntag, 26. Mai 2013

Einfach nur ein Job!

Ein Blick zurück nach Dublin. Ich war in der letzten Woche ein wenig eingespannt, daher geht es erst heute weiter.

Ein Thema der Veranstaltung war auch das Thema Arbeit. Freddie von Shift.ms formulierte es so: Klar wollen junge Menschen arbeiten. Andere bekräftigten das auch. Ja, wir MS Patienten wollen arbeiten. Und eigentlich ist es gar nicht so schlimm, einem MS Patienten Arbeit zu geben. Er wird sich bemühen, sein Bestes geben und dafür sorgen, dass alles gut läuft. Aber .... Als ich versuchte, einen Job zu finden, bekam ich immer wieder eine Absage. Was ich lernte ist: Offen zu sein und mit Ehrlichkeit zu arbeiten, bringt nichts. "Du musst dein Recht auf die Geheimhaltung wahren und leben", sagte mir damals eine Freundin, als ich ihr traurig berichtete, dass mir sogar in einer sehr angesehenen Institution, die immer für soziales Miteinander und Nächstenliebe wirbt, gesagt wurde, dass das "Risiko" in Sachen Ausfall zu groß sei. Nun gut, ich war in einem Alter, in dem hat man die ersten 10 oder 15 Jahre Arbeit hinter sich, man ist etwas abgesicherter. Aber in jungen Jahren, so nach der Schule, mitten im Studium? Was dann?

Ich erlebe auch immer wieder, dass MS Patienten ihre Erkrankung verheimlichen. Es ist dann eine Grippe, ein Infekt, ein mysteriöses Etwas, das nur eins vertuschen soll: Die Wiederholungsmöglichkeit.

Ich kenne auch Fälle, in denen MS Patienten fadenscheinige Kündigungen bekamen, weil sie zu lange krank waren oder etwas angeblich nicht stimmte. Selbst wenn man sich zurückklagen könnte, ich glaube, keiner möchte dort arbeiten, wo man nur darauf wartet, dass etwas wirklich Drastisches passiert, um endlich die Kündigung durchzukriegen.

In Dublin brachte Christoph Thalheim von der European MS Plattform (EMSP) das Beispiel der Schweiz: Dort wird miteinander geredet. Es gibt ein Case Management für MS Patienten, die gemeinsam mit Unterstützung der  Schweizer MS Gesellschaft den Patienten und alle beteiligten Parteien an einen Tisch bringt, um eine Lösung für die Beschäftigung des MS Patienten zu finden. Es geht darum, Patienten zu integrieren. Oft sind es nämlich Kleinigkeiten, die dem Patienten helfen, seine Arbeit wirklich gut zu machen. Möglichkeiten zum Ausruhen sind schnell eingerichtet, ein Arbeitsvertrag oder ein Arrangement, das Patienten und Unternehmer zufriedenstellt, kann verhandelt werden. Wenn man nur will.

Betrachtet man den demografischen Wandel, den Fachkräftemangel und die fehlende nachfolgende Jugend, wären solche einfachen Schritte wohl nicht die falscheste Lösung oder? Nicht jeder hat jeden Monat Schübe. Und ich kenne viele Patienten, die immer noch und trotz MS sehr leistungsfähig sind. Wir haben vielleicht manchmal einen anderen Rhytmus, eine andere Handhabe, wie wir etwas tun, aber wir leben genauso wie der Rest der Welt.

Weitere Punkte in der Präsentation kamen von der EMSP Frühlings Konferenz, in der genau der Job das Thema waren unter anderem:

Viele der Teilnehmer glauben, dass es extrem wichtig ist, dass Patientenorganisationen stärker in den Prozess der Arbeitsbeschaffungsprogramme und Arbeitnehmerprogramme für junge Menschen mit MS eingebunden werden sollten.

Ein weiterer Teil war der Meinung, dass Programme die junge Menschen in Selbstmanagement und Empowermentprogramme zur Selbstbestimmung sehr wichtig sind.

Jungen Patienten müssen Zugriff auf Sicherheit in Sachen Gesundheit, Leben und Finanzen bekommen, damit sie ihren Weg gehen können.

Um es noch einmal zu sagen: Junge Patienten wollen arbeiten, sowieso alle, oder die meisten, denke ich. Und Unternehmen sollten sich vor einem kategorischen Nein und einem Anfall aus Panik (die in dem Fall meiner Meinung nach nur dem Patienten zusteht) bewahren.

Indem sie sich informieren, gemeinsam mit Patienten, Vertretern von Gesundheitsorganisationen, der Krankenkasse, Ärzten und möglicherweise sogar Patient Advocats vernünftige Lösungen finden, die eines tun:

Dem Patienten eine Stück Leben, Selbstbestimmtheit und Lebensqualität geben. Und das Gefühl, gebraucht zu werden und nicht auf einmal am Rand zu stehen, nur weil er MS hat. Die sucht man sich im Normalfall nämlich nicht aus.

Und das geht. Es muss nur noch öfter passieren, das Wunder vom Job, das eigentlich keines sein sollte. Letztlich möchte man doch als junger Mensch auch seine Chance auf das Leben haben und dazu gehört Arbeit in den meisten Fällen.

Ich habe mich für die Selbstständigkeit entschieden und es war richtig. Ich bereue keine Minute. Meine "Chefin" ist, verständlicherweise, sehr sozial mir gegenüber und lässt mir auch Tage wie die letzten drei Tage durchgehen, wenn Trulla zwickt, sich in meiner linken Hand etwas austobt und mich ein wenig langsamer werden lässt. Und dennoch habe ich eine Menge geschafft. Es geht. Wenn man nur will. Ich sags nochmal, weil wollen, das müssen dann alle.

Welche Erfahrungen habt Ihr in Sachen Job gemacht?

Viele Grüße (auch von dat Trulla, soll ich sagen)

Birgit

4 Kommentare:

  1. Hallo, danke für das Schweizer Beispiel. Auch in Deutschland werden die Case Manager imme mehr und Unternehmen engagieren sich in diesem Bereich. Allerdings sind dies wirklich noch nicht viele und meist nur die Großkonzerne. Ich finde es gut, wie du damit umgegangen bist und wie du keinen Weg gehst. Ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft.

    AntwortenLöschen
  2. Hi Alex, klar gibts in Großkonzernen Casemanager. Das stimmt schon. Aber nicht jeder wohnt auch in der Nähe von selbigen Konzernen, sondern oft auch eher ländlich und dann wird die Sache eine andere. Nicht jeder ergattert auch dort einen Job. Was dann?

    In Zeiten, in denen wir noch über die Inklusion nachdenken, sind viele, so meine Meinung, nicht bereit über die Beschäftigung von chronisch Kranken nachzudenken. Klar gibt es Ausnahmen und das ist gut so, ich kenne auch einige Chefs und Firmen, aber es noch längst nicht in den Köpfen angekommen, dass man chronisch Kranke und ich bleibe hier mal in der Gruppe, durchaus nicht aufs Abstellgleis schieben sollte. Ich finde es schade und wünsche mir hier eine Änderung. Mehr Engagement für Menschen mit chronischen Erkrankungen. Danke für Dein Kompliment, Ihr macht einen tollen Job, ich lese mit! :-))) Alles Gute auch Dir!

    AntwortenLöschen
  3. Einfach nur ein Job ... wie viel schwieriger wird das jetzt wohl in der Region Hannover werden, wo seit heute ein MS-Patient als Verursacher eines Verkehrsunfalls mit zwei Toten vor Gericht steht. Ihm wird vorgeworfen, als ehemaliger Vorsitzender einer MS-Selbsthilfegruppe sehr gut über die Krankheit Bescheid gewusst zu haben (angeblich habe er sich selbst besser einschätzen können müssen) und "trotzdem" Auto gefahren zu sein. Er habe Bremse und Gas verwechselt, weil er kein Gefühl mehr in den Beinen hatte und ist in eine Gruppe Menschen an einer Bushaltestelle gefahren.

    Irgendwie machen mich solche Nachrichten bitter. Zumal, wenn sie über öffentlich-rechtliche Sender hereinkommen und sich zwar im Konjunktiv geäußert wird, aber keine weiteren Informationen mitgeliefert werden.

    Bleibt zu hoffen, dass das Schweizer Beispiel bei uns immer mehr Schule macht und sich Leute mit Neueinstellungen befassen, die sich mindestens in Ansätzen mit der MS auskennen.

    Ich habe zum Glück einen Vorgesetzten, der selbst einen MS-Fall in der Familie hat, daher weiß, dass wir manchmal einfach Pause brauchen und mir auch den Rücken freihält. Zum Glück packt er mich nicht in Watte sondern reagiert einfach schnell und in meinen Augen hervorragend darauf, wenn ich mich muckse.
    Ich wünsche mir mehr Leut, die sich informieren wollen, und nicht einfach vorverurteilen.

    AntwortenLöschen
  4. Hallo Sabine,

    schlimm ... Beides. Und ich glaube nicht, dass man als MS Patient es immer besser wissen muss. Kann man doch gar nicht. Es wird spannend sein, zu beobachten, wie sich die Dinge weiter entwickeln und wie neutral alles bleibt. Letztlich, so traurig das alles ist, es hätte auch ein "Gesunder" einschlafen können am Steuer, abgelenkt sein können oder was weiß ich.

    Daher wird es wohl an der Neutralität und an den gelieferten Infos liegen, wie sich da die Dinge entwickeln ...

    Und ja, mehr Menschen, die sich informieren, als generell mal zu vorverurteilen wären richtig gut ....

    AntwortenLöschen