Mittwoch, 2. Juli 2014

Das mit der Beule unterm Teppich

Esgibt Dinge, die mögen wir nicht hören. Sie gefallen uns nicht und sind meist mit zusätzlichen Aufwendungen, nervenden Entscheidungen und Konfrontationen verbunden, die uns nicht gut tun. Sie machen uns möglicherweise Angst, deprimieren und stellen uns vor Situationen, die nicht eben mal mit einem Schnipsen zu bewältigen sind.

Manch einer neigt dazu, das Gedöns mal eben unter den Teppich zu kehren. Teppich hoch, mieses Zeug drunter. That's it. Denkt man. Erst einmal ist es auch so. Die kleine Beule trampelt man locker nieder. Geht einige Male darüber und schon ist der Dreck unterm Teppich erst einmal glatt, begehbar und das Problem somit aus der Welt.

Doch, die Lösung wäre zu schön, um wahr zu sein. Der Dreck lagert sich nur gut ab und wird auch nicht weniger. Die Beule unterm Teppich ist aber irgendwann so groß, dass man darüber stolpert und ordentlich auf die Nase fällt. Meistens ist der Schmerz, das Elend, der Ärger und auch alles andere, das frustriert, größer als dam Anfang.

Es gibt viele Situationen, in denen wir so handeln. Dreck drunter, drübertrampeln und alles ist gut. Vorerst. Bis einer den Staub aufwirbelt oder die Beule zur Stolperfalle wird.

Als ich meine Diagnose bekam, war ich auch erst einmal dabei, mit einem dicken Besen alles unter meinen größten Teppich zu kehren. Funktionierte aber nicht.

Da waren Dinge, die ich nicht wollte. Allerdings ließ sich bei allem Protest nicht vermeiden, dass ich mich damit befassen musste. Weil es um mein Leben ging und um die Lebenqualität und meine Zukunft. Ich befasste mich mit den fiesen Seiten der MS und habe gelernt, dass es besser ist, sich dem Fiesen einmal zu stellen, es zu betrachten und zu kennen.

Als ich das erste Mal über Gehirnschwund informiert wurde, ging es mir wieder so. Ein gemeines Thema, weil es mir hart vor Augen führte, was so los ist und sein kann. Und auch in diesem Fall war es nicht vermeidbar, dass ich mich damit befasste und es noch immer tue.
Klar ist, es ist nicht schön zu hören, dass das Gehirn schrumpft. Im Entwicklungsprozess, den wir unser Leben hindurch mitmachen, ist das ein Vorgang, der bei jedem passiert. Unabhängit von der MS. Nur, dass es bei MS Patienten eben eschneller vor sich geht und das ist das Unschöne an der Sache.
Wer hörts gerne? Ich nicht und Ihr bestimmt auch nicht. Oder?

Ganz ehrlich, ich war einigermaßen geschockt. Zumal ich feststellte, dass keiner meiner bisherigen Neurologen das Thema, so unangenehm es auch sein mag, angesprochen hat.
Einer meinte vor Jahren, ich hätte in drei Jahren Matsch im Kopf statt eines Hirnes. Gut, das war weniger charmant und dieser Neuro ging als Ex in die Geschichte ein und Kommunikation war nicht seine Stärke. Mal abgesehen, dass er an seinem Zeitgefühl arbeiten müsste, die drei Jahre sind längst vorbei und würde er, könnter nicht sagen, wann was passiert, MS ist nicht einschätz- oder vorhersehbar.

Ich kehrte die Sache erst einmal unter den Teppich. Damals fehlte mir noch ein großer Teil des Wissens, das ich mir über die Jahre aufgebaut habe.
Allerdings, die Sache mit dem Matsch hat sich eingebrannt und ich fand Stück für Stück heraus, was der Matsch im Oberstübchen bedeuten sollte, allerdings, die Beule im Teppich war noch nicht groß genug. Vor ca. drei Jahren wurde das Thema "Gehirnschwund"  deutlicher und ich holte mir die berühmte blutige Nase. Bei einem Kongress kam es bedrohlich auf mich zu und setze sich neben  mich und wich mir nicht mehr von der Seite, das kleine Monster. Nicht nett. Aber durchaus wichtig. Ich lernte einige wichtige Dinge und was ich tun könnte und kann heute anders mit dem Thema umgehen.

Als ich dann neulich über genau diese Gehirnatrophie twitterte, erreichte mich eine Bemerkung: Es macht mir Angst. In einer anderen Konferenz, wo eben auch ein wichtiger Vortrag darüber lief, kam ein Kommentar: Warum sagt Ihr mir das? Ihr deprimiert mich, ich macht mich krank.

Hm. Ich verstehe es, es deprimiert mich auch. Klar wäre es angenehm, den Teppich aufzuheben und alles verschwinden zu lassen. Angenehmer als durch diesen harten Teil der Wahrnehmung zu müssen. Allerdings, was bringts denn?

Was bringt uns die berühmte Beule unter dem Teppich? Das ist eine Frage, die mich wirklich beschäftigt. Denn wenn ich eines gelernt habe dann, dass es nichts hilft. Früher oder später kommt das Thema auf und dann?

Verdrängen ist nur eine Zwischenlösung. Was aber hilft es, wenn ich einmal ein Auge darauf werfe, die Aufgabe erkenne, Lösungen suche, mich informiere und herausfinde, was ich tun kann?
Es wird besser, man wird, das ist jetzt meine Meinung, achtsamter mit sich selbst. Man passt ein bisschen besser auf sich auf und das schadet nicht.

Ebenso kann man sich Unterstützung holen. Menschen, die am Wegesrand stehen und nur darauf warten, einem eine helfende Hand, eine gute Information oder auch nur einen Moment der Entspannung zu schenken, der hilft, eine Entscheidung zu treffen. Das können Ärzte sein, die aufklären und es gibt solche, die es wirklich tun, Gruppen, Patienten mit mehr Erfahrung und anderem Blickwinkel oder andere helfende gute Geister.

Klar deprimieren mich diese Themen auch. Und ich brauche auch eine gewisse Zeit, um mir klar darüber zu werden, was der nächste Schritt sein könnte. Aber die Verdrängungstaktik ist eine, die nicht wirklich gut ist. Sie macht alles nur schlimmer.

Wie geht Ihr mit solchen Themen um? Informiert ihr euch oder habt ihr auch Stolperfallen unterm Teppich?

Wie geht Ihr mit Gehirnschwund um?

Nachdenkliche Grüße
Birgit



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