Mittwoch, 11. März 2015

Das Internet muss gelöscht werden!

Neulich war ich bei meiner Neurologin. Wir sprachen über dieses und jenes und darüber, dass ich ne Entscheidung treffen soll. Aber dazu noch in einem gesonderten Beitrag.

Der Aufreger war für mich der Satz, dass Patienten nicht in der Lage sind, Informationen, die sie aus dem Netz ziehen, ordentlich zu verstehen. Sie nannte es "verwerten".

Nicht das erste Mal, dass mir das passiert . Die Ärztin deckte mich mit einer flammenden Rede gegen das Internet an und erläuterte mir in allen Einzelheiten wie böse das Netz ist.  Sie verbietet allen den Umgang mit dem Netz. Ja, nö, klar.

Als sie Luft holte, schaute ich sie an und meinte: "Na ja, dann haben sie doch die richtige Gesprächspartnerin hier. Ich bin EPatient, Blogger und eine, die zum Beispiel Patientenorganisationen dabei unterstützt, ins Netz zu kommen und gute Infos zu verbreiten. Darf ich Sie fragen, was Sie über das Web 2.0 und Social Media wissen?"

Die Antwort war klar: Pauschales Aburteilen von Dingen, von denen sie nichts weiß.
Damit wir uns nicht falsch verstehen, sonst weiß ich meine Ärztin zu schätzen, die Frau ist es firm, was MS angeht. Bis auf den Fakt, dass sie einem gerne Vorträge hält und in ihr Fachchinesisch verfällt, dass dann keiner mehr so richtig versteht. Dann muss man sie mit sanfter Gewalt wieder einfangen und erden. :-) Das macht mir ja alles nichts aus, ich bin quasi irgendwie geschultes Personal. Aber pauschal über etwas zu urteilen, was man nicht kennt, das geht gar nicht.

Ich erinnere mich an letztes Jahr, an ein Kellerlokal in Barcelona, wo ich an einem Social Media Dinner für Patienten und Ärzte teilnahm und mich gefährlich mit zwei Neurologinnen aus Portugal anlegte. Die wollten das Internet auch löschen. Haben sie aber auch nicht geschafft.
Mir begegneten auch schon Ärzte, die selbst bloggen und in Social Media sind und die vernetzende und austauschende Wirkung der sozialen Netzwerke durchaus dafür nutzen, Wissen zu posten, das Patienten hilft. Richtige Vorgehensweise.

Aber es gibt sie eben auch, die die gar keinen Bock auf Netz haben, aber darüber schimpfen und ahnungslos urteilen wie die Rohrspatzen.

Und das geht gar nicht. Denn aufhalten kann die Entwicklung des Internets schon lange nicht mehr. Ganz im Gegenteil. Die Patienten sind schon lange da und organisieren sich in Gruppen, Netzwerken, sie tauschen sich aus, sammeln Infos und falls mal etwas nicht verständlich ist, fragen sie häufig noch einmal nach.

Patienten haben in vielen Fällen längst eine aktive Rolle übernommen und damit begonnen, für sich selbst zu sorgen. Auch im Netz. Längst sammeln viele Infos vor dem Arztbesuch, überlegen sich Fragen und möchten nicht mehr entschieden werden, sondern mit entscheiden. Und dazu gehören verständliche Infos nicht nur von einer Quelle. Der Arzt als einzige Infoquelle hat für viele ausgedient. Tut mir leid, das mal so klar sagen zu müssen, aber es ist so.

Und dann will man das Internet löschen. Schnauf ....

Doch was kann man tun? Ich hätte meiner Ärztin liebend gerne einen kleinen Kurs angeboten. Wäre ich an ihrer Stelle, nämlich mit (der Plausch im Wartezimmer offenbart viele Dinge .... :-)) Patienten konfrontiert, die längst die heimlige Arzt - Patienten Gemeinschaft verlassen und ihren Rahmen um das Internet erweitert haben, hätte ich mir Medienkompetenz erarbeitet. Und ja, der Begriff ist an sich extrem abgenudelt, aber in dem Moment passt er. Kompetenter Umgang mit den Medien oder mit #Neuland ist keine Kür mehr. Schon längst ist es Pflicht. Nicht nur für Docs. By the way.

Neben der Medienkompetenz könnte meine Ärztin auch selbst teilnehmen, dafür sorgen, dass die Informationen, die sie nicht gut findet, durch ihre Informationen verbessert werden, die Qualitätsstandards in geposteten Fakten im Sinne von Patienten steigen. Ein Blog, eine gute Fanpage, das wärs schon. Einfluss nehmen anstatt bitter beklagen. Mitmachen statt schimpfen.

Und ja, damit sind wir dann auch beim Faktor Zeit. Ich verstehe, Ärzte sind viel beschäftigte Menschen. Das sind Patienten übrigens auch. Wir alle müssen unseren täglichen Routinen nachkommen, arbeiten, uns organisieren und mit der Erkrankung leben. Jeder auf seine Weise und ja, wir haben auch alle ein Privatleben. Dieser Faktor trifft uns also auch alle. Und doch schaffen wir es, ins Netz zu gehen. Der Faktor Zeit ist natürlich einer, der gut verwaltet sein will, keine Frage, aber wann man mag, schafft man es, sich einen Moment einzuplanen und zum Beispiel ein Blog zu schreiben. Muss ja nicht täglich sein. Und ein gutes Beispiel ist der DocBlog von Prof. Dr. Mathias Mäurer, der von Amsel e. V. ins Leben geholt wurde: http://www.ms-docblog.de/ 

Was ich damit sagen will ist, dass es durchaus Lösungen gibt und dass ich die quasi im laufenden Betrieb schon sehen konnte. Wichtig für Patienten ist es, dass die Informationen, die sie vorfinden, wirklich gut sind und ja, es gibt eine Menge Schrott im Netz. Das lässt sich nicht verhindern, aber mit gutem "Stoff" könnte man vorbeugen.

Es ist jedoch die falsche Vorgehensweise, sich nur bitter zu beschweren.

Warum nicht mit Patienten Blogs aufbauen? Warum nicht ihre Fragen aufgreifen? Wieso nicht uns Blogger fragen, die wir schon da sind und mit uns zusammenarbeiten? Gastbeiträge in bestimmten Umfängen sind den meisten willkommen.
Es gibt Mittel und Wege, Informationsstandards qualitativ zu verbessern. Vielleicht nicht immer auf den ersten Blick, ein bisschen um die Ecke muss man denken, kreativ werden.


Das Internet kriegen wir jetzt nicht mehr gelöscht. Der Zug ist längst aus dem Bahnhof. Aber wir, das heißt alle, die an Erkrankungen irgendwie beteiligt sind, können gemeinsam dafür sorgen, dass das, was im Netz so steht, ansprechender, verständlicher und vor allem, hochwertiger wird.

Oder?

Nachdenkliche Grüße
Birgit



Bild: Birgit Bauer
Copyright by Birgit Bauer

1 Kommentar:

  1. Bravo, Birgit!
    Doch warum soll es unter den Ärzten nicht auch solche geben, die sich über Dinge beschweren, von denen sie nicht viel Ahnung haben. Schade, aber wahr. :cry:

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