Donnerstag, 21. Januar 2016

11 Jahre mit dem Fräulein

Guten Morgen,

ich sitze hier in London und nehme an einer Konferenz teil, die sich damit befasst,
was man an Social Media für Patienten oder mit Patienten besser machen könnte, oder was man so brauchen würde.

Gestern hatte ich dazu eine Diskussionsrunde organisiert, die wirklich klasse war und ein wenig aufgeweckt hat.

Heute ist der Tag, an dem ich wie jedem Jahr aufwachte und an das olle Fräulein dachte. Heute sind es auf den Tag genau elf Jahre, die wir durch mein Leben gehen.

Happy Birthday olles Biest.
Ich könnte natürlich schreiben, was damals passierte und die Ode an den totalen Crash in meinem Leben singen, aber darauf hab ich irgendwie wenig Lust.

Vielleicht liegt es daran, dass sich so eine Diagnose immer dramatisch anlässt und es ohnehin danach erst einmal überhaupt nicht läuft. Was kein Wunder ist.

Was mich am meisten beeinträchtigt hat? Dass sich mein Umfeld, nachdem ich es einigen Leuten erzählt habe, veränderte. Mir passierte das, was eine frisch diagnostizierte Patientin mir vor einigen Wochen  erzählte. Man verliert Menschen. Menschen, die nicht damit klar kommen, dass man jetzt chronisch krank ist. Solche, von denen man nie glaubte, dass sich die Beziehung so verändern oder gar abbrechen würde. Menschen, die einem nahe stehen und deren Verlust weh tut. Und den man nicht versteht. Könnte ja ansteckend sein, so eine MS. Ist sie aber nicht. Und manchmal ist man überfordert mit dem, was da passiert.

Aber es passiert. Und man kann solche Dinge nicht aufhalten. Diese Menschen auch nicht und letztlich sind sie es, die etwas verpassen. :-) Im Laufe der letzten 11 Jahre ist eine Menge passiert. Wir haben viel erlebt, das Fräulein Trulla und ich. Und einig sind wir uns ohnehin grundsätzlich nicht. Allerdings habe ich verstehen gelernt, dass es auch an mir liegt, wie ich mit ihr umgehe. Ich hätte mich quasi in mein Elend als Patientin ergeben können. Hab ich aber nicht. Im Gegenteil, ich beschloss, dass ich keine Lust habe, mich von der MS durchs Leben leiten zu lassen. Ich lebe. Mein Leben. Und nicht die MS. Meine Erfahrung sagt mir heute, dass es einfacher gewesen wäre, für die eine oder andere Person in meinem Leben, wäre ich auf den Status "Patient" beschränkt geblieben.

Aber ich bin zuerst ein Mensch. Ich bin Birgit. Und ich lebe weiter. Patientin bin ich dann, wenn ich erkältet bin oder mich etwas anderes plagt. Ich ziehe es vor immer noch zuerst ich zu sein. Die, die mit einer lebenslänglichen besonderen Begleitung unterwegs ist. In Englisch sagen wir oft: We are Persons living with a long life condition.

Heute lebe ich 11 Jahre mit dieser lebenslänglichen Bedingung. Und ja, manchmal schränkt sie mich ein. Manchmal könnte ich schreien und es gibt die Tage, an denen ich auch so meine Probleme habe. Physisch wie psychisch.

Aber: Ich habe dennoch ein gutes Leben. Immer noch oder vielleicht grade deshalb, weil ich bewusster lebe. Anders wahrnehme und gelernt habe, auch die kleinen Dinge zu sehen und sie zu schätzen. Oft genug vergessen wir sie und sind vielleicht sogar ein bisschen undankbar.
Ich bin über die Jahre auch ab und an ein bisschen unbequem geworden, habe gelernt, auf mich zu achten und auch Nein zu sagen, wenn etwas nicht geht. Übrigens etwas, dass wir unabhängig von irgendwelchen Erkrankungen öfter tun sollten. Man möchte es nicht glauben, aber es geht tatsächlich. :-)

Wie auch immer, so ein Fräulein Trulla bedeutet nicht unbedingt immer sofort nur Schlechtes. Wenn man sich ein bisschen einlässt, lernt Unterstützung anzunehmen und sich neu ausrichtet, kann man auch viele gute Dinge erleben und Spaß haben. Wollen muss man halt und das kann ein steiniger Weg sein, oder ist es. War es für mich am Anfang auch. Aber heute, 11 Jahre später, weiß ich, dass es eben anders geht und dass jeder Stein, den ich aus meinem persönlichen Weg räumen wusste, es wert war.



Mal sehen, was ich im nächsten Jahr zu erzählen weiß. Jetzt geht das Jahr richtig los und ich mag es jetzt schon. :-)

Habt einen schönen Tag.

Liebe Grüße
Birgit






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