Mittwoch, 25. Mai 2016

Selbstbestimmt leben - Gedanken zum Welt MS Tag ....

So ein Leben wünscht sich doch jeder oder? Selbstbestimmt.

Welch großes Wort. Selbst zu bestimmen, was man tut. Entscheidungen treffen. Ganz alleine. Für sich.



Als ich darüber nachdachte, über dieses "selbstbestimmt" kamen mir viele Gedanken. Selbstbestimmt fängt oft in kleinen Dingen an, wie einem Spaziergang, bei dem ich die Richtung einschlage, der Entscheidung, was ich heute frühstücke oder anziehen möchte.

Aber für mich ist selbstbestimmt mehr. Viel mehr.
Als ich quasi in mein "neues" Leben mit der MS schritt, war gar nix selbstbestimmt. Die Ärzte wollten mir sagen, was ich an Therapien zu nutzen habe, andere aus meiner Familie wollten mir sagen, was ich zu essen, oder wie ich mich zu verhalten habe als Patient, wieder andere wollten von mir, dass ich mich dem Leben als "arme Patientensau" hingebe und wieder andere wollten bestimmen, wann ich was über meine MS sage.

Das war echt übel. Und kam mir gar nicht entgegen. Denn: ich bin sehr oft ein sehr großer Freigeist und ab und an werde ich zum Revoluzzer, wenn mir jemand diktieren will, was ich denken soll oder mir aufdrückt, wie ich mich verhalten soll oder mir einreden möchte, was ich tun soll.

Mal abgesehen davon, dass ich nicht aufgebe, wenn es darum geht, für mich selbst zu sorgen. Was ab und an sogar als purer Egoismus abgetan wird.

Aber gut. Zurück zum Motto.

Selbstbestimmt leben musste ich echt erst wieder lernen. Es bedeutet für mich nämlich auch selbst zu entscheiden, abzuwägen und zu bestimmen, welche Richtung ich gehen möchte. Selbstbestimmt leben ist für mich gut informiert zu entscheiden und meinen Weg gehen zu können. In allen Bereichen des Lebens.

Um selbstbestimmt leben zu können braucht es aber mehr. Ein Punkt sind die gängigen Vorurteile der Menschen ohne MS und es tut mir leid, das zu sagen, aber es gibt genügend Studien die deutlich machen, wie bekannt MS wirklich ist. Oder was die Gesellschaft wirklich drüber weiß.

Sagen wir es kurz und knackig: Mit MS landet man nicht zwangsläufig im Rollstuhl, tut man es doch, verlernt man aber nicht Mensch zu sein, MS ist auch kein  Muskelschwund, nicht ansteckend und derzeit nicht heilbar, weil man die Ursachen noch immer erforscht und diversen Theorien nachgeht. Und MS ist keine Erkrankung, die zwangsläufig dazu führt, dass man abdreht. Ok?

Das sind die Barrieren, die das mit dem Selbstbestimmten nicht unbedingt vereinfachen. Ehrlich. Wer mag es schon, als Betrunkene hingestellt zu werden, nur weil man schwankt? Aber Vorurteil ist eben einfach. Und so schön.

Selbstbestimmt leben heißt auch, Chancen bekommen und wahrnehmen zu können.



Sprich: Gebt den Patienten eine Chance für einen Job.

Menschen mit MS sind weder ungebildet noch doof. Sie haben eine Ausbildung genossen, sich Fähigkeiten und Kenntnisse erworben und sind genauso qualifiziert wie viele andere auch.
Und doch landen viele in der Arbeitslosigkeit. Schade eigentlich, denn hier werden Kompetenzen einfach mal so in die Tonne getreten. Und warum? Weil eine Rampe nötig wäre, eine mobile Klimaanlage für ein Büro oder eine Pause mehr oder eine Reduzierung der Arbeitszeiten?
Dinge die machbar sind und über die wir nachdenken sollten, denn einerseits wird der Fachkräftemangel beklagt, andererseits lehnt man Menschen ab, die es könnten und wollen, aber MS haben. Hm.



Auf der anderen Seite ist selbst zu bestimmen auch Wissen. Wissen über das, was man entscheiden soll und das geht jetzt mal alle die an, die Patienten informieren können: Patienten brauchen Infos. Sie treffen Entscheidungen für ihr Leben. Helft mit neutralen, objektiven und verständlichen Infos mit, dass Patienten richtig entscheiden können, dass sie neugierig werden und sich interessieren. Und das geht alle an, die über Patienten reden. Alles klar oder? Wissta Bescheid! Hoffe ich. Und ich werde da auch weiter stochern. Das ist ein Versprechen.



Und, last, but not least: Selbstbestimmt leben heißt auch es zu wollen.

Mal offen gesagt: Den Arsch hochkriegen und losziehen und für sich einstehen. Nicht immer einfach, ich weiß. Aber sich von einer Erkrankung wie Multiple Sklerose abschütteln lassen? Nein.

Das Leben ist zu kostbar als dass man es da in einer Sofaritze ablebt und nichts mehr für sich tut. Selbstbestimmt leben heißt, das Leben in die Hand zu nehmen, die MS als Chance zu sehen und den Blickwinkel zu verändern. Sich selbst verändern natürlich auch.

Als ich anfing, selbst zu bestimmen, war das für viele irgendwie ein Schock. Ich entsprach nicht mehr den Erwartungen, was mir Abschiede bescherte und was zuerst unangenehm war, aber am Ende auch erleichterte, weil ich Ballast abwerfen konnte. Das brauchte Mut. Klar. Und Kraft. Aber wenn ich heute zurückblicke, dann kann ich sagen, dass es sich gelohnt hat.

Sich frei zu machen von dem, was andere für einen wollen und zu sehen, was man selbst möchte und entsprechend zu entscheiden, war für mich eines der größten Geschenke, die ich auch bekam und die ich vor der MS so nicht kannte.

Ich habe in den letzten Monaten so viele andere Patienten kennen- und schätzen gelernt. Mutige Menschen, die, wie ich auch, ab und an auch mal im Loch hängen, aber immer wieder den Kopf herausstecken und weiter laufen. Sie alle haben mir eines mitgegeben und ich kanns nur bekräftigen:

Leben mit MS heißt nicht aufgeben oder am Ende zu sein.
Leben mit MS ist Veränderungen, Träume anders angehen, aber zu leben.
Leben mit MS geht. Wenn man will. Das ist die einzige Bedingung. Wollen. Nicht aufgeben, Träume wahr machen und nicht vergessen.

Ich wollte. Es war ab und an hart. Heftig. Scheußlich.
Aber das Ergebnis all der Mühe war klasse, großartig und ich würde es nie missen wollen, meinen Weg gegangen zu sein.
Weil mein Leben lebenswert ist.

Lasst Euch nicht von der MS bestimmen. Bestimmt selbst. Für Euch!

Liebe Grüße
Birgit


Copyright by Birgit Bauer 2016
Bilder: Pixabay.com

5 Kommentare:

  1. Tolle ehrliche Worte, wo ich mich ganz, ganz oft wiederfinde! Und auch was Vorurteile anbelangt kann ich Dich nur bestätigen! Weiterhin viel Kraft und vor allem Freude am Leben! Liebe Grüße Nicole

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    1. Liebe Nicole, vielen Dank für deine lieben Worte. Hast du deinen Artikel rausgelassen? Liebe Grüße Birgit

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    2. Huhu Birgit!....Ja. Heute früh - aktuell im blog! Vielleicht hast du ja Lust mal reinzulesen....Liebe Grüße Nicole

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  2. Erst dachte ich: "Was für ein blödes Motto!" Aber dann las ich, was du, Birgit, dazu geschrieben hast und es machte mich nachdenklich.

    "Leben mit MS heißt nicht aufgeben oder am Ende zu sein.
    Leben mit MS ist Veränderungen, Träume anders angehen, aber zu leben.
    Leben mit MS geht. Wenn man will. Das ist die einzige Bedingung. Wollen. Nicht aufgeben, Träume wahr machen und nicht vergessen."

    Seit ich im Pflegeheim lebe, bin ich in vielen Dingen 'fremdbestimmt', abhängig von der Hilfe anderer, aber ich gebe mich nicht auf, mache, was mir noch möglich ist. Und das ist SELBSTBESTIMMUNG!

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    1. Mutige und weise Worte meine liebe Katrin! Und ich fand das Motto auf doof. Zuerst. Ich bin da voll bei dir. Aber Selbstbestimmung ist eben mehr als zu sagen, wann man Frühstück kriegt oder so. Muss man aber auch erst mal sehen, ich hab da auch lang gegrübelt. Dir meinen absoluten Respekt und ganz liebe Grüße! :-)

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