Dienstag, 7. Juni 2016

Sprachlos ...

Letztens: "Ich bin überrascht. Ich dachte nicht, dass Patienten Informationen wollen!"

Ein Statement nach einer Veranstaltung, bei der ich als Patientensprecherin geladen war und bei der ich klar sagte, dass Patienten durchaus Informationen wollen, gar brauchen und auch immer wieder danach im Netz suchen. Das weiß ich zum Einen aus vielen Unterhaltungen mit Patienten und zum anderen sieht mans doch, wenn man aufmerksam im Netz surft.

Ehrlich gesagt, mir blieb etwas die Luft weg und das passiert selten. Ich erwog sogar, ob ich laut auflachen, oder schreiend davon rennen sollte.

Wie kann man annehmen, dass Patienten keine Informationen wollen?


Ich fragte zurück: "Warum glauben Sie, brauchen und wollen Patienten Infos?"

Die Antwort erspare ich mir hier. Nur soviel: Mir ist es schlicht zu unintelligent darüber zu diskutieren, welche Informationen mir und anderen Patienten generell zustehen und welche Informationen wir brauchen oder wollen, woher weiß jemand, was ich will, wenn ich es ihm nicht erzähle? Hm? Das bestätigt wie immer meinen Satz, den ich gerne mal von mir gebe:

Redet nicht über Patienten, sondern mit Ihnen.

Nur wer weiß, was wirklich in einer "Zielgruppe" benötigt wird, kann entsprechend agieren und auf einem wirklich aktuellen Stand sein. Und ich habe lange überlegt, ob ich das Thema hier ansprechen soll, aber ganz ehrlich, mir stinkt so eine ignorante und altmodische Haltung. Patienten sitzen schon lange im Social Media Zug, der im Übrigen schon aus dem Bahnhof ist und suchen Informationen überall und immer.

Hier also ein kleiner Wegweiser zurück in die Zukunft für alle die, die immer noch denken, Infos für Patienten wären überbewertet.

Ein bisschen Anatomie in Sachen Patient. Oder aber: Basiswissen.

Zuerst ein Bild, das sie sich im Kopf behalten. Sie kaufen ein Auto. Was tun Sie?

Und jetzt: Der Patient!

Patienten sind nicht als Patienten geboren.

Sie sind erst einmal als Mensch. Sie haben meistens ein Leben, einen Körper und sind meist vermeintlich gesund. Sie nur als Patienten zu sehen, ist also generell grundfalsch.

Das Leben wird häufig ziemlich unerwartet unterbrochen, wenn dieser Mensch eine Diagnose bekommt. Wie zum Beispiel MS. Unheilbar, ziemlich tückisch und oft nicht klar einzuordnen, weil es ziemlich viele Facetten der Erkrankung gibt.

Dieser Mensch fühlt sich zunächst ziemlich ratlos. Er weiß weder etwas über seine Erkrankung, noch das Leben damit oder was man so tun könnte. Auf einmal genießt er den Status des Patienten und kann damit so gar nichts anfangen.

Auf der anderen Seite raten aber Ärzte gerne zu diversen Therapieoptionen. Die von Erkrankung zu Erkrankung unterschiedlich üppig ausfallen können. Nicht für jede Erkrankung gibt es auch verschiedene Optionen.

Der Mensch, jetzt auf einmal Patient, muss also entscheiden.

Nimmt er das Medikament oder nimmt er es nicht? Was passiert in der Zukunft und weitere Fragen wie z. B.

- Wie lebe ich nun weiter?
- Kann ich eine Therapie mit meinem Leben vereinbaren und welchen Einfluss hat diese Medikation auf mich und mein Dasein?
- Man könnte sich auch mit dem Risiko der Nebenwirkungen beschäftigen wollen.
- Oder vielleicht mit den generellen Auswirkungen einer Erkrankung auf das Leben an sich?
- Man könnte fragen, ob es alternative Therapien gibt und herausfinden, was es an zusätzlichen Therapien noch so braucht. Beispielsweise Physiotherapie.

Und so weiter und so fort. Je nach Erkrankung stellen sich dem Menschen aka Patient eine Menge Fragen.

Die Herausforderung ist:

Meistens ist man als Patient irgendwie gezwungen, etwas zu tun. Nämlich eine Entscheidung zu treffen. Irgendwann.

Als ich weiter fragte und die Frage stellte: "Wie glauben Sie, trifft der Patient von heute Entscheidungen?"

Die Antwort? Na ja. Es war was von der Arzt weiß das besser und so.

Klären wir also auf:

Der Patient ist immer mehr die Instanz, die Entscheidungen trifft. Es ist das eigene Recht des Patienten Nein oder Ja zu sagen oder diverse Dinge abzuwägen und sich zu informieren.

Information ist kein Privileg. Es ist Grundrecht. Und nichts anderes.

Patienten fragen nach, sie recherchieren, sie diskutieren und sind aktiver denn je. In diesem Social Media, was für viele offensichtlich noch extrem #Neuland ist. Mal so nebenbei erwähnt, #Neuland zu ignorieren ist auch keine Lösung. Ganz im Gegenteil. Aber das an anderer Stelle.

Noch so was: Auf einmal will dieser Patient oft mitreden! Patienten haben eine Stimme!

Muss der "moderne Patient" also entscheiden, will er mitreden. Mitreden wollen heißt aber auch, informiert zu sein, die Argumente für oder gegen etwas zu kennen und aufgrund von gutem Wissen eine Entscheidung treffen zu können, mit der man buchstäblich leben kann.
Denn die Konsequenzen aus diesen Entscheidungen müssen auch die Entscheider, sprich Patienten tragen. Und damit leben. By the way, wenn wir über das Leben reden, das hätten wir gerne unabhängig und frei gestaltet. Nur mal so.

Immer wieder passiert es mir, dass ich so einen Unsinn höre und mich frage, wie man so dermaßen uninformiert und fast schon blauäugig durchs Leben schlurfen kann.

Klar, nicht jeder Patient wird selbst entscheiden, viele mögen es auch, wenn der Arzt das für sie tut, aber letzten Endes sind sie dennoch informiert und nehmen Informationen war.

Ich sage immer wieder, redet nicht über uns Patienten, redet mit uns. Nur wer mit uns redet, kennt unsere Bedürfnisse, die Fragen und wichtigsten Anliegen.

Es geht um Transparenz, um gute Informationen, die Patienten brauchen, um verständliches Wissen, das hilft, Entscheidungen zu treffen und sich als Patient mit dem was man beschließt, gut zu fühlen und dazu stehen zu können. Das beginnt bei der Wahl des Arztes geht über die Wahl einer Therapieoption und vieles mehr.

Der Vergleich mit dem "normalen" Leben .....

Am Ende ist es doch so - und jetzt kommen wir zurück zum Auto. Haben Sie darüber nachdenken können?

Denn:  Wir gehen auch nicht los und kaufen ein Auto ohne es vorher ausführlich Probe gefahren zu haben oder alle technischen Details zu kennen. Nicht wahr?

Ganz im Gegenteil. Wir legen Wert auf totale Transparenz in der Preisgestaltung und wollen wissen, was wir da kaufen. Und wir vertrauen meistens auch dem Verkäufer nicht blind. Wir nutzen Prospekte, durchforsten Websites und fragen in diesem Social Media aka #Neuland nach, wenn wir fragen haben oder Erfahrungen suchen, um zu entscheiden, ob der Superschlitten wirklich das richtige Gefährt für uns ist.

Aber was red ich, die Entscheidungen für oder gegen Dinge wie Autos sind natürlich wichtiger als die Entscheidungen in Sachen Leben mit einer Erkrankung, für oder gegen eine Untersuchung, eine Therapie oder andere Aspekte.

Ich bin ja nur ein Patient und kann ruhig auf Infos pfeifen, während ich mein nächstes Auto ein halbes Jahr von vorne nach hinten recherchiere, Details auswendig aufsagen kann und jeden Multiple Choice Test mit Bestnote bestehen würde. Ist ja auch viel wichtiger als ne popelige chronische Erkrankung wie zum Beispiel MS und die Entscheidungen, die man so nebenbei und meist fürs Leben zu treffen hat. .

Ein Lesetipp an dieser Stelle: http://www.livinglikeyou.com/en/stories/detail/patients-experts

Available in English only at the moment!

In diesem Sinne,

informierte Grüße von der, die selbst entscheidet!




Bild: Pixabay.com 
Copyright by Birgit Bauer 2016


2 Kommentare:

  1. W**: Es gibt ganz eindeutig immer noch eine Menge Ärzte, die nicht damit umgehen können, daß ein Patient unter Umständen eine Therapie ablehnt. Ich unterstelle den Ärzten nicht, etwas zum Schaden des Patienten zu planen. Aber der Patient - und ganz besonders der bei MS oft vergleichsweise junge Patient - muß mit der Therapie leben können - und eventuell lange leben können und mit den Nebenwirkungen klar kommen können. Und viele Therapien haben durchaus massive Nebenwirkungen.
    Besonders ärgerlich ist die Tatsache, daß Neurologen nicht gerade dicht gesäht sind, nicht unbedingt scharf auf MS-Patiente sind und es gar nicht so leicht ist, ggf. "einfach" den Arzt zu wechseln.
    Und nicht immer ist die Patientin happy mit einem Arzt, der einem in jovialem Ton klar macht, daß er schon wisse, was gut für einen ist (und man sich imaginär aufs Köpfchen getätschelt fühlt).
    Häufig sind die Patienten mit dem "Neuland" Social Media und Internet weitaus vertrauter, als der Arzt... nur ist der der Herr über den Rezeptblock....

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    1. Liebe W** danke für deine Gedanken. Ich gehe noch nen Schritt weiter: Patienten sind mit dem "Neuland" Social Media, das nunmehr älter als eine Dekade ist, weitaus vertrauter als auch alle anderen, nicht nur Ärzte. Und das muss sich ändern. Finde ich. Liebe Grüße!

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