Samstag, 17. Juni 2017

Zu schön - um MS zu haben ...

Normalerweise bin ich in solchen Fragen mittlerweile dickfellig geworden. Die üblichen Verdächtigen unter den Vorurteilen kennen wir alle. Sie begleiten uns eigentlich vom ersten Augenblick, in dem wir die MS mitgeteilt bekommen.

Sie sind lästig wie Pickel in der Teeniezeit. Man lernt, sich darauf einzustellen, hört weg, amüsiert sich ab und an über die unintelligenten Kommentare in Sachen MuskelSchwund und so und denkt sich seinen Teil.

Diese Woche bekam ich es aber mit, dass in meiner unmittelbaren Nähe behauptet wird, dass ich ja gar keine MS habe und das alles nur simuliere .... und ab und an geht mir das nah.

Mal ehrlich, was hätte ich davon? Vom Spielchen "Ich hab MS und geb mal die Leidende". Hm?

Was brächte es mir ein, Fräulein Trulla als Simulationsprodukt meiner Fantasie in Umlauf zu bringen?
Dass ich mit Vorurteilen leben muss, die mir attestieren, ich wäre am Morgen schon betrunken, nur weil ich einen schlechten Tag und einen entsprechend schwankenden Gang habe? Oder wenn ich mit Fatigue (chronische Erschöpfung) auf dem Sofa sitze und man mir Faulheit unterstellt? Dass ich mir, sobald ich von MS erzähle, Mitleid in Tonnen vor die Türe kippen lassen und mir anhören muss, ich wäre ein bisschen verrückt?
Dass ich oft genug Dinge verpasse, weil ich zu erschöpft bin, um sie zu erleben? Dass ich oft genug dumme Sprüche gedrückt kriege?

Ich lebe seit 12 Jahren mit MS und bin froh, dass es so ist wie es ist. Ich kann zufrieden sein. Und bin es.

Dennoch: Für viele sehe ich zu gut aus, um MS zu haben.
Ich sehe offenbar so gut aus, dass man mir locker und ohne einen Funken Verstand und ein Krümel Wissen unterstellen kann, ich wäre ein Simulant. Was dahinter stecken könnte, darf sich ein jeder selbst überlegen.

Fakt: Wenn du krank bist, hat man das zu sehen! Basta! 

So scheinen manche Zeitgenossen bis heute zu denken: Wenn du krank bist, hat man das zu sehen. Bei MS ist der Rolli sehr beliebt, gerne auch Krücken, die sogar im Keller bei mir stehen, weil ich sie nicht mehr brauche, der Schub von damals ist Geschichte. (Thank god!)
Aber es ist auch so schön einfach. Mit MS braucht man einen Rollstuhl. Sofort. Auch so ein Vorurteil, das so nicht richtig ist. Viele Menschen mit MS sind auch lange Zeit nach der Diagnose noch in der Lage zu gehen. So wie ich.

Aber ich verstehe das, der Rolli manifestiert das, was da im Raum steht und was man nicht kennt. Man kann ein bisschen mitleiden, an die Info glauben und sieht alles bestätigt. Sieht man MS nicht, ist es ein Mysterium. Eine große Unbekannte. Was die Behauptung man wäre ja gar nicht krank, leichter wirken lässt. Sich zu informieren, gar nachzufragen und einen Überblick verschaffen? Nicht drin. Das macht man oft nur bei Autos oder anderen Dingen. Aber nicht bei MS.

Dabei gibt es jede Menge Erkrankungen, die mit unsichtbaren Symptomen einhergehen. Aber siehste nicht so aus, biste für viele ein Simulant, ein Lügner, ein Hypochonder, ein fauler Sack.  Oder ganz was anderes.

Barrierefreiheit am Bürgersteig? Ja! Im Kopf Barrieren abreißen? 

Es zeigt, wie Teile unserer Gesellschaft denken. Bis heute. Und das macht mich traurig, reden wir doch vollmundig von Inklusion und Barrierefreiheit. Wir haben Beauftragte für Inklusion, die uns stolz zeigen, wie barrierefrei Städte sein können und die uns erklären, wie wichtig es ist, Menschen mit Behinderungen oder Handicaps in Jobs zu integrieren und überhaupt, in die Gesellschaft. Find ich auch wichtig. Keine Frage.

ABER: Was nicht getan wird, ist die Aufmerksamkeit auch auf die zu lenken, die täglich mit Erkrankungen wie MS und den damit unsichtbaren Symptomen leben. Also auf diejenigen, die man als "Mensch mit Erkrankung" so auf den ersten Blick nicht erkennt.
Es scheint nicht klar zu sein, dass die Barrieren, die in den Köpfen sind, oft die heftigeren Barrieren darstellen. Es geht eben nicht immer um Bürgersteige oder Rampen.

Sondern um das, was quasi hinter den Kulissen vorgeht. In den Köpfen derer die lieber in Vorurteilen schwelgen oder sich einfacherer Begründungen bedienen, weil sie weder Zeit oder Lust oder die Neugierde besitzen, genauer hinzusehen.

Das wird großzügig übersehen und so kämpfen wir weiter täglich mit den dummen Vorurteilen dieser Welt und den damit verbundenen Konsequenzen wie Neid oder Ablehnung und nicht selten einer Stellung als Randgruppe.

Birgit


4 Kommentare:

  1. ...und dieses kämpfen, dass uns da aufgedrückt wird, bindet leider Gottes so wahnsinnig viel Energie, die wir an anderer Stelle nur zu gut brauchen könnten....und damit fängt ein Kreislauf an, den wir weder wollen, noch brauchen und dann aus dem auszubrechen wieder wertvolle Energien bindet....

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Da hast du so Recht! Ich könnte mir auch Besseres mit meiner Energie vorstellen .... Und auch wenn ich das im Normalfall ab kann, wenn es unmittelbar und nah passiert, ist das Thema ein anderes. Ganz liebe Grüße, Birgit

      Löschen
  2. Sieht man es dir nicht an, bist du ein Simulant.
    Sieht man es dir an, bekommt man viele "gute" Ratschläge oder Mitleid.
    Alles beknackt und überflüssig.
    Mit Behinderung muss jeder Gesunde rechnen und selbst eine Brille
    ist ein Hilfsmittel für eine Sehbehinderung, aber das ist ja alles total normal....
    Ein schönes Wochenende wünsche ich dir. LG

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Na wunderbar. Dann hab ich Doppelrolle. Ich trage Brille. ;-) Ein bebrillter Simulant. Ich wünsch dir auch ein schönes Wochenende liebe Christine! :-)

      Löschen