Mittwoch, 28. Juni 2017

Die multiple Minderheit - der Hauptstadtkongress ... :-)

Wie letzte Woche auf Trullas Fanpage ja immer wieder gepostet: Ich war auf dem Hauptstadtkongress in Berlin zugange.

 


Es war sehr spannend, ist es doch "DER Kongress für die Gesundheitswirtschaft in Deutschland", so die Organisatorin Dr. Ingrid Völker bei der Eröffnungsrede.
Ja, ist so, kann ich so bestätigen, rund 8000 Besucher waren da, so die offiziellen Stellen. Doch auf der Liste, die aufgezählt wurde, fehlte mir etwas.

Es gibt die Unternehmen, Krankenkassen, die Regierung, Gesundheitsdienstleister, Pflegekräfte und?

Na?

Genau: Patienten. Menschen, die mit Erkrankungen leben, viele von ihnen täglich, weil die Erkrankungen chronisch sind.

Das ist ein bisschen schade, denn wie sollen wir etwas verbessern, wenn wir nur über die Betroffenen reden, aber nicht mit ihnen? Hm.





Besonders die Eröffnungszeremonie fand ich spannend. Illustre Gäste wie der Gesundheitsminister Hermann Gröhe waren angesagt. Er setzte in seiner Rede auf digitale Gesundheit und betonte besonders, dass Vernetzung, nicht nur digital, sondern auch zwischen den Beteiligten ein wichtiger Faktor seien.



Auch in Sachen Pflege brachte eine Diskussionsrunde  während der Eröffnung durchaus die Missstände ans Licht. Die Runde bestand aus Hedwig Francois-Kettner (Deutscher Pflegekongress) , Prof. Dr. Axel Ekkernkamp (Deutsches Ärzteforum), Prof. Heinz Lohmann (Krankenhaus Klinik Rehabilitation) und wurde moderiert von Dr. Eckart von Hirschhausen.

Pflegekräfte sind oft überfordert mit ihren Aufgaben, was daran liegt, dass es nicht genügend gibt, ein Umstand, der erschöpft. In erster Linie, die, die Patienten pflegen sollten, denn sie haben schlicht zu viel Arbeit. Der Grund dafür ist bekannt. Schlechte Bezahlung, weil man mehr auf die Wirtschaftlichkeit achten muss und natürlich auch weniger Personal. Kliniken müssen ökonomisch denken, das verstehe ich, aber ist es wirklich nötig, Menschen, die krank sind, so zu behandeln? Menschen, die im Krankenhaus sind, haben Angst. Vor Diagnosen, Ärzten, Untersuchungen. Sie fühlen sich ohnehin schon unwohl. Und wenn dann noch die Pflege im Akkord durchgeführt wird, macht das die Sache nicht besser.

Dr. Eckart von Hirschhausen, der Diskussionsleiter brachte es für mich auf den Punkt: Patienten sind keine Kunden, sie sind Leidende.

Gut, dass ich das Wort "leiden" an sich überhaupt nicht mag, ist bekannt, aber am Ende hat er halt auch Recht. Auch mit dem Spruch: "Lieber eine gute Krankenschwester am Bett als einem Ökonom."



Prof.  Heinz Lohmann brauchte mich während der Diskussion zum Nicken: Er sieht den Patienten als gute Quelle für Veränderungen in der Pflege. Ich füge an: Ja, redet mit Patienten, denen, die krank sind, wir haben tatsächlich gute Ideen. Denn Krank zu sein heißt auch nicht selten, einen zweiten Job zu haben und Dinge anders zu erledigen oder zu organisieren.

Und ich so? Digital unterwegs! 

Etwas, das ich auch in meinem Vortrag in den Fokus rückte. Es ging um digitale Lösungen für Menschen mit Erkrankungen und für mich ist eine gut gemachte digitale Lösung wie z. B. eine App durchaus ein Mittel für mehr Lebensqualität. Weil es oft Zeit spart und man getrost an andere Dinge denken kann uns so die Erkrankung aus dem Fokus rückt. Und wer will schon immer über die Trullas dieser Welt nachdenken? Ich nicht.

Aus meinem Vortrag: Telemedizin wie z. B. Physiotherapie oder Logopädie können helfen, Zeit und Energie für das aufzubringen, was nötig ist: Rehabilitation, etwas für den Körper zu tun. Klar ist es wichtig, zuerst beim zuständigen Therapeuten persönlich vorstellig zu werden, kein Mensch sollte einfach online etwas tun, abgesehen von der gesetzlichen Lage, aber wenn die Situation klar ist, wieso sollten Menschen ihre Rehamaßnahmen oder Therapien nicht online von Zuhause aus durchführen?
Statt langer Wege mehr Energie für gute Erfolge in Sachen Gesundheit. Das wäre das Motto. Und in Zeiten, in denen wir Ärztemangel sprechen und Wege für Menschen mit Erkrankungen mühsamer und länger werden, sollten wir ernsthaft darüber nachdenken. Letztlich geht es zum einen um die Verbesserung der Lebensqualität und zum anderen auch um Wirtschaftlichkeit.

Traum oder Schaum oder bald Realität? Die digitale Patientenakte! 


Bild: Shutterstock


Genauso wie die digitale Patientenakte, die auf dem Kongress sehr gelobt wurde, obwohl es sie noch gar nicht gibt. Das finden alle großartig. Ich nicht. Ich mag nichts, was nicht da ist und über das man nur redet. Was man in dem Fall ja schon etwas länger tut.

Wenn man 12 Jahre mit MS unterwegs ist, sammelt man diverse Informationen an, nicht immer bekommt man sie, denn nicht jeder Arzt ist, trotz gesetzlicher Patientenrechte, gewillt, die komplette Akte rauszurücken. Meine Frage war also: Wie kann ich beim Arztwechsel oder auch beim Besuch eines Arztes, den man für eine andere Frage braucht, diesem Arzt ein möglichst komplettes Bild meiner Gesundheit oder meines Krankenverlaufes bieten, wenn ich meine Akte nicht komplett habe? Und wie kann ich als Mensch mit chronischer Erkrankung darauf hoffen, vernünftige Empfehlungen zu bekommen aus denen ich dann auch gute Entscheidungen treffen kann?

Eine digitale Lösung wie die Patientenakte, bietet Mehrwert. Und sie umzusetzen sollte langsam echt möglich sein. Auch wenn man uns ständig sagt, dass 2019 das Jahr dafür wäre, ehrlich gesagt: Kann ich das glauben? Wir brauchen sie. Jetzt.

Spannend und interessant aber .... 

Der Kongress an sich ist hoch interessant. Man kann viel lernen, trifft auf unterschiedlichste Gedanken und Meinungen. Was mich aber störte ist, dass zum Beispiel Patientenvertreter den vollen Eintritt zahlen müssen. Betrachtet man das mal aus Sicht dieser Menschen, die meist ehrenamtlich und oft genug auf eigene Kosten unterwegs sind, ist das nicht ok. Ich finde ein Patientenvertreterpreis wäre angebracht.

Was mich auch verwundert hat, das bringt mich zur Überschrift, ist die Minderheit von Frauen auf Podien und in Vorträgen. Ebenso fehlen mir diejenigen, die von diesen Entscheidern dort auf dem Kongress mehr oder weniger abhängig sind: Die Menschen, die mit Erkrankungen tagtäglich leben müssen. Sie werden langläufig auch als Patienten bezeichnet. Nä? ;-)

Wie sagte Frau Dr. Völker so schön in ihrer Eröffnungsrede: "Früher hat mein Mann Sie begrüßt, später wir beide. Heute steh ich hier allein. Auch das ist Fortschritt"

Wie wäre es, wenn es irgendwann heißt: "Früher habe ich Sie alleine hier begrüßt, heute sind wir hier mit Patienten, damit wir Ihre Bedürfnisse hören und uns ein Bild der Situation machen können. Das ist Fortschritt."

Und genau den würde ich mir wünschen, denn ich fühlte mich wirklich als multiple Minderheit: Frau, chronisch Erkrankte und Patientenvertreterin und so gesehen: Auch noch der einzige EUPATI Fellow auf dem gesamten Kongress.


Soll noch einer sagen, das Fräulein Trulla und ich sind nicht multipel. :-)



Bilder: Shutterstock und Birgit Bauer
Text: Birgit Bauer Copyright 2017



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