Donnerstag, 21. März 2019

MS macht stumm


Kommt eine MS Diagnose, passiert oft etwas, was die Situation nicht wirklich besser macht.

Anstatt für Freunde da zu sein, die mit MS leben, ziehen sich viele Menschen zurück. Sie haben Angst, das Falsche zu sagen. Machen sich Gedanken darüber, was belastet und was nicht. Sie scheinen völlig zu vergessen, dass dieser Mensch trotz der MS ja noch da ist. Und offen für andere und deren Anliegen oder Probleme.

Das wird von vielen auch so gesagt: Du kannst immer kommen, ich bin für dich da.

Und trotzdem. Sie ziehen sich zurück. Sie sind Freunde, Familienmitglieder und mehr. Sie haben keine MS aber sie ziehen sich zurück. Mit ihrer Angst. Und lassen den Mensch mit MS zurück, ohne dass er wirklich versteht was da passiert.

Ein Problem, das ich auch hatte und habe. Und es ist nicht einfach. Für beide Seiten.

Weil: MS macht stumm.


Am schlimmsten war es am Anfang. Ich stand da, mit einer chronischen, nicht heilbaren Erkrankung die für mich selbst ein Mysterium darstellte. Ich war geschockt. Das was ich gebraucht hätte, wäre Zuspruch gewesen. Eine Schulter zum Ausheulen oder einfach jemand zum Blödeln.

In der Zeit habe ich viele Freunde und sehr nahe Angehörige verloren. Viele davon sind bis heute verschwunden. Anstatt einfach normal zu bleiben und mir zu überlassen, was ich über die MS erzähle, haben sie entschieden, was mir gut tut und was nicht.
Allerdings haben sie einen Fehler gemacht: Sie haben mich nicht gefragt.

Auf der anderen Seite quälten mich diese Menschen. Immer wieder erklären zu müssen, dass ich trotz MS immer noch ich war und ich trotz Erkrankung gedachte, ganz normal oder so normal wie möglich weiter zu leben, war und ist extrem erschöpfend. Dabei ist es unser Recht, ein ganz normales, oder fast normales Leben zu haben.

Und so ließ ich diese Menschen ziehen. Mir fehlte die Kraft, sie zu überzeugen, und so verabschiedete mich im Stillen. Die einen gingen einfach, die anderen verpassten mir noch mehrere schmerzhafte "Ohrfeigen" in verbaler Form bevor sie sich endgültig zurückzogen.
Meine Psychologin erklärte mir damals, dass ich nicht alle halten können würde. Nicht jeder kommt mit einer Diagnose wie MS klar. Ich dachte mir damals, wenn ich irgendwie klar kommen muss und wahrscheinlich irgendwann klarkommen werde, wieso haben die anderen solche Probleme damit?

Wie gesagt, MS ist häufig schwer zu verstehen. Die Erkrankung ist komplex. Es gibt viele unsichtbare Symptome, die man schwer verständlich machen kann. Weil man ja gut aussieht und andere auch mal erschöpft sind. Aber es ist eben ein Unterschied zwischen Fatigue und ein bisschen erschöpft sein und das Kribbeln oder Schmerzen sind nicht immer sichtbar.

Es ist anstrengend, das immer wieder zu erklären. Die andere Frage ist, warum stellen die, die uns eigentlich begleiten sollten, die MS immer so in den Mittelpunkt? Sie scheinen den Menschen zu vergessen, der da steht. Dieser Mensch hat MS, aber es handelt sich immer noch um den Menschen, den man auch vor der MS kannte. MS sollte nicht diese Rolle einnehmen in einer Freundschaft. Und doch tut sie es.

Sie macht stumm. Bis heute sind viele Menschen sprachlos, wenn es um MS geht. Besonders wenn andere erkrankt sind. Das liegt zum einen daran, dass sie sie nicht verstehen und nur die Erkrankung sehen (wollen) oder glauben das zu müssen und zum anderen daran, dass MS bis heute eine Krankheit ist, über die wir viel wissen, die aber lange nicht das öffentliche Verständnis bekommt, das nötig wäre.

Deshalb macht sie stumm. Menschen in unserer Nähe können oft schwer einschätzen, was bei uns geht oder was nicht. Sie fragen auch nicht, obwohl sie das könnten. Jeder mit MS darf gefragt werden. Jeder oder viele mit MS sind froh, wenn sie gefragt werden. Dann haben wir eine Chance das verständlich zu machen, was wichtig ist. Das Tor, das uns hilft, zurück zu unserer Rolle als Mensch, Freundin, Freund, Gefährten, Familienmitglieder und vieles mehr zu finden.

Aber das kann nicht passieren, wenn die Frage nicht kommt. Suchen wir das Gespräch, gehen diese Menschen, dem oft aus dem Weg. Es ist natürlich unangenehm, aber einmal ausgesprochen, ist es einfach, dem zu begegnen, was ist, denn das Mysterium ist enttarnt. Die Frage, warum das nicht passiert und warum so viele Freunde oder nahe Menschen Abstand nehmen von Menschen mit MS lässt sich wahrscheinlich nicht beantworten.

Bis heute verliere ich immer wieder Menschen. Als ich im vergangenen Jahr danach fragte, was der Grund dafür ist hörte ich eine Sache, die zusammen gefasst ungefähr so kam:

"Ich weiß nicht, was ich dir noch sagen darf, weil du ja so krank bist!"

Ehrlich? Diesen Satz höre ich seit 14 Jahren. Und er nervt.

Weil er bis heute dafür sorgt, dass MS stumm macht. Ich bekomme in diesem Moment keine Chance zu erklären oder Infos zu geben, aufzuklären.

Denn ich bin immer noch ich. Birgit. Ehefrau, Freundin, Kumpel, was auch immer.  Ich bin immer noch das, was ich immer war: Ein Mensch.

MS lähmt uns nicht im Menschsein. Sie nimmt uns Körperfunktionen, beeinflusst natürlich unser Dasein, wir leben 24/7 damit. Selbstverständlich reden wir auch über Veränderung in der Denke. Das bedeutet aber nicht, dass wir sie ständig in den Mittelpunkt stellen. Oder stellen müssen. Warum auch?

Die Frage an alle ist also: Lassen wir der MS soviel Raum, dass sie uns stumm macht? Sprachlos?

Wäre es nicht besser miteinander zu reden? Einmal zu klären, was los ist?  Um Beziehungen und Freundschaften in eine "normale" Ebene zurück zu bringen, anstatt sich zurück zu ziehen und Angst zu haben, ein anderes Problem auf den Tisch zu bringen, weil die MS im Raum ist?


Ehrlich, MS macht stumm. Sprachlos. Aber wir müssen das nicht zulassen. Sonst droht der Abschied.

Deshalb: Ihr, die ihr mit MS lebt, lasst euch nicht stumm machen.
Ihr, die ihr Freunde oder Angehörige habt, die mit MS leben, sprecht eure Bedenken an.
Redet darüber, was euch stumm macht oder warum ihr euch zurück zieht.
Weil Rückzug keine Lösung ist.

Menschen mit MS sind Menschen. Sie können nicht immer alles, aber ein Freund sein, das können sie. Auch mit MS. Oder vielleicht trotz oder gar wegen MS? Wer weiß!

Bleibt im Gespräch!

Birgit



Bilder: Pixabay.com
Text: Birgit Bauer





1 Kommentar:

  1. Echt Super!!
    Deshalb: Ihr, die ihr mit MS lebt, lasst euch nicht stumm machen.
    Ihr, die ihr Freunde oder Angehörige habt, die mit MS leben, sprecht eure Bedenken an.
    Redet darüber, was euch stumm macht oder warum ihr euch zurück zieht.
    Weil Rückzug keine Lösung ist.
    ==========================
    Liebe Grüsse aus der Schweiz!

    Matin Steiner

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