Selbstverständlich könnte ich jetzt über die netten Vorsätze philosophieren. Die, die ich maximal bis Anfang Februar schaffe und dann im Trubel meines Lebens irgendwo im Vorsatznirvana versenke, weil mir die Zeit fehlt, ich zuviel Termine habe, lieber die Stricknadel schwinge oder mich gerade mental in einem Projekt versenkt habe. Oder weil das Fräulein Trulla mal wieder andere Pläne hat. (Sie sitzt im Hintergrund und meckert schon mal vorsorglich über diese wie sie sagt "unpassende" Bemerkung!)
Ich schicke dem einen oder anderen Menschen über diesen Äther heute statt dessen einen Vorschlag für einen Vorsatz. Mir ist heute nach den besten Phrasen, die man mir in dem Jahr so vor den Latz knallte. Weil in den letzten Tagen zu viele davon um die Ecke kamen und ich mich, trotz aller Gleichmut und Entspannung, die ich gerade im Urlaub genieße, verärgern. Dieser Blogbeitrag ist für die, die Phrasen dreschen, Phrasenschweine füttern und vom Hörensagen nie genug bekommen, weil man das ja alles glauben kann. Und für die, die meinen, sie täten mir etwas sehr Gutes, wenn sie mir mit salbungsvoller Stimme Dinge vortragen, die mich entweder langweilen oder schlicht nerven. Weil ich sie entweder zu oft hörte oder weil sie schlicht Unsinn sind.
#butyoudontlooksick
Es kommt von Menschen, die glauben, das Fräulein Trulla (bekannt als MS) zu kennen. So richtig. Also vom Hörensagen. Und weil doch ein anderer, den man zufällig kennt, auch schon im Rolli sitzt. Kann also so schlimm nicht sein. Und weil doch der vermeintliche Mensch mit MS sich gut anzieht, sogar als Frau ab und an ein bisschen Make-up benutzt und sich pflegt und sich schön anziehen möchte (übrigens ein Grundsatz, der bei Gesunden durchaus normal ist und nicht extra besprochen werden muss), kann es ihm ja nicht schlecht gehen.
Das ist Irrglauben. Zum einen darf man sich mit MS schön anziehen und pflegen. Sogar das Fräulein Trulla legt Wert auf gutes Aussehen (oder das, was sie als solches betrachtet) und lehnt ungepflegtes Dasein ab. Wie ich auch. Was den Umstand bedingt, dass ich tatsächlich gut aussehe. Aber wenn "Du siehst ja so gut aus!" kommt, ist klar: es bedeutet, dass man ja gar nicht krank aussieht. Die MS wird in Frage gestellt. Es kam auch schon vor, dass man mir vorgeworfen hat, ich würde simulieren.
Das, was man sieht, ist nicht das, was MS ist. Es ist die Spitze des Eisberges. MS kann oft unsichtbar sein, viele Symptome wie Fatigue (Erschöpfung, kommen wir gleich noch drauf) oder kognitive Einschränkungen, Schmerzen, Depressionen etc. sieht man nicht. Auch wenn sie da sind und gutes Aussehen hilft einem ja auch, sich besser zu fühlen.
"Oh ich bin auch oft so müde ..., das ist normal... "
Alles klar. Macht mit aggressiv. Fatigue ist nicht müde. Fatigue ist dann, wenn du nicht mehr los kannst, dein Körper sich nicht überzeugen lässt, etwas für dich zu tun. Beispielsweise aufs Klo gehen. Wenn das zur Quälerei wird, wird's heftig und das ist nicht müde. Verdammt, es ist Fatigue und hat wenig mit Müdigkeit zu tun.
"Ich wünsche dir viel Gesundheit"
Klar, MS ist ein Schnupfen. Und das Fräulein Trulla schüttelt sich jetzt. Sie sagt: "Wir von der Hochschule der Trullas sorgen dafür, dass Gesundheit zum Fremdwort mutiert. Es ist unsere hoheitliche Aufgabe, sicherzustellen, dass sich unsere Gastgeber nie wieder erholen. Man bekommt uns nicht mit Tabletten kuriert, wir sind nicht weg zu heilen. Im Moment höchstens einschränkbar, aber nicht heilbar. Aber natürlich freut es uns immer, wenn Sie den Menschen mit MS Gesundheit wünschen, das erweitert unsere Perspektive und zieht andere, die mit uns leben müssen, schon auch runter."
Soviel dazu. Wohlmeinend ist nicht immer das, was gut ankommt. Es tut oft auch weh. Weil man mit MS nicht so einfach gesund werden kann. MS ist noch immer nicht heilbar und daher ...
Ein bisschen Beschäftigung braucht man ja auch ....
Als ob man mit MS kein Leben mehr hätte und man darnieder sinkt und nur noch das Elend gibt.
So gesehen, Elend muss man sich leisten und die wenigsten haben so viel Kohle auf der Bank, dass sie das könnten. Jeder Mensch mit MS hat andere Schwierigkeiten, Fragen oder Herausforderungen zu meistern.
Ja klar, beschäftigt zu sein, ist schön, aber auch nötig. Wer bezahlt denn die Kosten für das Leben mit MS? Keiner. Wir müssen uns selbst drum kümmern, damit wir unsere Rechnungen bezahlen können.
Oft ist das Leben mit einer Erkrankung auch mit Zusatzkosten verbunden, die von den Gesundheitssystemen nicht getragen werden. Das heißt, es sind Kosten, die wir selbst finanzieren müssen. Daher ist Beschäftigung nett, ein Job ist besser. Weils ohne Kohle halt nicht geht.
Mit MS sitzt man sofort im Rolli ....
Ja klar. Einer meiner ehemaligen Neurologen hat mir im Jahre 2007 (zwei Jahre nach meiner Diagnose) folgende Nummer gegen den Kopf geknallt:
"Wenn Sie nichts tun, ist ihr Gehirn in zwei Jahren Matsch und sie sitzen im Rolli"
Es ist fast 2020, mein Gehirn läuft noch ganz gut, es hat sich entwickelt und ich nutze es regelmäßig und im Rolli sitze ich auch noch nicht. Läuft bei mir. Könnte man sagen.
Klar nicht jeder mit MS hat das Glück, sich den Rolli zu sparen und ich bin sehr froh darüber, wenngleich ich in den vergangenen Wochen immer wieder über die Krücken im Keller nachdachte, weil ich auch so meine Krise hatte und meine Beine nicht immer so funktionierten, wie sie das sollten. Aber ich war erschöpft, fertig und brauchte eine Auszeit, die ich mir gerade gönne.
Jedoch ist das Rolli - Gerücht eines, das ich kenne solange ich mit dem Fräulein Trulla unterwegs bin und das ich oft in den sozialen Netzwerken oder auch in Unterhaltungen mitkriege. Warum?
Es wäre schön, wenn MS endlich in der Bevölkerung so ankäme wie Diabetes, Rheuma oder andere, so genannte, Volkskrankheiten. Ich fände es klasse, könnte so manche Zeitgenossin und mancher Zeitgenosse endlich vom HörenSagen und den oft unprofessionellen wie sensationsgeilen Schlagzeilen in den Medien lassen und sich anständig informieren.
Ich glaube, es gibt noch viel zu tun und ich habe vor, im nächsten Jahr an dieser Liste zu arbeiten und sie Punkt für Punkt zu löschen. Denn diese Phrasen sind unnötig, oft verletzend und nicht wirklich hilfreich.
Was hilft ist Verständnis, eine Prise Mitgefühl und eine gute Portion gesunder Menschenverstand.
In diesem Sinne, kommt gut ins neue Jahr, habt eine gute Zeit und für 2020 wünsche ich Euch nur das Allerbeste!
Herzliche Grüße
Birgit
Bilder:
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Text:
Birgit Bauer
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