Mittwoch, 22. Juni 2022

Das mit dem Schub, der paternalistischen Medizin und die Augenhöhe mit dem Arzt oder der Ärztin!


Bähm, mich hats erwischt. Das olle Fräulein ist mir in die rechte Hand gefahren, was das Tippen und derlei irgendwie seltsam macht. Es dringt zwar was durch, aber alles ist langsamer und fühlt sich blöd an. Taub und ich muss auch hier aufpassen, dass ich nicht zuviel Rechtschreibfehler produziere. 

Es fing schon letzte Woche an und führte dazu, dass ich mir mehr Pausen gönnte und Dinge nicht machte, die ich eigentlich machen wollte, aber mit der Zeit lernt man, erste Zeichen zu deuten und auch wenn es mehr als scheiße ist, Nein zu sagen. Das kennen wir ja. 

Heute hatte ich ein Gespräch mit meinem Arzt. Die liefen bisher eher paternalistisch ab. Unter Paternalismus versteht man in der Medizin die oft brisante, wie ethisch schwierige Diskussion darüber, wann ein Arzt eingreift und quasi bestimmt, was zu tun ist, und wann Patienten selbst entscheiden. Es ist meines Erachtens nach eine Gradwanderung für Ärzte, wann müssen sie eingreifen, wann sollen sie. Während Ärzte rechtliche Fragen berücksichtigen müssen, neben ethischen und einer eigenen Einstellung vielleicht auch, wollen Menschen mit Erkrankungen oft selbst entscheiden. Aber können sie das immer? Ist ein Hauch von Paternalismus nicht auch hilfreich? (Mehr dazu kann man hier lesen, aber Vorsicht, lang und ein bisschen schwere Kost!)

Es ist schon länger eine brisante Diskussion von Menschen mit Erkrankungen, die mitreden und mit entscheiden wollen und Ärzten, die auch gerne für den vor ihnen sitzenden Menschen entscheiden. Was nicht immer schlecht sein muss, aber auch nicht immer willkommen ist. Gerade in den vergangenen Jahren konnte man beobachten, dass sich viele von uns, nicht mehr so einfach erklären lassen, was sie zu tun haben, sondern selbst oder mit dem Arzt, der Ärztin gemeinsam entscheiden zu wollen. Im Fachjargon ist man dann ein so genannter "informierter Patient". 

Man konnte und kann bis heute auch beobachten, dass sich manche Ärzte ein wenig schwer taten und tun, wenn da auf einmal einer sitzt, der klar sagt, was Sache ist und was er möchte oder erwartet. Es ist ethisch schwierig von beiden Seiten, dem gerecht zu werden. Die einen wollen selbst entscheiden, die anderen wollen eigentlich auch nur helfen. Da sein. Oft kann man beobachten, dass es an der Kommunikation liegt, auch von beiden Seiten, manchmal sieht man aber auch ordentliche Dickschädel, die eine Annäherung schwierig machen. 

Es ist schon lange bekannt, dass wir aus der Nummer spätestens seit der Lektüre von Eric Topols "The patient will see you know"  raus sind. Topol erklärt in seinem Buch unter anderem auch im Zusammenhang mit digitalen Lösungen im Gesundheitswesen, dass das mit der ärztlichen Entscheidung, die für Patienten von Ärzten getroffen wird, keine wirkliche Option mehr ist. Auch weil wir mehr Wissen und digitale Lösungen zur Verfügung haben, die Menschen bei ihrem Gesundheitsmanagement unterstützen können und die schon genutzt werden.
Für mich ist allerdings eine Bedingung integriert: Informierte Nutzung, nicht einfach nur ablehnen oder dagegen sein weil man aus Prinzip dagegen ist. Und informiert sein heißt auch, vertrauenswürdige Quellen, ein holistisches Bild von beiden Seiten und auch das Verstehen selbiger Informationen.

Ich beobachte seit Jahren, dass wir, die wir mit MS oder einer anderen Erkrankung leben, mehr wissen und anders mit unseren Erkrankungen umgehen. Bewusster, informierter und oft klüger, meistens auch gesünder weil es neben Informationen auch mehr Möglichkeiten gibt, etwas für sich zu tun. Wer Menschen mit Erkrankungen für kleine Dummies hält, hat in vielen Fällen also den Kürzeren gezogen. 

Die Verfügbarkeit von Informationen sorgt für mehr Wissen in den Communities und dafür auch für mehr Beachtung einer Erkrankung und dafür, dass Wissen darüber geteilt wird. 
Es darf aber an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass oft unkritisch geteilt wird. Will heißen nicht alle prüfen das, was ihnen in die Finger kommt, kritisch nach oder verstehen was da oft recht wissenschaftlich steht.  Die einen treibt das Prinzip Hoffnung, das was nach Heilmittel klingt ist es wert, geteilt zu werden. Ohne zu hinterfragen. In anderen Fällen kann man beobachten, wie aus Fakten oft eigene Interpretationen werden, die wenig mit den bestehenden Fakten zu tun haben. Daher ist Information und Verständnis wichtig, aber auch das Abwägen und eine kritische Haltung. Und zwar für beide Seiten. 

Fakt ist: 

Wir leben heute anders. Wenn uns, wie mich im Moment, ein Symptom einholt, dann wissen wir meistens besser Bescheid und haben erste "Krisenpläne" im Kopf. Auch erst mal ohne Ärzte. Wenngleich man die Ärztin oder den Arzt einbezieht oder einbeziehen muss, weil irgendwann auch Grenzen bestehen. So gesehen, es geht also nicht ohne das Miteinander. Das informierte Miteinander. Von beiden Seiten. 

Bei mir ist es im Moment eine kurze Warteschleife um zu klären, ob mir Uhthoff gerade einen Strich durch meine Rechnung zieht oder ob wir uns über eine echt ernste Sache Gedanken machen. Die Kortisonnummer wurde jedenfalls schon von uns beiden in Erwägung gezogen. MS bedeutet oft sich schnell umorganisieren zu müssen, umzudenken und einen neuen Punkt zu finden, der uns ermöglicht, dennoch weiterzulaufen. 

Aber es ist auch ein bisschen schwieriger geworden. Arztbesuche müssen besser vorbereitet sein, ein simpler Ausdruck von Doktor Google hilft niemandem, im Gegenteil, das verursacht oft Unmut. Und ehrlich gesagt, Doktor Google sagt viel und doch häufig nichts. Weil Doktor Google nicht immer der vertrauenswürdigste Informationsgeber ist. Auch Hörensagen sollte man vor dem Arztbesuch nachprüfen. Beim Arzt aufzuschlagen und etwas zu behaupten ist keine optimale Lösung für eine Diskussion. Am Ende kommt man nicht zum Kern und oft bleiben gute wie wichtige Informationen außen vor. 

Daher ist es an allen, sich Informationen gut anzusehen und zu prüfen, das Gespräch gut vorzubereiten und Prioritäten zu setzen und am Ende auch für die Ärzte die Fragen parat zu haben, die helfen, richtig zu empfehlen. Damit man gemeinsam auf einer Augenhöhe ist und sich austauscht, zusammen arbeitet. Dann bleibt auch mal Zeit für Emotion wie für mich als ich meinem Unmut über den Schub Ausdruck verliehen habe.

Ich habe mir am vergangenen Wochenende lange überlegt, was ich mit meiner rechten Patschhand so tun soll. Und dem Fräulein Trulla. Und ich habe mich gefreut, am Montag ein kurzes, wenngleich wertvolles Telefonat mit dem Arzt zu führen und kurz zu klären, was geht. Wir haben, aufgrund der Fakten gemeinsam entschieden was zu tun ist. Was ich tun kann und das nervt mich am meisten. Wenngleich ich schon verstehe, warum ich jetzt Zuhause bleiben muss und eben nicht loskann zum nächsten Kongress, der mir sehr am Herzen gelegen ist und liegt. 

Aber es ist sinnvoll und muss sein. Es sind die Momente im Leben mit MS, die keinen Spaß machen, die so scheiße sind, dass sie in die Tonne gehören. Dennoch gehören sie dazu. Und ich muss da durch. Das, was ich tun kann ist, mir die Situation so angenehm wie möglich zu machen, damit ich sie überstehe. Bis ich wieder loskann. 

Was mich getröstet hat ist, dass mein Arzt und meine Partner mich verstanden haben, der Situation nicht irgendwie maßregelnd, fies oder eben paternalistisch gegenüberstehen, sondern dass da ein Austausch von Argumenten stattfand, der nicht besser hätte sein können. Wertvoll wie verständnisvoll. Basierend auf Wissen, vertrauenswürdigen Information aus vernünftigen Quellen und den vorliegenden Fakten. 

So soll das sein. Damit bleibt es entspannt, trotz der Situation und es macht die Sache wesentlich einfacher  und auch die nächsten Schritte machbar. Es geht also nicht darum, gegen den Arzt eine Art Rebellion mit dem Titel "Ich bin informiert, sagen sie mir nicht was ich tun soll?" anzuzetteln, es geht auch nicht darum, als Arzt auf die eigene Meinung oder den eigenen Rat zu bestehen und total paternalistisch zu sein. Es geht darum, eine Ebene zu finden, auf der man sich verständigen kann. Wertschätzend, transparent und verständlich. Damit aus einer Behandlung ein gemeinsamer Weg wird, dem beide Beteiligten vertrauen und den sie gemeinsam gehen können und wollen. 

In diesem Sinne, ich gehe jetzt das Händchen pflegen und überlegen, wie ich dem Fräulein Trulla und ihrem Freund Uhthoff gepflegt einen in den Hintern trete. 

Birgit 

Bild: Pixabay.com

Text: Birgit Bauer / Manufaktur für Antworten UG 


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