Montag, 6. Juli 2015

Ich bin erst Mensch. Dann Patient!

Passiert Euch das auch ab und an?

Anstatt als Ihr selbst gesehen zu werden, sieht man Euch nur als Patient. Die Person, die man ist, geht unter, der Patient ist interessant. Was mit einem ist? Wie man denkt oder fühlt oder handelt? Wurscht.

Etwas, das mich in letzter Zeit manchmal ein wenig nervt. Und das ist schade, weil der Mensch irgendwie in der Versenkung verschwindet und gar nicht mehr richtig wahrgenommen wird. Dabei bestimmt der Mensch den Patienten oder so. :-)

Manchmal komme ich mir vor wie ein Schatten. Dabei bin ich keiner.

Ob es sich um Schubladendenken handelt? Ich kanns ehrlich gesagt nicht so genau sagen, jedoch vermute ich es. Auf der anderen Seite ist der Patient oft eine angenehme Sache, wie ich feststellte. Man kann ihn herzeigen, man kennt einen wirklich richtigen Patienten. Und, by the way, auch einen Mensch, könnte man meinen, aber das ist manchmal nicht so.

Als mir jemand letztens wieder einmal meine Wichtigkeit als Patientin erklärte und mich quasi als Vorzeigemodell nutzte, wurde ich sauer.

Die MS bestimmt mein Leben ohnehin oft genug. Gut, sie probiert es, Fräulein Trulla wird nicht müde, sich in den Vordergrund zu drängen, ich aber auch nicht. Und ich kann eine echte Nervensäge sein, wenn es darum geht, nicht Patientin sondern Mensch zu sein.

Hey, ich bin ich. Birgit.
Ein wenig über 40. Mit Ecken und Kanten.An manchen Stellen ist der Lack schon ab und ich hab einige Dellen kassiert, aber im Großen und Ganzen bin ich noch gut in Schuß und in erster Linie eines: Mensch. Nicht mehr und nicht weniger. Ein Anspruch, wie ich finde, der mir zusteht. Jeder andere bedient sich auch dieser These.

Ich mag gutes Essen, koche leidenschaftlich gerne, mag ruhige Stunden mit meinem Strickzeug. Ich bin lernwütig, engagiert und ein bisschen in mein Auto verknallt.

Meine Familie, bestehend aus Herzblatt und dem Kater, geht mir über alles, ich mag Mode und Schuhe (das ist derzeit schwierig, weil ich nur flache Treter tragen kann, wegen des Fräulein Trullas, aber wir arbeiten daran, was ihr ja überhaupt nicht passt :-) ) , liebe Social Media und Medien (was auch mein Job ist) und mein Leben.

Krank? Ja, bin ich, wenn ich mal Zeit habe. Falls das mal der Fall ist, weil langweilig wird mir eher selten. Ich habe oft keine Zeit dazu, mich um dat Trulla zu kümmern. Was nicht heißt, dass ich nicht bewusst lebe und nicht ein Auge auf mich selbst habe, ich mache viel für mich. Ernähre mich fast immer gesund (Sünden müssen sein), rauche nicht, versuche seit Kurzem wieder regelmäßig Sport zu machen und liebe mein Leben zu sehr, als dass ich mich auf das Dasein einer Patientin beschränken würde. Oder könnte.

Patient zu sein heißt für mich in erster Linie, ein Auge auf mich zu haben. Aber nicht mich auf genau das reduzieren zu lassen, oder als Vorzeigeobjekt zu dienen oder als herzeigbares Schmusehäschen, so komme ich mir manchmal vor und überrasche dann, wenn ich mein typisches Eigenleben entwickle und mir meinen Spaß mache. So ist das ja nicht.
Wenn ich oft auf Kongressen unterwegs bin, bin ich oft genug der "EPatient", aber stelle ich mich vor, bin ich erst Birgit, dann Journalistin, dann Social Media Manager, Blogger und dann irgendwann ................. MS Patientin.

Aber ständig nur als Patientin oder Patient gesehen zu werden, reicht nicht. Unsere Gesellschaft oder unsere Mitmenschen, wie immer man es ausdrücken mag, muss lernen, dass man uns doch nicht nur auf eine Erkrankung oder diesen einen Status reduzieren kann oder soll. Was hilft das denn?

In den letzten Monaten war ich viel unterwegs und habe mit vielen Menschen gesprochen, die auch von chronischen Erkrankungen betroffen sind. Und wir haben eines festgestellt: Es hilft nichts. Im Gegenteil. Patient zu sein heißt für viele, dass man die arme Sau ist, die da hinten steht und der man Leben nicht mehr zumuten möchte. Oder kann. Und das stimmt nicht.

Wir leben wie du und ich. Nur manchmal ein wenig anders, mit anderen Umständen oder Konditionen unser Leben betreffend. Aber deshalb sind wir nicht weniger Mensch als jeder andere auch. Patient zu sein heißt für viele, überspitzt gesagt, aufs Sofa zu fallen und die Klappe zu halten, weil nichts mehr geht.

Eine chronische Erkrankung reduziert mich als Mensch nicht. Das passiert von einer anderen Seite und das ist schade. Können wir also bitte damit aufhören?

Ich lebe.
Anders.
Habe andere Umstände zu bewältigen,
brauche manchmal ein wenig mehr Zeit für mich.
Aber sonst?
Ich lebe mein Leben.
Als ich.
Als Birgit.
Als Mensch.

Nicht in erster Linie als Patient. Dass ich das nicht ganz vergesse, dafür sorgt das Fräulein Trulla.

Wie gehts Euch so?

Liebe Grüße
Birgit

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