Donnerstag, 13. August 2015

Nicht drängeln hier!

Gehen wir ein Stück weit zurück in meinem Leben mit Fräulein Trulla. Und das aus aktuellem Anlass.

Als ich die Diagnose bekam, im Januar 2005, kam noch im Krankenhaus nach der Diagnose ein Arzt zu mir und meinte ich müsse mich sofort entscheiden. JETZT! Für eine Therapie. Dazu klatschte mir der gute Mann einige Broschüren über Therapien auf die Bettdecke und wünschte mir viel Glück und meinte, ich müsse bis Montag eine Entscheidung treffen und sofort eine Therapie beginnen. SOFORT!

Es war ein Freitag, es hatte Schneeregen und ich war einigermaßen durcheinander, kannte Fräulein Trulla doch überhaupt nicht und sollte mich für etwas entscheiden, was eigentlich was mit mir machte? Hallo? Waren da noch Infos? Nö. Aber der Doc erwartete eine Entscheidung, man setzte mich unter Druck. Auch von der Seite der Schwestern kam einigermaßen Panikmache rüber.


Ich verließ das Krankenhaus. Mit den blöden Prospekten und keiner Info. Damals kannte ich noch nicht mal Selbsthilfegruppen, andere Patienten oder sonst jemanden, der mir hätte helfen können. Und dazu kommt, dass ich es gar nicht mag, unter Druck gesetzt zu werden. Wer mag das überhaupt?

Ganz ehrlich, ich habe mich damals gefragt, was da los war. Ich bekam die Info was was ich hatte, aber nicht, was passieren würde, was die Erkrankung ist und dann sollte ich  ganz schnell (SOFORT!) entscheiden, welche Therapie ich nehme? Ist das sinnvoll? Eine Frage, die ich mir, als ich am Wochenende das erste Mal ein wenig runterkam ernsthaft stellte.

Ist das verantwortlich gewesen? Mich zu drängen, infolos abzufertigen aber zu erwarten, dass ich für etwas stimme, was ich nicht kenne? Nö. Eindeutig.

Dass ich es nicht leiden kann, unter Druck gesetzt zu werden, habe ich schon erwähnt, die Konsequenz aus sowas ist bei mir einfach: Ich bin stur und sage erst mal nein. Weil ich unter Druck gar nicht entscheiden will, würde ich das tun, hätte ich ewig Zweifel und vor allem würde ich immer darüber nachdenken, was ich nicht in Erwägung gezogen habe, weil ich es nicht konnte.

Wenn so etwas passiert, weiß man vorher, dass ein Vorhaben eigentlich schon fast zum Scheitern verurteilt ist, weil man sich so nie sicher ist, dass man das, was man entscheidet auch gut entschieden hat.

Stur wie ich also war, rief ich am Montag den Doc an, der enttäuscht war, als ich sagte, dass ich erst mal Zeit brauche, um richtig zu entscheiden. Damals dachte ich:  Ich bin krank, erst mal nicht heilbar, derzeit nicht akut. Ich weiß nicht was MS genau ist und muss erst wissen, was da los ist. Dann will ich wissen, was an Therapien zur Verfügung steht und wills verstehen. Solange ich das nicht sicher weiß, geht da gar nix.

Der Grund, wieso ich das aufgreife? Ganz einfach, in den sozialen Netzwerken lese ich immer wieder, dass sich Patienten entscheiden müssen, innerhalb kurzer Zeit, weil der Doc es so sagt. Dabei fällt auf, dass es offenbar immer noch an verständlicher und neutraler Aufklärung mangelt.

Wir Patienten müssen entscheiden. Ja. Aber die Entscheidung müssen wir fällen, sie ist für uns wichtig, beeinflusst Leben,  Wohlbefinden und Lebensqualität. Wir müssen damit klar kommen. Dafür brauchen wir gutes Wissen, Verständnis und einen Ruhemoment, um alles klar zu durchdenken.

Die Rolle des Docs ist für mich klar definiert: Er soll verständliche Fakten liefern, mögliche Unterschiede darlegen, neutral beraten und dem Patienten die Zeit lassen, die er braucht um zu verstehen, eventuell eine zweite Meinung einzuholen oder für ihn wichtige Fragen zu stellen.

Allerdings, das geht nur, wenn es nicht lebensgefährlich wird. Ok?

Für eine gute vor Ort Information sprechen für mich folgende Argumente:

Zahlreiche Patienten gehen eben ins Netz. Dort findet man viele Infos. Viele davon sind richtig, viele davon sind falsch. Wenn man aber keine Grundfakten kennt, wie soll man also entscheiden, was stimmt und was man verwerfen soll?

Ich habe in den vergangenen Monaten bei Kongressen und Konferenzen viel darüber diskutiert, welchen Sinn Social Media macht. Nicht jeder Arzt ist damit einverstanden, manch einer wollte sogar schon das böse Internet löschen. :-) Anstatt sich aber damit zu beschäftigen, wettert man kräftig mit ausgelutschten Argumenten dagegen und scheint die Tatsache, dass Patienten schon lange in Social Media aktiv sind, völlig auszublenden. Klar ist, das möchte ich hier anmerken, nicht jeder Doc ist so, aber es gibt eine Menge, die haben das mit #Neuland noch nicht ganz verstanden.

So und da schließt sich der Kreis schon auch. Wer Patienten schlecht informiert zu Entscheidungen drängt, muss damit rechnen, dass die Infos im Netz auch zu falschen Schlüssen und somit zu falschen Entscheidungen führen. Wie soll man auch anders, wenn man vielleicht den einen oder anderen Zusammenhang oder die eine oder andere Information nicht hat? Hm?

Meine andere Sichtweise ist wirtschaftlich, denn auch das wird ja immer wieder diskutiert.
Wer bedrängt wird, entscheidet oft genug falsch. Wer falsch entscheidet, muss zusätzliche Mittel aufwenden, um möglicherweise die "Nebenwirkungen" einer Enscheidung zu korrigieren. Ein Mehraufwand entsteht. In Zeiten, in denen Ärzte sich über knappe Budgets beklagen, auf die Wirtschaftlichkeitsprüfung hinweisen, wenn es um zusätzliche Therapieverordnungen geht und derlei sollte es doch eigentlich im eigenen Interesse sein, den Patienten zu einer richtigen Entscheidung zu verhelfen. Mit guten Infos, keinen zeitlichen Vorgaben und einem offenen Ohr für Fragen.

Wer gut entscheidet, entscheidet für sich und letztlich doch auch effektiv. Wer gut entscheidet, fühlt sich wohl, macht seine Sache gut und bleibt sehr wahrscheinlich auch bei seiner Therapie.

Und das ist es doch, was wir alle wollen. Oder? Und wenn ein Patient sich gut informiert hat und dennoch "Nein" sagt, dann sollte man das auch akzeptieren.

Ich würde mal so sagen: Es geht darum, sich in seinem eigenen Tempo zu entscheiden und nicht in dem, was andere einem vorgeben. Wir sind die Patienten und jeder einzelne von uns entscheidet für die eigene Gesundheit. Wenn das einen Moment länger braucht, steht dieser uns zu und keiner hat das anzuzweifeln.

Es ist also Zeit für gute Infos, vernünftige Beratung und Patientenbildung.

Wie denkt Ihr?

Liebe Grüße
Birgit


Bilder: pixabay.com
Text Birgit Bauer
Copyright 2015
Sollten Sie einen meiner Texte nutzen wollen, freue ich mich über eine vorherige Kontaktaufnahme und Absprache. 



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