Mittwoch, 26. August 2015

Lernen für mich! Oder warum ich mich als Patientin weiterbilde!

Heute möchte ich den Platz hier nutzen, um mal einigen lieben Menschen, die mir in den sozialen Netzwerken begegnen und die mich immer fragen, was ich eigentlich da in diesem "Expert Patient Course" mache und lerne, einige Fragen zu beantworten.

Zuerst mal so: Als ich 2005 die Diagnose bekam, war ich quasi krass ahnungslos. Ich hatte weder Wissen über MS, noch bekam ich es und noch war mir klar, welche Rechte man als Patient so hat und welche Möglichkeiten es gibt.

Im Laufe der Zeit habe ich mir so einige Dinge erarbeitet. Mit Recherche, ständigem Fragen, kritischen Betrachtungen (die ich übrigens jedem empfehlen würde, der sich mit einer Erkrankung auseinander setzen muss, weil nicht immer alles, was man an Wissen vorgesetzt bekommt stimmt!) und vielem mehr. Ich vernetzte mich mit anderen und hörte auf, nur das zu konsumieren, was mir vorgesetzt wurde, sondern begann damit, mir eine eigene Meinung über die eine oder andere Sache zu bilden. Was gar nicht so einfach ist. :-)


Nicht einfach deshalb, weil es oft für "Otto Normalpatientin" nur beschränkten Zugang zu Informationen gibt. Oder die Informationen sind so formuliert, dass man sie erst mal gar nicht versteht und denkt, sie wären in einer anderen Sprache.

Als ich vor Jahren an einer klinischen Studie teilnehmen sollte, wurde mir klar, wie wichtig Wissen für einen Patienten ist.

Der Arzt gab mir folgende Auskunft: Es ist alles sicher, es wird regelmäßig getestet, der Wirkstoff ist vielversprechend und sie müssen vorher einige Tests bei Fachärzten machen. Wir überwachen das regelmäßig und es kann eigentlich nichts passieren.

Dass ich ein Papier bekommen sollte, in dem alles steht, was ich wissen musste, wurde mir nicht gesagt. Als ich einige Stunden, bevor ich zu ersten Terminen aufbrechen sollte, das erste Mal ein dicht beschriebenes 20 Seiten Pamphlet bekam, auf dem "nur" meine Unterschrift fehlte, gingen mir die Augen auf. Der Inhalt gruselte mir und ich verstand viele Punkte nur teilweise oder gar nicht. Ich hatte auch keine Ahnung, wieso man mir dieses Papier nicht vorher ausgehändigt hatte, mir einen angemessenen Zeitraum zum Studium des Papiers gewährte und für Fragen zur Verfügung stand. Ich lehnte ab. Die Konsequenz? Ich begann zu recherchieren, bildete mich weiter und würde man mir heute eine Studienteilnahme antragen, würde ich anders handeln und diskutieren.

Woher ich das und viel mehr weiß?

Das liegt zum einen daran, dass ich recherchiere, mich bei Kursen von Patientenorganisationen anmelde, an Webinaren teilnehme oder mir Aufzeichnungen von Events ansehe, die spannend sein könnten.

Hauptanteil aber hat ein Kurs, an dem ich seit Oktober 2014 teilnehme. Das Projekt EUPATI (European Patients Academy on therapeutic Innovations) gibt es seit 2012 und hat einen eindeutigen Zweck: Patienten weiter zu bilden. Mit Wissen zu versorgen, das hilft, viele Vorgänge zu verstehen oder auch den Doc. Ab und an.

Als man im letzten Jahr den "Expert Course" ausschrieb, bewarb ich mich und bekam einen Platz. Als einzige Deutsche.

Trainingsprogramm Expert Course im Kurs
Ganz ehrlich, einfach ist es nicht, wenn man auf Englisch mit der Gestaltung von klinischen Studien konfrontiert wird.
Man hört von Generika,  welche Behörden, Germien und Gruppen darüber beraten, ob ein Wirkstoff tatsächlich beim Patienten ankommt und vieles mehr.
Es geht darum zu erfahren, was ein ethisches Kommittee macht, welche Entscheidungen getroffen werden und als wir uns in diesem Jahr das erste Mal in Barcelona zum Lernpflichttermin trafen, habe ich einen Platz in einem Rollenspiel ergattert, das genau diese Entscheidungsfindung nachstellte.

Keiner von uns wusste zunächst, wer in diesem Gremium sitzt und welche Rolle wer spielt. Spannend war, dass einige der Teilnehmer schon Erfahrung damit hatten und die Sache der Realität mehr als nahe war. Ich war als Dermatologin in der Runde und musste beschreiben, wie sich Teenager mit Psoriasis in der Schule fühlen und wieso ich die Studie befürworte. Es war spannend und weckte mehr Neugierde in mir. Wie entscheidet man so etwas? Spannend sage ich euch.

Dazu kommt eine Menge Wissen in Bereichen wie Pharmakovigilanz, also der Überwachung fertiger Arzneimittel, um unerwünschte Nebenwirkungen zu entdecken und so das Risiko zu minimieren. Ich lerne auch die andere Seite kennen, die der Hersteller. Das erleichtert manche Argumentation und hilft mir auch, zu verstehen, wie manche Entscheidung zustande kommt.

Es ist ein vielfältiges Paket und ich bin eine von ca. 50 Teilnehmern, die aus 21 Ländern zusammen kommen und gemeinsam dazu lernen. Viele von uns sind in Patientenorganisationen, zahlreiche Teilnehmer sind selbst Patienten und neben dem Lernprogramm, das übrigens online läuft und zwei Pflichttermine zum  Live - Lernen in Barcelona vorsieht, bekommt man eine Menge über Gesundheitssysteme anderer Länder mit. Der Kurs dauert noch bis Dezember und dann bin ich ein großes Stück weiter. Das bin ich jetzt schon. Denn das Wissen über die Fachbereiche wende ich jetzt schon an.

Für mich ist der Kurs aus verschiedenen Sichtweisen interessant. Als Journalistin kann ich hochwertiger berichten, als Patientin kann ich dem Doc in der Diskussion anders begegnen, was ihm nicht so gefällt :-) und als Speaker für Patienten kann ich besser argumentieren und andere Aspekte aufzeigen.

EUPATI ist also ein Projekt, das Patienten näher an wichtiges Wissen bringt. Daher hat das Team auch dafür gesorgt, dass in vielen Ländern in Europa nationale Teams integriert werden.
Dazu gibt es ein so genanntes Tool Kit, das in den einzelnen Ländern helfen soll, mehr Bildungsprogramme für Patienten / Patientenorganisationen zu entwickeln.

In Deutschland warten wir noch auf das Team. Leider. Dabei wäre es so wichtig. Und ich hoffe wirklich, dass das noch etwas wird. Wir brauchen es!!!

Warum? Ganz einfach, wer als Patient mehr weiß, kann besser entscheiden, sinnvoller und wahrscheinlich sogar effektiver, was Kosten betrifft. Es ist an der Zeit, ein besseres und transparentes Bildungssystem für Patienten zu etablieren und dafür zu sorgen, dass Patienten mit Ärzten und Pflegern auf einer Augenhöhe diskutieren können. Es ist an der Zeit, dass Patienten lernen, Vorgänge  besser zu verstehen. Dann könnte man vielleicht auch das eine oder andere Vorurteil entkräften und dafür sorgen, dass Kommunikation neue Wege gehen kann und das wäre wirklich nötig.

Auf der anderen Seite ist es Zeit für Patienten, sich für mehr Information zu engagieren, vom passiven Konsumenten zum aktiven Patient zu werden. Für bessere Entscheidungen, für uns. Aber dafür brauchts Wissen. Und das muss man lernen. Als Patient tut mans letztlich für sich und den eigenen Weg, die Lebensqualität und auch für das Wohlbefinden.

So, wer hat noch Fragen?

Liebe Grüße
Birgit





3 Kommentare:

  1. WOW! Lieben DANK! für diesen tollen Bericht und Einblick!! LG Nicole PS: Schreibe Dir noch eine mail.....

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  2. Hallo Birgit,
    prima Sache - "in klein" findet sich so was auch immer mal auf lokaler Ebene.
    So haben in HH mehrere von uns mit MS ein wissenschaftliches Kompetenztraining gemacht, da haben wir auch Studien im Original (also auf englisch ) gelesen, einige Jahre lang klappte das ganz gut - ist jetzt aber schon etwas her (Arbeitsergebnisse stehen noch online, sind jetzt aber veraltet, leider... Link Fachwissenschaft Gesundheit: Universität Hamburg
    MS-Journalclub: Vorstellung
    Von 2005 -2010 wurden von MS-Betroffenen Studien im Rahmen eines Journalclubs gelesen und bewertet.
    http://www.gesundheit.uni-hamburg.de/cgi-bin/newsite/index.php?page=page_268 MS-Journalclub

    Aktuell mache ich mit bei der Hamburger Patientenvertretung, da lesen wir keine Studien, aber einge sind aktiv in Ethik-Kommissionen, andere in anderen Gremien...
    Forum Patientenvertretung in Hamburg http://www.patienten-hamburg.de/
    Bündnis der Patientenorganisationen nach § 140f SGB V

    (zur Vermeidung von Spam ohne E-Mail-Addy, sorry)

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    1. Danke für den Kommentar. :-) Zum Kurs: be eupati lesen wir eher weniger Studien, wir lernen, wie man sie konzipiert, welche Faktoren zur Entscheidungsfindung beitragen und wie die Genehmigungswege sind. Also den Weg vom ersten Molekül zur fertigen Therapie. Lokale Initiativen finden sich wahrscheinlich eher in größeren Städten, hier ist es mehr als übersichtlich. Leider.

      Nur mal zur Info auch an alle: Eine Emailadresse bekomme ich auch nicht, wenn jemand bei Blogger.com gemeldet ist, dann sehe ich dessen Blog. Zumal ich ohnehin keine Newsletter versende oder Spams. Das wäre nicht gerade im Rahmen der gültigen Regel. Wer sich regelmäßig über Aktivitäten informieren lassen möchte, kann sich über den Subscriber eintragen. Jedem steht es aber jederzeit frei auch anonym zu kommentieren, da in der letzten Zeit recht zahlreich Werbung gemacht wurde, wird ohnehin alles kontrolliert. Werbelinks oder seltsame, nicht nachvollziehbare Links werden nicht veröffentlicht.

      Viele Grüße, Birgit

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