Donnerstag, 8. Oktober 2015

Freischwimmer!

In der letzten Zeit ist hier viel los. Unter anderem gab ich ein Interview zum Thema Zukunft. Das hinterließ Spuren.

Wobei ich gar nicht über Zukunft reden will sondern über etwas, das ich mir so während des Gesprächs dachte. Mein Gegenüber bemerkte, dass ich so wirke, als würde ich sehr in mir ruhen. Ich sagte: "Na ja, ich bin halt angekommen!"

Und dachte, ich hab mich freigeschwommen. Bin wohl ein Freischwimmer und fand das ziemlich interessant. Der Gedanke hat mich ein bisschen verfolgt, während ich in Flugzeugen saß und zur Ruhe kommen konnte oder wenn ich mir eine Auszeit gönnte.


Es ist doch so, wir alle leben irgendwie in Konventionsschablonen. Man macht dies nicht, weil das könnte blöd aussehen, man sagt das nicht, weil es sich nicht gehört und man hat damit Schwierigkeiten, weil man es noch nie getan hat.

Als ich die Diagnose bekam, war das auch so. Mal abgesehen davon, dass die Konventionen mich quasi abstempelten. Nicht bei jedem aber bei so manchem Zeitgenossen war ich auf einmal das zu bemitleidende Etwas, das zu nichts mehr gut war. Ich sag nur soziale Isolation. Etwas, was in unserer Gesellschaft noch immer viel zu oft passiert. Aber wo man doch nicht über Krankheit spricht ... das habe ich schon auch gehört.

Wie auch immer, die Zeit war nicht leicht und ich verstand irgendwann, dass ich entweder Entscheidungen treffen musste, die höchstwahrscheinlich nicht jedem passen würden oder eben in Schweigen verfallen und alles hinnehmen musste, was da eben kam. Hinnehmen hätte bedeutet, das Mitleid mitzunehmen, nie über MS zu reden, schön sittsam und brav die Patientin geben und ja, am Ende doch irgendwie auch mein Leben aufzugeben. Was jetzt gar nicht geht.

Ich begann also in einem, bildlich gesprochen, sehr kaltem Wasser zu schwimmen. Oft genug gegen den Strom und somit auch gegen Konventionen oder Vorurteile. Wenn ich heute zurückschaue, wars eine harte Strecke. Keine Frage. Es ist nicht immer nett, ohne Schwimmflügel zu strampeln und sich manchmal echt am Ende seiner Kraft zu fühlen. Auf der anderen Seite wurde das Wasser mit jedem Zug angenehmer, ruhiger und verlor seine Kälte. Irgendwann kamen sogar Schwimmreifen zur Unterstützung daher, ich fand Plätze zum Verweilen und Ausruhen und fand am Ende ein Plätzchen, wo es mir gefällt.

pixabay.com


Mit der Zeit, das erkenne ich heute, nach diesem Interview, habe ich mich echt freigeschwommen und mein Leben in die Gewässer gelenkt, die mir gut tun. Ich entscheide selbst, was passt und was nicht und ich glaube, ich bin heute das, was man einen "Empowered Patient" nennt. Also jemand der selbstbestimmt lebt. Und das wiederum ist als Patient gar nicht so einfach. Weil jeder etwas weiß und viele sehr schlau sind und gerne Anweisungen an Patienten erteilt werden. :-)

Zugegeben, ich habe gerade am Anfang, viel verloren. Menschen, Hilfe, aber am Ende habe ich mehr dazu gewonnen, weil ich mich für mich entschieden habe. Und das war gut so.

Es ist gut, ein Freischwimmer zu sein. Selbst zu bestimmen, was geht oder was nicht und dabei doch offen bleiben zu können, für das, was in der Welt passiert und was Menschen an einen heran tragen, die es wirklich offen und gut mit einem meinen. Und dem Rest, dem schwimmt man am Ende davon, weil man Freischwimmer ist.

Liebe, philosophische Grüße
Birgit

Bildquelle: pixabay.com

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