Sonntag, 2. Oktober 2016

Nicht aufgeben!

Als ich die Diagnose MS bekam, sagte ein ziemlich kurz angebundener Neurologe zu mir, dass ich nicht sterben werde.

Welch tröstliche Worte oder? Haste grad die Diagnose, weißt überhaupt nicht, wie damit umzugehen ist, oder wie man mit MS überhaupt leben soll, aber der Kerl schmiert dir quer über die Visage, dass du nicht stirbst und geht. Grandioses Behandlungskonzept, sag ich da nur.



Gut, heute, ein bisschen mehr als 11 Jahre später weiß ich, dass Leben mit MS durchaus geht. Möglich ist. Und dass es gar nicht so übel ist. Tun muss man halt etwas dafür. Als ich den Ze.tt Bericht über eine junge Frau las, die gerade ihre Diagnose bekommen hat, dachte ich, ich muss was loswerden. Und das kommt jetzt.
Hier könnt Ihr übrigens den Artikel nachlesen: http://ze.tt/jung-und-unheilbar-krank-diagnose-multiple-sklerose/


Also, ja, MS ist derzeit nicht heilbar. Aber die Forschungen laufen und es gibt ganz gute Möglichkeiten, MS zu behandeln und etwas für sich zu tun. Und zwar in beiden Bereichen, also den konventionellen Wegen genauso wie bei den Alternativen.

Was man tut oder auch nicht, das muss man selbst entscheiden. Und da sind wir bei einem Punkt, den ich jeden nur so ans Herz legen kann: Informiert Euch! Es ist wichtig, dass Ihr Bescheid wisst. Und traut nicht jeder Info, sondern sucht euch Quellen, die wirklich gut einschätzbar sind und denen man vertrauen kann.

Die Links zu den deutschen Patientenorganisationen:

https://www.dmsg.de/
http://www.amsel.de/

Auf Twitter / Instagram unter den #MS #MultipleSklerose für Englisch: #MS #multipleSclerosis #LivingwithMS

Und auf Facebook gibts jede Menge Gruppen zur MS, einfach ins Suchfeld eingeben.

Und ein Spezial für die, die Mamas werden wollen oder Mamas mit MS sind. Katarina von staublos ist grandios und witzig und eine, die MS wirklich kennt. staublos - MS Blog von Katarina! Ich hatte das Vergnügen Katarina vor Kurzem persönlich zu treffen und auch das ist ne Powerfrau!



Natürlich könnt Ihr auch Dr. Google befragen, aber bitte: Seid vorsichtig, hier gibt es viele Links zu Artikeln, die entweder superalt oder auch längst überflüssig sind, ebenso Artikel, die einfach faktisch nicht richtig sind. Hier also aufpassen.

Nun aber zu unserer jungen Frau, die das Leben gerade so vor sich hat und am Ende doch zweifelt. Was total verständlich ist.

Das ging mir durch den Kopf, als ich den Bericht las: 

Leben mit MS ist nicht einfach. Jeder, der das behauptet, liegt schlicht falsch. Mir haben sie das auch gesagt, als ich mit der Info über den Tisch kam: Ach das geht schon. Das Leben geht ganz normal weiter und ich kenne welche, die fahren sogar noch mit dem Auto. Äh, ja. Vergesst so einen Scheiß einfach. Das ist aus der Schublade: Denn sie wissen nicht, was sie da reden. (sollen) Und anstatt den Mund zu halten, geben sie etwas Unsinniges von sich, von dem sie glauben, es hilft, ohne dabei zu ahnen, wie sehr es einen trifft.

Leben mit MS ist anders. Das ist so. Da kommt man nicht drum herum, aber es ist nicht vorbei. Gerade am Anfang neigt man dazu, das zu glauben. Ist aber nicht so. Es ist oft ein anderer Weg, den man beschreitet, man lebt manchmal ein bisschen langsamer, oft aber auch bewusster.

Als ich mit Fräulein Trulla ins Leben ging, war ich genauso, nichts mehr tun, was ich geplant hatte, ich gab Pläne auf und entschied mich gegen Dinge, die ich gerne gemacht hätte. Was verständlich ist, weil: Man muss sich erst im Leben einrichten, lernen mit MS zu leben. Wieder den eigenen Rhytmus finden und sich selbst wieder spüren.

Was soll ich sagen? Ich bin heute mutiger als früher, ich mache Dinge, die hätte ich ohne MS nicht gemacht, ich habe aber auch  Dinge aufgegeben, weil mir klar war, dass es mit MS nicht mehr so gut gehen würde. Inline Skaten, hohe Absätze tragen, und noch so einige Dinge. Jedes von diesen Dingen, die ich zurück gelassen habe, war ein schmerzlicher Abschied. Dafür bekam ich aber viele neue Sachen dazu. Ich lernte, wesentlich bewusster mit mir umzugehen, Nein zu sagen, gewann neue Freunde, denn ja, so blöd das ist, man verliert auch Menschen. Dafür bekommt man aber andere zurück, die besser passen und weniger Schmarrn schwafeln.

In dem Artikel sagt die junge Patientin, sie denkt darüber nach, ob das mit Kids überhaupt noch gehen würde und geht auch nicht auf ein Auslandssemester. Weil man nicht weiß, was in zehn Jahren ist.

Ja, das weiß man nicht. Aber das weiß man nie. Oder kann einem ein "normaler" Mensch ohne MS sagen, was in zehn Jahren ist? Ich glaube nicht. Leben kann man nur bedingt planen, die Dinge, die ungeplant dazwischen kommen, kennt man nicht.

Deshalb: ja, erst lernen, wie das mit der MS ist, keine Frage. Aber: Gebt Eure Pläne nicht auf!!

Wenn es ein Auslandssemester sein soll, hilft es, sich vorher zu informieren, wie die Versorgung in Sachen neurologischer Hilfe in dem Land aussieht und sich mit dem eigenen Neurologen zu verständigen, was ein Notfallplan sein könnte. Aber in den meisten europäischen Ländern, auch in Nordamerika findet sich in großen Städten eine gute Versorgung und ganz ehrlich: Man ist oft nur einige Flugstunden von Deutschland entfernt.

Und vernetzt Euch!!!! Die MS Leute da draußen, die sind so dermaßen gut vernetzt in Social Media, sie sind auf Twitter, diskutieren auf Facebook und überhaupt: Wir sind da. Vernetzt Euch mit uns. Jeder hat Tipps und weiß etwas und oft findet man in den angepeilten Ländern Leute mit MS, die allzu gerne bereit sind, jemanden zu unterstützen und in vielen Ländern gibt es tolle MS Organisationen, die ebenso ansprechbar sind.

Was Kids betrifft: Hey, sprecht mit Euren Ärzten über Kinderwunsch und Co. Aber wenn Ihr Nachwuchs haben wollt und eine Familie möchtet, lasst Euch von der MS nicht abbringen. Wir wissen heute so viel über MS und Schwangerschaft, dass sich dafür Lösungen finden lassen und ich kenne genügend Frauen mit MS, die heute glückliche Mütter sind.

Also, Ihr Newbies da draußen und besonders du, die im Artikel erzählt: MS zu haben heißt auch, ein starkes Netzwerk haben zu können. Die MS Community ist eine, die sehr zusammenhält, die sich gegenseitig hilft und wo einen jeder versteht.

Ja, Leben mit MS ist nicht einfach, oft scheitert man an den dämlichen Vorurteilen, man eckt an, wenn man Nein sagt, muss andere Wege gehen, die andere wieder nicht verstehen und vieles mehr. Aber Leben mit MS hat auch schöne Seiten. Die, in denen  man merkt, dass man nicht alleine ist, dass es dennoch Menschen gibt, die verstehen, dass die MS einen nicht ausmacht und solche, die Tage einfach nur cool sein lassen.

Meine wichtigsten Punkte für Euch?

1. Geht erste Schritte und fragt nach Unterstützung. Mit geht es leichter. Und wenn es mental nicht geht, fragt nach einem Psychologen.
2. Informiert Euch und zwar richtig. Wer mehr weiß und sich einliest, kann am Ende besser entscheiden und jede Entscheidung, die ihr trefft, ist für Euch. Niemals für einen Arzt, für einen Mitmenschen oder andere Fuzzis, die Euch sagen wollen, was gut für Euch ist. Das wisst nur Ihr! Tut Euch selbst gut. Und wenn die Entscheidung eine unpopuläre ist, bitte. Dann ist das so.
3. Vernetzt Euch! Wir sind da und geistern durchs Netz. Erfahrene Patienten, die denen, die gerade so ins Leben mit MS geschubst werden, zumindest eine Schulter geben können oder sogar einen Tipp parat haben.

Und tut eins nicht: Gebt Eure Pläne nicht auf. Viele von Euch sind zu jung um aufzugeben und viel später hadernd auf dem Sofa zu sitzen und zu überlegen, was gewesen wäre wenn .... Wir leben in einer Zeit, die uns mehr Möglichkeiten bietet, als man denken kann, organisiert euch gut und legt los. Das Leben hat trotzdem noch viel im Angebot.

Tun müsst Ihr das aber selbst. Anfangen und loslegen, langsam, mit  Bedacht und oft schauen, was gut oder was schlecht war. Das ist ein Tipp von mir. Ich habe auch langsam losgelegt, immer wieder geschaut, wie das, was da passierte, so wirkte und dann weiter gemacht. Oder etwas geändert.

Aber wegen Trulla alles einstellen, was mir wichtig gewesen wäre? Never!

Jetzt kommt etwas, was vielen oft nicht gefällt: Mein Leben mit MS hat so seine Ecken und Kanten, aber es ist besser als vorher. Ich lebe bewusster und habe wieder gelernt, neben dem Greifen nach dem Großen, das Kleine, Winzige mehr zu schätzen und bin zufriedener. Auch unsere Beziehung ist gewachsen und inniger geworden.

Klar, gibt auch das Gegenteil, aber das ist die Sache, die man immer selbst aus etwas macht. Und das Leben ist es wert, gut gelebt zu werden. Mit MS oder ohne.

Alles Liebe,
Birgit


Bild: Birgit Bauer
Text: Birgit Bauer, Copyright 2016

2 Kommentare:

  1. Vielen, vielen Dank für den Artikel.

    Nach nunmehr 4 Monaten nach der Diagnose kann ich alles nur bestätigen. Und die Community hält zusammen, mir haben "ältere" MSler schon viel geholfen, mit der Diagnose klar zu kommen.

    Und Du gibst mir auch sehr viel posivites mit diesem Blog.

    LG Elke

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