Donnerstag, 13. April 2017

Das was du da hast ... oder wie man das Kind beim Namen nennt!

Ich: Sprich mir nach.
Er: Was?
Ich: Sag: Ich finde es gut, dass du dein Leben mit multipler Sklerose, auch MS genannt, so gut hinkriegst!
Er: Ich finde es gut, dass du dein Leben mit multipler Sklerose, auch MS genannt, so gut hinkriegst.

Grinst mich frech an, umarmt mich und sagt: Wieso muss ich so was sagen?

Ich: ich wollte nur wissen, ob es dir auch so schwer fällt, das Kinde, äh, das Fräulein Trulla beim Namen zu nennen.

Er: Multiple Sklerose. MS. Ich kann das!

Nun ja. wie es kam ....
Vor einigen Tagen sprach ich mit jemandem, der mich seeeehhhhr lange kennt und von der MS sehr früh wusste. Es kam auch zur MS. Eigentlich ein Thema, das wir vermeiden, weil ich weiß, dass diese Person irgendwie ein Problem hat. Warum? Keine Ahnung. Über die Jahre habe ich mich damit abgefunden und meinen Frieden damit gemacht, dass diese Person wenig darüber weiß, noch weniger von mir darüber wissen will und anscheinend lieber unter meiner MS, meinem Fräulein Trulla leidet als sich einmal ordentlich zu informieren und mich mal richtig zu sehen.

"Das, was du da hast ...." bringt mich dann ab und an schon schnell mal auf 180. So in 0 Sekunden. Nicht immer, wenn ich einen guten Tag habe, ist mir das wumpe, aber in dem Moment war es das nicht. Es hat mich nur geärgert und zwar richtig.

"Nenn das Kind doch mal beim Namen: Multiple Sklerose, MS. Du hast es nicht, sondern ich und daher kannst du das auch sagen, es wird nicht als Flaschengeist bei dir aufschlagen!"



Warum ich mich da ärgere? Weil ich seit 12 Jahren mit Fräulein Trulla durchs Leben gehe. Klar war es am Anfang für uns alle ein Schock und es brauchte bei dem einen oder anderen durchaus etwas länger, das zu verdauen. Ich glaube, ich war damals wohl die, die am schnellsten damit irgendwie klar kam. Vielleicht weil ich klar kommen musste? Aber ich hatte kapiert, dass die Erde sich frecherweise weiter gedreht hatte und mir nur wenig Wahl blieb. Also versuchte ich, das Beste draus zu machen. Digitale Entscheidung: Ja - ich lebe weiter und versuche wieder Spaß zu haben - Nein - ich suhle mich wie ein Schwein im Selbstmitleid und komm nicht aus der Kuhle und werde zur ewigen Patientin.

Klar was die Entscheidung war oder? Ich hatte Lust auf Leben und hab sie bis heute echt nicht verloren. Warum auch? Wegen der Trulla?

Ich ließ den Rest der Welt mal eben allein, weil ich mich damals um mich kümmern musste und ich glaube, das ist durchaus verständlich. Aber ich bekam meinen MS-Freischwimmer, will sagen, ich habe mich mit meinem Leben beschäftigt, fand meinen Weg und habe begonnen, ihn zu gehen und genieße mein Leben wieder.

Etwas, das mein Gegenüber nicht sehen wollte, will und nie sehen wird. Weil das, was ich da habe, nämlich Spaß, Lust am Leben und ein Leben, das auch mit MS gut ist, im Weg steht. Drüber reden oder gar fragen, wie es mir geht, ist überhaupt nicht drin. Was auch schade ist. Ich hab ja nicht nur MS, sondern auch mal eine Erkältung oder so.

Aber seit MS ist da eine Kopfbarriere und das nervt mich. 12 Jahre später ... immer noch weinerliches Mitleiden. Was echt schade ist, denn genau das macht diese Beziehung nachhaltig kaputt. Denn ich kann nicht mehr erklären oder vermitteln, ich habe sämtliche Strategien probiert, Verständnis in Dosen massenhaft verblödelt und blieb dennoch auf der Strecke mit dem Versuch zu sagen, dass MS nicht immer einfach ist, dass es nervt und blöd daher kommt und man ab und an mit dem sauren Apfel des "Nein" leben muss, wenn man etwas absagt oder was nicht kann.
Macht auch keinen Spaß. Ehrlich. Aber damit muss ich doch zurecht kommen und daher darf man das Kind auch beim Namen nennen: Multiple Sklerose. MS. Weil sie  nicht anstreckend ist und gar nicht das Recht hat, bei denen, die sie nicht haben, so dermaßen präsent zu sein, dass sie einen selbst, der es hat, radikal verdrängen und zum Patientenelend reduzieren. Das ist es nämlich, was diese Barriere macht.

Und so haben immer wieder Menschen MS und doch nicht. Und solange diese Menschen sich in der MS der anderen vergraben, warum auch immer, wird es Vorurteile geben, dumme Klischees und Halbwahrheiten. Die Wirkung ist, wie ich schon sagte, unangenehm. Für alle eigentlich. Für den Menschen, der wirklich MS hat und den Menschen, der sie nicht hat, aber noch mehr darunter "leidet", mir gefällt "sich von der MS bestimmen lässt" ja besser. Ich mag leiden als Begriff nicht, aber diese Menschen scheinen mir wirklich zu leiden.

Und das macht das Zwischenmenschliche kaputt. Die Frage ist: braucht man das?
Oder wäre es vielleicht nicht besser, würde man sich als jemand, der gar keine MS hat, aus der Elendsmatschpfütze befreien, die Barriere mit guter Information einreißen und das sprichwörtlicheKind, äh, das  Fräulein Trulla (ich habs eh schon vereinfacht ...) beim Namen nennen und damit auch ein Stück weit abgehaken? Damit normales zwischenmenschliches Leben ohne Elendsfaktor stattfinden kann.

Oder?




Liebe Grüße
Birgit

Bilder: Pixabay.com
Text: Birgit Bauer 


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