Freitag, 31. März 2017

Wenn der Schuss nach hinten los geht und warum ein Video für Entrüstung sorgt!

Seit Tagen geistert ein Video durch das Netz, das gerade die Gemüter der Menschen mit MS ziemlich erregt und verärgert.

Ein engagierter Patient mit MS wollte für Aufmerksamkeit sorgen, was die Multiple Sklerose betrifft. An und für sich nicht schlecht, MS könnte wirklich mehr davon vertragen, gerade was die Öffentlichkeit betrifft. Also schickte sich der junge Mann an ein Video zu machen.

Witzig sollte es wohl sein und ab und an etwas satirisch und provokant. An sich auch nicht schlecht. Darf auch mal so sein.


Gerade was MS betrifft, hört man ab und an etwas schwarzen Humor oder auch Ironie, gerade wenn es um die in der breiten Öffentlichkeit existierenden Phrasen für Menschen mit MS geht wie "Ach du siehst aber gar nicht krank aus" oder "die säuft doch ...".

Der gute Wille war sicherlich da,  aber was am Ende dabei heraus kam, bewegt die Community und zwar so richtig.

Hier erst mal zur Ansicht des Videos mit einem dazu gehörenden Bericht aus dem Magazin Horizont: http://www.horizont.net/marketing/nachrichten/Social-Spot-So-witzig-trommelt-Clap-Macher-Bulo-fuer-die-Multiple-Sklerose-Gesellschaft-144057

Hier gehts zur YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=lSU5iXw85DQ

Online ging das Video bereits im vergangenen Jahr und letztlich bittet es neben der gewünschten Aufmerksamkeit auch um Unterstützung für die DMSG - Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, die zahlende Mitglieder braucht, was verständlich ist.

Was dann geschah ...


....ist kurz gesagt ein Shitstorm.


Wieso? 


Unter dem Motto "Verlier nicht die Lust" erzählt der junge Mann, im Rolli sitzend, dass Häppchen ohne hin nicht mehr schmecken, weil er sie wahrscheinlich bald nicht mehr halten kann und vielleicht auch noch blind wird. Auf der anderen Seite, das Leben im Rolli ist ja nicht so schlecht, kann man den weiblichen Partygästen ja so schön in den Ausschnitt schauen. Das kurz zusammengefasst.

Die Community, jede Menge Menschen mit MS sind entrüstet und entsetzt.

Viele äußerten große Bedenken ob der Person im Rolli. Sie erscheint negativ und wenig lustvoll. Und das, obwohl man im Video klar die Botschaft bringt, der Zuseher, sprich Mensch mit MS solle nicht die Lust verlieren.




Die Bedenken kann ich verstehen: Gerade die, die erst kürzlich die Diagnose erhalten haben sehen hier einen Mensch mit MS, der bereits im Rolli sitzt und der wiederum erklärt, dass Häppchen ohnehin nicht schmecken und er sie nicht braucht, weil er sie vielleicht in wenigen Jahren ohnehin nicht mehr in der Hand halten kann. Vielleicht wird er auch blind. Tolle Aussichten, wenn man noch nicht einmal weiß, wie Leben mit MS geht und psychologisch gesehen bestimmt sehr wertvoll. Abgesehen, dass ich oft las, dass der Sinn und der Inhalt des Videos generell erst einmal wenig verstanden wird.

Schade, dass man der Erkrankung, die nicht einfach zu leben ist und die ohnehin jede Menge Schwierigkeiten mit sich bringt und für eine große Anzahl an Vorurteilen und falschen Annahmen in der breiten Bevölkerung sorgt, so einen negativen Touch verleiht. Das hilft uns allen bestimmt, wenn es darum geht. MS zu erklären oder einfach damit einen Job zu finden oder sonst was. Es ist auch ungemein förderlich für die, die Zukunftsängste haben oder generell über Zukunft nachdenken.

Andere Aufreger waren auch die Darstellung der Frau im Video. Oft genug war in den sozialen Medien die Frage zu lesen und zu hören, ob wir in dieser Zeit wirklich die Frau nur als Sexobjekt darstellen müssen, noch dazu in einem Video wie diesem. Und mit einer Erkrankung wie dieser, deren weiblicher Anteil an Patientinnen weit höher ist als der männliche Anteil, könnte man sich durchaus fragen, ob das nötig ist. Die DMSG schrieb bereits 2015 in einem Artikel, dass rund 70 % der Menschen mit MS in Deutschland Frauen sind. 

Und das ist jetzt moderat geschrieben, um hier wenigstens einigermaßen in der gebotenen Sachlichkeit zu bleiben.

Unterm Strich betrachtet: 

Dieses Video mag wohlmeinend und mit großem Engagement gemacht sein. Es ist kostenfrei für die DMSG, ja und jemand hat sich wirklich eingesetzt. Das muss man wertschätzen. Die DMSG ist sicherlich erfreut über den Einsatz und freut sich über die Werbung, da der Clip wohl auch kostenfrei auf verschiedenen Sendern laufen soll. Nun gut.

Aber das Filmchen hinterlässt bei einem Großteil der Community deutlich Frust und auch einen bitteren Nachgeschmack. Schade, sollte es doch der Multiplen Sklerose Aufmerksamkeit verschaffen und der DMSG natürlich auch.

Viele, so hörte ich, haben vor, ihre Mitgliedschaft zu kündigen. Auch nicht gut für die Organisation, die übrigens bis heute nur verhalten bis gar nicht geäußert, was Anmerkungen aus der Community in Social Media betrifft. Man hätte hier im Sinne einer guten Strategie in Sachen Kommunikation, nachdem Bekanntwerden des Entrüstungssturms durchaus beruhigend und erklärend auftreten müssen. Nicht zuletzt, um auch die zu beruhigen, die gerade anfangen mit der Diagnose zu leben oder die im Moment ohnehin in einer Krise stecken. Das wäre ein aktives Annehmen und Übernehmen der moralischen, wie ethischen Verantwortung, die eine Organisation ihren Mitgliedern gegenüber hat.

Persönlich: 

Als ich das Video zum ersten Mal sah, konnte ich nur mit dem Kopf schütteln. Ich habe es Freunden gezeigt, dem Herzblatt und die Meinung ist klar: Das ist schlicht geschmacklos. Und das habe ich - typisch Frau, die sogar mehr als nur Oberweite hat, nämlich ein Hirn - einige Male heftigst hinterfragt. Aber, es bleibt beim schlechten Eindruck.

Als Frau fühle ich mich tatsächlich äußerst unwohl und frage mich, will der Kerl mir jetzt in den Ausschnitt starren weil er im Rolli sitzt und mich damit zum Sexobjekt reduzieren? In Zeiten wie diesen könnte man meinen, die Menschheit wäre etwas weiter in der evolutionären Entwicklung. Etwas, das ich hiermit in Frage stelle. Den angekündigten humoristischen Touch suche ich auch immer noch, das Augenzwinkern übersehe ich auch und auch der satirische Denkansatz ist wohl unbemerkt geblieben. Nun gut.

Man könnte es auch so sagen: Der Schuss ging in allen Bereichen nach hinten los.

Als MS Patientin bin ich betroffen von der Art der Darstellung der Erkrankung. Das Negative schockiert mich und auch ich bin in Sorge um die, die eben keine Erfahrung haben, was das Leben mit MS betrifft.

Eines an dem Video stimmt: Verliert nicht die Lust. Die Lust am Leben! Sie ist wichtig.
Die MS macht uns alle nur zu einem kleinen Teil aus. In den letzten Tagen hatte ich mit einer von mir sehr geschätzten Frau mit MS dazu auch eine Unterhaltung und sie sagt klar, die MS macht mich nicht aus, ich bin immer noch ich. Auch die wunderbare Lori Schneider aus den USA die als erster Mensch mit MS den Mount Everest bestiegen hat, sagte mir im Interview genau das. 

Eine wohlmeinende und wichtige Botschaft, die aber definitiv inhaltlich falsch interpretiert wurde. Ich frage mich immer, wo hat der Protagonist Lust am Leben? Hat er sie nicht längst verloren? Der Eindruck entsteht. Und war sich das Drehteam der Verantwortung gegenüber denen bewusst, die das Video sehen und ganz schlecht darauf reagieren könnten?

Etwas, das ich so oft von Menschen mit MS höre: Sie leben, genießen, haben Spaß und egal ob sie im Rolli sitzen, was zugegeben oft genug schwierig ist, aber sie haben Lust. Auf Leben. Sie erzählen es immer wieder, ich bin nicht wenig in ganz Europa in diesen Kreisen unterwegs, deshalb kann ich auch sagen, die Jungs und Mädels haben trotzdem verdammt viel Spaß und Lust auf mehr.

Und das ist es doch, was zählt, die Lust am Leben, die so richtig genannt wurde. Nicht das frustrierte Berichten über scheußliche Häppchen die völlig nebensächlich sind oder der Ausschnitt einer Frau, in den es sich vom Rolli offenbar leichter starren lässt. Was immer das bringen mag.

Fakt ist: Leben mit MS ist nicht einfach. Ja. Es ist stressig, ab und an echt anstrengend, aufwändig. Es kann einen schon ab und an richtig schön runterziehen, aber das muss und sollte nicht zum Dauerzustand werden. Es ist intensiv und dennoch: es wert zu leben. Mit MS ist nicht alles vorbei, es ändert sich vieles, man geht andere Wege, ich auch, aber dennoch genieße ich mein Leben.

Warum ich das Leben schön finde, könnt Ihr hier nachlesen!

Leben mit MS erfordert Mut, ab und an echt viel Kraft, aber es hat auch immer noch die vielen guten Seiten. Sehen muss man sie halt wollen. Versinkt man in einer negativen Grundhaltung und kuschelt und kokettiert mit ihr, ist klar, warum das Häppchen scheiße schmeckt.



Besser wäre es doch, darüber nachzudenken, was besser ist: Frust, den man überall verbreitet und damit auch andere damit ansteckt oder eine vernünftige Denke, die in einem Video sagt:

Ja, Leben mit MS kann so richtig doof sein. Aber: 
Die Lust am Leben sollte man nicht verlieren. Weil es schade wäre und man echt was verpasst. 

In diesem Sinne! 

Lasst Euch nicht unterkriegen! Und genießt lustvoll! 

Birgit 



Bild: Pixabay
Text: Birgit Bauer 2017

3 Kommentare:

  1. Liebe Birgit - wir haben wohl zeitgleich gepostet und uns für den öffentlichen Weg entschieden! Danke! für DEINE Gedanken! JA! das Leben mit MS kann richtig, richtig doof sein! Aber die doofen Zeiten sind glücklicherweise nur ein kleiner Teil ;-)...Liebe Grüße! Nicole

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  2. Völlig richtig. Die Idee an sich war ja nicht schlecht. Leider war die Umsetzung völlig daneben.

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    1. Danke für Deinen Kommentar! Schade ist auch, dass es wohl nur einen Serienbrief von der DMSG zu geben scheint, der an alle geht, die sich per Email melden.

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