Samstag, 30. Dezember 2017

Unheilbar undankbar? - Ein Rant!

Hätte man mich vor einigen Monaten gefragt, ob ich jemals sauer auf jemanden werden könnte, der geheilt aus einem Krankenhaus oder aus einer Behandlung heraus entlassen wird, hätte ich sofort gesagt, dass ich demjenigen das von Herzen gönne.

Das ist immer noch so.

Ich gönne es wirklich jedem von Herzen, der krank ist und sich in eine Behandlung begibt, wenn er am Ende erfährt, dass er geheilt ist. Gesund.

Gesund oder Geheilt ist jedoch für viele, die chronisch krank sind, ein riesiges Wort. Eines, das mit Hoffnung bestückt ist und dem Gedanken ganz befreit von Krankheit jeden Tag einfach so leben zu können.

Ist man chronisch krank, geht das nicht. Die Erkrankung, egal welche, die längerfristig ins Leben kommt oder eben chronisch, also lebenslang zum Begleiter wird, ist immer da. Egal wie man es dreht oder wendet, egal wie viele "Hilfsmittel" man bekommt, wie in unserer Zeit jetzt Apps, die uns helfen sollen, Medikamente zum richtigen Zeitpunkt zu nehmen und eben auch dazwischen vergessen zu können, die Erkrankung ist immer da.

Ich höre oft, wenn ich mit anderen Menschen mit chronischen Erkrankungen spreche: "Ach könnte man es doch heilen!"

Es ist einer der größten Wünsche, die man haben kann, denke ich: Die Hoffnung, irgendwann geheilt zu werden.
Im Moment ist es bei Multipler Sklerose nicht der Fall. Geheilt zu werden. Es gibt derzeit diverse Therapien, aber keine definitive Heilung. Verbesserung, ja, kann sein, aber sonst? Schaut mager aus, das Fräulein Trulla jemals wieder los zu werden.

Und dann kommt mir in den letzten Wochen jemand unter, der hat beste Heilungschancen. Ich dache mir damals, come on, man kann sich auch echt anstellen, als ich die Klagen dieser "Diva im Flügelhemdchen" hörte und die Klage darüber, dass sich an den Stellen, in denen Injektionsnadeln für Infusionen und Spritzen befunden hatten, scheußliche blaue Flecken gebildet hatten.
Wie schrecklich. Ein Desaster, bedenkt man, dass so ein blauer Fleck ein bisschen Zeit braucht und diverse Farbstufen durchlebt, bevor er sich einfach so davon macht.

Man kann sich dazu natürlich ins Bett legen und allen darum herum das Leben zu Hölle machen. Unleidlich das wirklich schlimme Leid in die Welt zu tröten und sich darüber beklagen, dass das Essen eine Zumutung ist.

Schon damals stieß mir das bitter auf. Allerdings dachte ich auch, dass sich das legen würde. Krankenhausaufenthalte sind nicht so wirklich klasse und dann darf man ein bisschen Klagen und die wehleidige Nummer abziehen. Aber irgendwann muss damit Schluss sein. Finde ich.

Vor allem, wenn man diese Fragen eindeutig so beantworten kann:

1. Hast du noch Schmerzen? Nein, gar nicht!
2. Kannst du gut durchschlafen? Ja, natürlich!

Irgendwann muss man das Flügelhemdchen abschmeißen, sich ein wenig pflegen, die blauen Flecken gut eincremen und darüber hinwegsehen und wieder loslegen. Zumindest halte ich das so und viele andere, die ich kenne auch. Es hilft, wieder den Einstieg ins Leben zu kriegen. So habe ich es auch gemacht, als ich vor fast 13 Jahren die Diagnose bekam. Ein bisschen Selbstmitleid und Klagen aber auch aufstehen und wieder mit dem Leben beginnen. Weitermachen, einen Weg suchen. Unheilbar und alles auf Neustart, eine Rückkehr in mein altes Leben war nicht mehr möglich, ich musste in großen Teilen gewaltig umdenken.

Was dann aber kam, hat mich wütend gemacht: Frisch aus dem Krankenhaus, geheilt entlassen wurde das Flügelhemdgehabe der Diva nicht besser. Ganz im Gegenteil. Das Leben ist auch echt schwer. Mit blauen Flecken, Wasser in den Beinen und diversen anderen Zipperlein und Dramas.

Fassen wir also zusammen, da ist ein Mensch, der wegen einer heilbaren Erkrankung im Krankenhaus eincheckt, erfolgreich operiert wird, einen wirklich guten Verlauf der Behandlung aufweist, nach der üblichen Krankenhauszeit als geheilt entlassen wird und? Meckert.
Gibt die Diva und doziert die eigene Krankenakte von vorne nach hinten und zurück in einem Monolog und - so scheint es - gut auswendig ohne Luftholen.

Das ist undankbar. Für mich.

Denn was hätte ich damals drum gegeben, hätte mir ein Doktor wenigsten einmal sagen können, dass es eine Chance auf Heilung gibt. Konnten und können sie aber bis heute nicht. Und so geht es mir nicht allein. Da draußen sind so viele Menschen, die leben täglich mit chronischen Erkrankungen, sie müssen sich mit einem Leben arrangieren, das nicht dem entspricht, was ein gesunder Mensch gewohnt ist oder was man geplant hatte. Da sind viele unerfüllte Träume und Vorhaben, die aufgrund einer Behinderung, einer Einschränkung nicht wirklich erfüllt werden können. Ständig muss man Kompromisse finden, Nein sagen, nicht selten kann man nicht, weil man krank ist und immer muss man auf irgendwas Rücksicht nehmen.

Ich habe im Moment auch blaue Flecken, weil ich aufgrund von meinem Entenwatschelgang (Ataxie, die mich ab und an in solchen Situationen plagt und Einkaufswagen im Supermarkt zur Gehhilfe macht) gerne mit Türstöcken und Kanten kollidiere. Diese blauen Flecken sind mir aber wirklich scheißegal, denn letztlich muss es irgendwie weitergehen. Blaue Flecken verschwinden. Die MS nicht. Und das Leben geht trotzdem weiter.

Und: Aufgeben ist keine Option. Auch wenn es ab und an echt eine Herkulesaufgabe ist. (So ähnlich schrieb ich es vor einigen Tagen auf Facebook in einem Kommentar)

Ich bin dankbar für das, was ich habe, mein Leben ist ok und ich will mich hier nicht beklagen oder so. Ich komme klar, bin zufrieden und lebe damit. Jeden Tag.

Deshalb werde ich mittlerweile in besonders schwierigen Fällen mit den Diven im Flügelhemd ungeduldig und sauer, wenn mir jemand ständig sein Leid klagt und jammert über Dinge, die mit ein bisschen guten Willen (Ich weiß, für Diven im Flügelhemd schwierig!) und Kooperation mit Ärzten einfach aus der Welt zu schaffen sind.

Gesund werden ist nicht immer einfach, das ist klar. Nicht alles ist angenehm. Aber es ist eine Sache, der man sich stellen sollte, wenn man die Chance hat gesund zu werden. Richtig gesund = geheilt.

Und da ist es für mich eine andere Sache, wenn jemand, der eigentlich auf dem Weg sein sollte, eben verharrt, die Umgebung mit ständigem Schwadronieren über die eigenen Zipperlein ungefragt eindeckt: es ist "Unheilbar undankbar".

Birgit


Text: Birgit Bauer

4 Kommentare:

  1. Liebe Birgit,

    ich hoffe, ich kann meine Gedanken zu diesem Thema jetzt so weit ordnen, damit ich das hier entsprechend in Worte gefasst bekomme ;)

    Ich verstehe absolut was du meinst. Aber sollten wir die MS als Maßstab nehmen? Weil klar, schlimmer geht immer. Und für diese Bekannte von dir, war eben diese Krankenhauserfahrung grad schlimm. In diesem Moment. Auch wenn es natürlich auch schlimmer hätte kommen können.

    Seit ich die Diagnose MS hab ist mir auch aufgefallen, dass sich manche Menschen mir gegenüber Dinge oft gar nicht mehr ansprechen "trauen" weil sie meinen, ich würd dann gleich mit "Naja aber sei doch froh dass du nicht MS hast, so wie ich" reagiere. Einerseits hab ich es selbst herausgehört und sehr gute Freundinnen haben es mir teilweise auch schon bestätigt.

    Und wenn ich jetzt zB irgendwas Banales hab wie ... keine Ahnung ... Menstruationsbeschwerden oder so, dann kann's schon auch mal sein dass ich jemandem mein Leid klage und mir selbst leid tu. Obwohl es mit der MS verglichen ja "nur" ein paar Krämpfe sind.

    Hach es ist schwierig das jetzt nicht falsch rüberzubringen... Hoffe du verstehst meine Gedankengänge richtig. Jedenfalls sag ich in meinem Umfeld mittlerweile manchmal dazu dass sie sich doch bitte bei Bedarf einfach ausjammern und mir gegenüber ruhig selbst bemitleiden mögen, wenn's grad notwendig ist (klar gibt's Grenzen!), aber dass in solchen Gesprächen die MS als "Maßstab" keine Rolle spielen sollte. Ich kenn ja auch Leute die Krankheiten wie Krebs oder Muskeldystrophie haben bzw hatten und dann dürfte ich von meiner MS auch nix mehr erzählen oder mir denen gegenüber mal leid tun, oder?

    Auf diesem Wege ein schönes neues Jahr mit hoffentlich ganz wenig großen und kleinen Wehwehchen. :)
    Claudia

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  2. Liebe Claudia, auch dir ein schönes, neues Jahr! Mit ganz wenig Zipperleins. Mal so gesehen, ich verstehe deine Gedanken. :-) Zum einen war es ein Rant. Sprich, auch ich darf mich mal ganz subjektiv äußern. :-) Zum anderen geht es nicht darum, dass man sich nicht mal ausheult oder dass ich generell nicht zuhören möchte und zuhöre. Zu mir kann man immer kommen. Sonst wäre ich wohl nicht in der Patient Advocacy unterwegs. Aber wenn es in einem Dauerschwadronieren und Rezitieren einer Patientenakte geht und selbst Ablenkungsversuche nicht mehr fruchten, um aus dieser für die betroffene Person nicht günstigen, Spirale heraus zu kommen und auch wieder neue, andere Gedanken fassen zu können, dann wird die Sache kritisch. Die MS ist für mich nicht der Maßstab, das habe ich auch so nicht geschrieben. Ich schrieb über chronische Erkrankungen und solche, die wirklich schlimm sind. Ich schrieb auch, dass ich sehr wohl Verständnis habe, dass Krankenhausaufenthalte und die Nachwehen von diversen Erkrankungen nicht nett sind und dass man dann mal klagt, auch ok für mich ist. Wie gesagt, aber irgendwann muss man eben nach überstandenen Ereignissen wieder aus der Spirale raus und ins Leben zurück. Vorsichtig, natürlich, langsam, völlig klar, aber eben zurück. Klagen und sich mal über Krämpfe beschweren (hab ich auch :-) ) oder andere Dinge, kein Thema, aber ich habe immer noch was gegen Dauerschwadronieren, vor allem, wenn ich die Krankenakte mittlerweile in allen Details erklärt bekam. Mehrfach. Und das geht gar nicht. Ganz liebe Grüße! Birgit

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  3. Liebe Birgit,
    jetzt muss ich mich doch gleich zu Beginn outen: Ich habe keinen blassen Schimmer was "Rant" bedeutet?? Hab's auch per Google nicht rausfinden können. Hoffentlich muss ich mich jetzt nicht allzu sehr schämen ;))

    Und ja natürlich ... wenn jemand so überhaupt gar nicht mehr aufhört zu jammern, dann hört's auch bei mir auf. Also das Verständnis. Na dann sind wir eh auf einer Linie unterwegs was das betrifft und ich hab deine Zeilen nur falsch interpretiert.

    Danke dir jedenfalls für deine klärenden Zeilen, ich reiche dir, wie immer, gedanklich die Hand. :)

    Alles Liebe,
    Claudia

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    1. Liebe Claudia, hier muss sich keiner schämen! :-) Rant ist einfach einmal bitte richtig granteln dürfen, den Ärger rauslassen. Sagen die Menschen in diesem Social Media ab und an. Ich bin dort zu sehr verwachsen. Sorry. ;-) Danke Dir für deine Gedanken! Liebe Grüße! Birgit

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