Freitag, 9. Februar 2018

Vom Sessel, der nicht loslässt und dem Haus mit MS!

Kennt Ihr das? Ihr sitzt gemütlich in einem Sessel. An manchen Tagen ist man froh darum, es einfach zum Sessel geschafft zu haben und fällt erleichtert hinein und macht es sich gemütlich. So ein Sessel kann wie eine Umarmung sein, der hält dich fest. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Geht es nämlich ans Aufstehen, hat man es oft nicht leicht und ich fühle mich schon auch ab und an wie ein Käfer, der auf dem Rücken liegt und versucht, irgendwie auf die Beine zu kommen. Was mir dabei auffällt ist, dass oft darüber gegrinst wird. Weil sich gesunde Menschen oft nicht vorstellen können, wie schwierig es für jemand mit MS sein kann, diesem Sessel wieder zu entkommen. Also aufzustehen und weiter zu gehen. Oft ist das auch mit Schmerzen verbunden, man ist steif und muss erst wieder locker werden, bevor man weiter kann. Kurz, man braucht einen Moment.

Wie gesagt, nicht jeder versteht das und bitte, wie erklärt man das? Oft sind diese Momente der MS ja eher unsichtbar, nur man selbst fühlt diesen Widerstand im Körper, die Steifheit und Unbeweglichkeit, die nach längerem Sitzen aufkommen kann.

Als ich vergangenes Jahr in Paris war, um am ECTRIMS Kongress teilzunehmen, habe ich viel gesehen. Die Auswahl von Projekten, die dort zu sehen sind, ist riesig.

Ein Projekt möchte ich Euch aber heute vorstellen. Weils mir vor einigen Tagen eben genauso ging: Ich saß auf einem Sofa und kämpfte mich mühsam hoch. Ich war ohnehin mit meinem grippalen Infekt beschäftigt und lag im Streit mit Fräulein Trulla, die auch mitspielen wollte, daher war es schwierig.

"Komm alte Frau, ich zieh dich hoch", sagte das Herzblatt, wohl wissend, aber auch ein wenig amüsiert ob meines Ringens mit der Sofaumarmung. Aber dennoch: "Hab du die Scheiße an der Backe, ich würde dich gerne sehen", dachte ich grimmig und erinnerte mich ans Haus, das MS hat, besorgte mir die Bilder und möchte Euch heute davon erzählen.

Es ist ein Projekt der Firma Merck, das dort ausgestellt wurde und das ich auch zu einem kleinen Teil bei der EMSP (European Multiple Sclerosis Platform) in Athen im vergangenen Jahr kurz angesehen habe. Es ist das "House of MS".

Dieses Haus ist so aufgebaut, dass es einige typische Hindernisse, die Menschen mit MS im Haushalt erleben, aufzeigt und so gesunden Menschen zeigen kann, wie es uns geht, wenn einen der Sessel umarmt und nicht loslässt. Denn die Möbel und Dinge, die sich in diesem Haus befinden, sind - sagen wir - speziell.

Zum Beispiel der nette grüne Sessel auf dem Bild. Sehr gemütlich. Sitzt man erst mal drin, fühlt man sich wohl. ABER:  Will man aufstehen, wird es schwierig. Ehrlich, ich hab mich reingesetzt und musste ganz schön rudern und kämpfen, um wieder rauszukommen und ich hatte einen guten Tag und konnte aus normalen Sesseln wirklich gut aufstehen.

Es war, als hielte er mich fest. Was an der Machart liegt. Schlechte Balance durch das Ungleichgewicht nach hinten, ein tiefes Polster und nur schlechte Möglichkeiten, sich abzustützen und Schwung zu holen.
Nun, ich fragte mich, wie das bei Menschen ist, die eben kein MS haben. Wenn ich mich wirklich anstrengend musste, was bei "Normalos"? Die Antwort ist: Denen fällt es superschwer, ich glaube auch, weil sie es nicht gewohnt sind, mit solchen Hürden zu kämpfen und dann wird Aufstehen aus dem Sessel eben zum Kampf.  Ich hatte in der Zeit, in der ich mir das Haus erklären ließ, die Gelegenheit Gäste zu beobachten und ehrlich gesagt, die sahen ganz schön unbeholfen aus. So wie wir, wenn wir schlechte Tage haben. :-)

Netter Sessel. Schönes Fernsehbild. Denkste! Aufstehen ist schwierig, Fernsehen auch, weil das Bild doppelt oder verschwommen ist. ;-) 

In der Küche ist es ähnlich. Kennt Ihr das? Ihr musst Euch unheimlich konzentrieren, eine Tasse oder ein Glas zu füllen? Weil die Hände kribbeln? Oder weil ihr nicht sicher seid, ob das gerade gut geht? Das was andere quasi nebenbei tun, braucht meine volle Aufmerksamkeit. Und auch mir passiert es ab und an, dass ich mitten im Satz unterbreche und scheinbar hypnotisiert eine Flasche betrachte wie ich sie anhebe und mein Glas fülle. Multitasking ist dann mal echt abgemeldet.
In dem Haus ist die Küche ähnlich überraschend wie der Sessel. Die Arbeitsplatte vibriert unkontrolliert, alles ist sehr glatt und es ist überraschend mühsam, etwas zu schaffen. Sogar die Verpackungen sind sehr speziell ...

Die Arbeitsfläche vibriert, sobald man die Hände drauf legt und das Einschenken aus dem Tetrapack könnte zur Herausforderung werden. 


Geht man in den Bereich Verkehr, wird es schnell stressig. Man bekommt Geräusche von Autos, Straßenbahnen, Rolltreppen, Menschen und Alltag draußen zu hören und soll sich orientieren. Zugleich ist der Boden seltsam weich und fühlte sich für mich an wie ein Verstärker, denn es war schon Nachmittag, als ich dort eintraf und ich war ohnehin schon ein wenig wackelig unterwegs und hätte ich dort verweilen müssen, ich hätte mich wahrscheinlich schlicht auf den Boden gesetzt. Auf der anderen Seite gab es keine Toiletten,. Ein Schild (unten im Bild rechts oben sieht man es) erklärte, dass das ein Problem sein kann, wenn wir über Blasenprobleme sprechen, die bei MS durchaus nicht selten sind.

An einem U-Bahn Plan bin ich übrigens kläglich gescheitert, er verwirrte mich zunehmend und ich merkte, wie schnell mich das alles erschöpfte. Übrigens auch die Besucher, die MS kennenlernen wollten. Was beabsichtigt ist, auch der ist total speziell und gar nicht zu lösen. Was einen durchaus in den Wahnsinn treiben kann.

U-Bahn mit gesperrter Toilette, wabbeligen Böden, Lärm und mehr. Überfordernd. 


Kognitive Fähigkeiten beim U-Bahn Plan. Klappt nicht. Weil speziell ;-) 

Das Büro im "House of MS"? Sagen wir es so, ich bin ziemlich froh, ein Home Office zu haben, ruhig, entspannt und man kann Telefone abschalten, die Zeit selbst einteilen und auch sonst so arbeiten, dass es einem gut geht damit. Allerdings, empfinde ich das als großes Glück, viele Menschen mit MS haben das nicht und kämpfen täglich in lauten Büros mit klingelnden Telefonen, Meetings, Anfragen und Projekten. Weil es ihr Job ist und der ist verdammt anstrengend.
Diesen Alltag simuliert dieses Büro auch. Es geht ja ganz entspannt los, aber das Tempo steigert sich, der Bildschirm blitzt und blinkt, das Telefon läutet, man hört Kollegen und andere Geräusche und ganz ehrlich: Lange blieb ich da nicht.

Wirkt harmlos, ist es aber nicht: Gleich klingelt es, der Bildschirm blinkt und die Überforderung schlägt zu! 

Ganz ehrlich, dieses Haus hat MS und ist nah an dem, was wir täglich erleben. Es verschafft einen Eindruck und das bräuchten wir öfters.

Weil ab und an habe ich, wenn ich ganz ehrlich bin, die Schnauze gewaltig voll vom Erklärungsbedarf, den die MS täglich mit sich bringt. Täglich über eine Erkrankung reden und sie erklären zu müssen, tut keinem gut.

In diesem Sinne auf dass Euch Euer Lieblingssessel wieder loslässt!

Liebe Grüße
Birgit

Text: Birgit nach dem Besuch!
Bilder: roter Sessel: pixabay.com, Bilder House of MS: Merck KGaA Darmstadt

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