Dienstag, 12. Juni 2018

Über die Freiheit des Patienten ... #HSK18

In der vergangenen Woche war ich beim Hauptstadtkongress für Gesundheit und Pflege in Berlin.


Die Veranstaltung in Zahlen kurz und bündig: rund 8400 Besucher in drei Tagen und wer #HSK18 auf Twitter verfolgt hat, konnte viele Impressionen aus sehr vielen spannenden Programmpunkten einfangen. Es ging um Digitalisierung und um spannende Lösungen, die Menschen mit Erkrankungen und auch dem System gute Unterstützung bieten können.

Der Kongress so: Viele Männer, wenig Frauen, das merkt man daran, dass man nie an den Toiletten anstehen musste. Das ist übrigens nicht von mir, sondern von einer Teilnehmerin.

Eine Session hat mich jedoch besonders mitgenommen und ich fand sie wirklich sehr spannend. Es handelt sich hier um eine Debatte. Drei Teilnehmer (Männer) für und drei Teilnehmer (auch Männer) dagegen.

Das Thema: Wie viel Freiheit braucht der Patient?
Was bedeutet Freiheit für uns Menschen, die wir mit einer chronischen Erkrankung täglich und lebenslänglich unterwegs sind?

Freiheit ist für mich ein dennoch unabhängiges und gutes Leben leben zu können. Dazu gehören Information, Aufklärung und gute Entscheidungen. Unter anderem. Ein Teilnehmer aus der Gruppe derer, die für Freiheit plädieren, brachte es hier auf den Punkt, er ist Onkologe und erlebt jeden Tag, mit welchen Entscheidungen sich Patienten herumschlagen:

"Wir als Ärzte haben die Aufgabe, dem Patienten alles so lange und so gut zu erklären, bis er in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen!"

Für ihn sind mündige Patienten nötig und wichtig und richtig. Denn: Wir, die wir entscheiden, müssen auch die Konsequenzen aushalten.

Ehrlich gesagt, sprach mir das aus der Seele und dafür bedanke ich mich, es gibt sie, die wirklich guten Mediziner, die mehr als besorgt, aber auch aufmerksam sind, wenn es um ihre Patienten geht. Wie oft habe ich mir von Neurologen mehr oder weniger erpresserische Monologe anhören dürfen, was er nicht tut, wenn ich dieses oder jene Medikament nicht nehmen möchte. Abgesehen davon, dass die moralisch wie ethisch echt fragwürdig ist, ist es auch unverschämt und respektlos. Danke, Auf nimmer Wiedersehen.

Für eine erfolgreiche und gute Behandlung braucht es eine gute Patienten - Arzt Beziehung. Viele Patienten sind heute weit besser informiert als früher und sie wollen aktiv an Entscheidungsprozessen teilnehmen und sich um sich selbst kümmern. Sie nehmen ihre eigene Verantwortung sich selbst gegenüber ernst und wollen teilhaben. Nicht immer erwünscht oder willkommen, aber das ist der Lauf der Zeit und wir alle müssen uns damit auch arrangieren.

Die Gegenseite plädierte für Regulierung. Ein Satz "Digitalisierung suggeriert Mündigkeit". Stimmt. Allerdings muss der Patient enger geführt werden? Das war ein Gedanke, den ich gerne umformulieren möchte: Der Patient braucht gute Bildungsmöglichkeiten in der digitalen Welt. Menschen mit Erkrankungen brauchen vertrauenswürdige Quellen und nicht Dr. Google. Denn der diagnostiziert alles, aber meist nicht das Richtige. Wir brauchen digitale Lösungen, die Ärzte dabei unterstützen und genauso Patienten unter die Arme zu greifen, das wertvolle, richtige Wissen zu finden und zu verstehen.



ADA ist eine Möglichkeit, vorgestellt von Dr. Martin Hirsch, der auch sagt: Wir können nicht Tausende Erkrankungen kennen und verstehen. Aber wenn man künstliche Intelligenz dafür einsetzt, mögliche Symptome genauer zu hinterfragen und dafür wertvolle Hinweise erhält, die zur Diagnose führen, ist das doch eine gute Sache. Wenn diese Informationen dann wirklich geprüft sind und aus einer gute Quelle kommen und wenn künstliche Intelligenz dafür genutzt wird, zu lernen welche Zusammenhänge wo bestehen und dann richtige Hinweise gibt, ist das doch genial.

Patienten sind längst digital und informieren sich täglich und immer wieder im www. Klar ist Dr. Google eine nicht besonders gute Quelle, weil der viele Fehldiagnosen und damit auch Angst liefert. Aber es mangelt an vernünftigen Informationen und auch einer guten Aufklärung wie man gute von schlechten Infos unterscheidet.
Viele Menschen mit Erkrankungen hätten gerne mehr Aufklärung und Information, bekommen sie aber z. B. im Arztgespräch nicht weil die Zeit zu knapp ist, sie nervös sind und sich vielleicht auch nicht richtig vorbereitet haben.  So gesehen könnte man behaupten, zu wenig Information von wirklich kompetenter Seite verständlich übermittelt treibt die Menschen zu Dr. Google. Und: Ich glaube auch, dass Patienten in Sachen Digitalisierung viel weiter sind als wir glauben, ich sehe es täglich aus meinen Recherchen.

Zeit und gute Informationen - Nötig! 

Was wir also benötigen sind Möglichkeiten, die Ärzten mehr Zeit geben, Patienten richtig zu informieren und wir müssen dafür sorgen, dass digitale Portale mit aktuellen und verständlichen Informationen ins Netz gestellt werden, damit Patienten sich besser informieren können. Ich bin davon überzeugt, dass auch Ärzte Unterstützung benötigen, was Kommunikation und Wissensvermittlung betrifft. Das wäre mein Ansatz und der kommt nicht von ungefähr. Das ist eine klare Ansage von vielen Menschen mit Erkrankungen, mit denen ich rede.

Außerdem, der Patient fordert doch die Freiheit und das möchten doch auch alle, wie ich immer wieder höre, also müssen wir anfangen, etwas zu tun,und nicht noch ewig zu diskutieren.

Ein anderer, erfahrener Arzt in der Runde sprach darüber, dass Ärzte wieder zu Persönlichkeiten werden müssen. Auch sie brauchen, wie Patienten Freiheit. Die Freiheit Gesundheit zu gestalten und die dafür bestehenden Verhältnisse dafür zu berücksichtigen wie zu nutzen. Der Arzt ist ein Ratgeber, er muss ehrlich und klar sein und unterstützen, damit Entscheidungen getroffen werden können. Von dem, den sie betreffen. Dem Mensch, der erkrankt ist.

Regulierung? Entscheidend für gute Versorgung?

Ein anderer Experte in der Runde sprach von Regulierung. Zuviel Freiheit sei ein zu hohes Risiko für die Gemeinschaft. Ehrlich gesagt, ich sehe Freiheit als mein Grundrecht und die Freiheit mich für oder gegen eine Therapie zu entscheiden ist erst einmal meine Sache. Letztlich habe ich doch auch die Konsequenzen zu tragen und somit ist es meine freiheitliche Entscheidung, für oder gegen eine Therapie etc. Ich verstehe die Risikofrage durchaus. Letztlich ist die Gemeinschaft von meinen Entscheidungen irgendwie betroffen. Wenn ich mich evt. gegen eine Medikation entscheide, kann es passieren, dass ich von anderen Leistungen mehr benötige. Aber, Freunde, so geht das nicht. Es ist mein Ich, es ist mein Körper, es ist meine Gesundheit und ganz ehrlich, wenn ich mir ansehe, was ich für meine gesundheitliche Freiheit selbst bezahle oder was ein G-BA in Sachen Leistungsübernahme entscheidet, dann fühle ich mich wirklich genug reguliert.

So gesehen, die Debatte war sehr interessant wie lehrreich. Ich habe mich für die Seite der Freiheit entschieden, weil es da eben die ärztliche Sicht gab, die mir sehr aus dem Herzen sprach und mir sagte, dass es doch Mediziner gibt, die ihren Patienten zuhören, sie beraten und auf einer Augenhöhe mit ihnen sind. Allerdings verstand ich auch das eine oder andere Argument von der Seite gegen die Freiheit. Wir brauchen einige Regeln und möglicherweise auch Regulierungen, das ist klar. Aber sie müssen verträglich sein. Und mit Patienten gemeinsam durchdacht.

Ehrlich, es war wirklich eine klasse Debatte und eine Ausnahme im ewigen Vortragsgerede in abgedunkelten Räumen mit Slides und es begann das: :-)




Was ich aber wichtig fand und hier meldete ich mich zu Wort:

1. Es war keine Frau beteiligt - haben wir keine Ladies hier in Deutschland, die fähig wären, sich mit Herren in eine Debatte zu begeben? Glaub ich nicht, ich habe dieses Jahr schon selbst an einer Debatte teilgenommen.
2. Man sprach über Patienten, aber in der Runde war kein Mensch mit Erkrankung vertreten.
3. Ich bin absolut der Meinung, dass Ärzte ebenso Unterstützung benötigen, was Digitalisierung betrifft, in vielen Praxen gibt es bis heute nur ein Fax und keine Email, weil das angeblich nicht sicher ist. Nun ....
4. Patienten wollen und brauchen Freiheit - sie werden doch vom System oft in die digitale Welt getrieben, weil gute Informationen fehlen (Ja ich sag das jetzt zum x.ten Mal, ich red seit Jahren drüber) und wir brauchen mehr Zeit mit dem Arzt. Chronische Erkrankungen sind komplexe Dinge, die man verstehen muss und das geht nicht mit einem Fingerschnipsen. Wir müssen lernen, die Erkrankungen zu verstehen, den Menschen, der damit lebt, zu sehen und auch dessen Bedürfnisse wahrzunehmen und auch schwierige Themen wie bei MS sexuelle Störungen oder Blasenfunktionsstörungen besprechen können.

So gesehen, mich sprachen nach meinem Statement, das das letzte Statement des Tages war, viele an und bestätigten mir meine Punkte, viele von ihnen sagten auch, sie hätten auch Patienten in der wirklich guten Runde vermisst.

Ich frage mich, warum es beim Hauptstadtkongress immer noch so schwer fällt, nicht nur über Patienten zu reden, sondern mit. Ich schrieb es im vergangenen Jahr und ich schreib es auch in diesem Jahr:

Ich mag diesen Kongress, weil er facettenreich ist, viel Wissen anbietet und ein anderer Kongress ist. Ein deutscher Kongress. Aber hey, es geht nicht ohne Patienten, man kann nicht immer nur über die Menschen reden, die man behandelt oder denen man etwas anbietet, man muss auch mit ihnen sprechen!

Oder? So auch in diesem Jahr meine Aufforderung: Liebes HSK Team: Sprechen Sie nicht über die Menschen, die krank sind, sprechen Sie mit Ihnen. Denn nur so können wir voneinander und miteinander lernen und ich bin davon überzeugt, dass Zukunft nur miteinander gehen wird.

In diesem Sinne,

Birgit


Bilder: 

Birgit Bauer
pixabay.com 

Text: Birgit Bauer 

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