Donnerstag, 5. Juli 2018

Wir reden nicht darüber! Warum ich die Lüge über Krankheitsfakten nicht mag ..

Letztens kam ich einer Lüge auf die Schliche. Einer Lüge, die ich unheimlich verärgernd finde und auch diskriminierend.
Und warum wurde ich angelogen?

Weil ich doch selbst MS habe, so schwer krank bin.

Daher hat man entschieden, mir nichts zu sagen, oder zumindest etwas herbei zu erfinden, was sich halbwegs glaubwürdig anhört, aber eben nicht die ganze Wahrheit offenbart. Aber die Wahrheit verschweigt man, weil ich das ja nicht ertragen kann. Meint man. Man fragt mich nicht danach, man entscheidet für mich. Man will mich schonen.


Ganz klar: nur weil ich MS habe, ist sie der Grund für Verschweigen, unter den Teppich kehren und rumlügen. Aber wie sagte die Oma schon? Lügen haben kurze Beine oder die Nase wird, wie bei Pinocchio länger und länger. Sichtbar und bemerkbar. Und so war es auch in diesem Fall, also hier wuchsen keine Nasen, aber dem Schwindel kam ich schnell auf die kurzen Beine.

In einem Gespräch machte ich sehr deutlich, dass ich Wert auf die Wahrheit lege. Auch meine Worte: "Jetzt ist Zeit für Klarheit, ich vertrage das. Was ich nicht vertrage, sind Lügen und verschwiegene Fakten und sollte ich herausfinden, dass da sowas war, gibts massiven Ärger!", verhallten ungehört.

Weil ich MS habe und ja so krank bin. Behauptet wieder einmal jemand, der keinen blassen Schimmer von mir, meiner MS oder meinem Leben hat und somit gar nicht beurteilen kann, was ich vertrage oder was nicht. Ihr merkt, ich bin sauer.



Man könnte mir durchaus zutrauen, selbst zu entscheiden, wann was zu passieren hat. Nur weil ich MS habe, heißt das nicht, dass ich außen vor sein muss. Ja, man hat mich schon mal gefragt, ob ich nun entmündigt werde, aber nein, immer noch nicht, mein Hirn und mein Verstehen funktionieren perfekt und ich kann auch eine unangenehme Nachricht verkraften.
Ganz im Gegenteil, ist man selbst erkrankt, sieht man Bedürfnisse und Fragen in einem anderen Licht. Man könnte helfen. Wüsste man die Wahrheit und alle Fakten. Weil man sich dann wirklich eine ordentliche Meinung bilden kann. Wäre man informiert.

Ich habe mit der MS gelernt, mit Krankheit umzugehen und kann damit leben, wenn mir jemand eine schlimme Diagnose mitteilt. Meine wirklich guten Freunde wissen, dass man mir mit der Wahrheit kommen sollte, als mit beschönigenden Floskeln, Ausreden und dummen Sprüchen. Weil ich eine Nase dafür habe, wenn mich jemand anlügt und dann sofort auf Abstand gehe. Und zwar deutlich.

Dieses vermeintlich wohlmeinende Schonen geht mir entsetzlich auf den Keks. Das ist Stigmatisierung, Diskriminierung. Nur wegen Fräulein Trulla und gesagt von jemand, der es wirklich besser wissen müsste. Es geht mir nah und macht mich traurig. Und wütend und verdammt ärgerlich auch.

Warum probiert man es nicht mit der Wahrheit? Das würde das Gespräch fördern, den Austausch und auch das Miteinander. Schonen? Wirklich?
So gesehen, über Krankheit zu reden ist nicht einfach. Das kann ich verstehen. Weil man eben immer mit blöden Sprüchen, Vorurteilen und Ratschlägen rechnen muss, die wirklich Schläge sind. Hab ich selbst erlebt, auch von Menschen, die mir mal nah waren. Es ist auch klar: Nicht jeder kann, sofort klar kommunizieren, was los ist. Das braucht eine Weile und auch Kraft wie Mut. Und das muss man hinkriegen. Es lernen. Weil es dauerhaft nicht anders geht.



Eine Lüge oder das Verschweigen macht nichts besser. Ganz im Gegenteil. Es sorgt für schlechte Stimmung, Abstand und Unverständnis, das einem nicht gut tut.

Auf der anderen Seite ist es ein Zeichen, dass man sich selbst der Faktenlage nicht stellt oder stellen möchte. Auch verständlich, wer ist schon gerne krank. Aber, Leute, das Leben ist nicht immer glatt und friedlich, leider. Sich nicht mit dem auseinandersetzen möchte, was da passiert, hilft auch nicht und nicht mit den Nächsten drüber reden ist auch keine Lösung.
Es ist der sinnvolle wie bewusste Umgang mit sich selbst, den man sich damit ein Stück weit verweigert. Es wäre Selbstfürsorge, denn Klarheit und das Aussprechen der Wahrheit sorgen dafür, dass der Umang im Miteinander stimmt und auch von außen der emotionale Support da ist, wenn man ihn brauchen würde. Verschweigt und lügt man, schließt man sich selbst aus und macht es bei anderen durch diese "Schonhaltung" nicht besser, sondern schlimmer.

Das ist ungesund. Für alle. Vor allem für den zwischenmenschlichen Bereich. Auf der anderen Seite ist es doch so, dass dann auch der Austausch in Sachen Information versiegt. Etwas, was ich unheimlich wichtig finde, geht es doch um den eigenen Körper. Wenn Informationen ausgetauscht werden und man selbst weiß, was geht und welche Möglichkeiten in Sachen Erkrankung und Umgang damit da sind, erspart man sich durchaus das eine oder andere "bittere Pillchen". Gute Informationen ermöglichen gute Entscheidungen.

Und das ist es doch, was man braucht oder? Die Sicht auf die Fakten ermöglicht doch auch neue Wege, andere Perspektiven. Sichtweisen, die helfen, mit einer Erkrankung auf Zeit besser zu leben, das zu bekommen, wofür wir mit MS oft lange und oft erfolglos eintreten: Verständnis und Verstehen.

Das geht aber nur, wenn man eben nicht beschönigt oder lügt. Lüge fördert Abstand, sie verhindert einen guten Informationsfluß und damit auch mögliche Verbesserungen in Sachen Erkrankung. Sie untergräbt die Unterstützung, Zuspruch und Mitgefühl. Und ersetzt diese durch Groll und Verärgerung. Und ist es das, was man braucht, wenn man eine nicht besonders angenehme Diagnose bekommt? Ich glaube nicht.

Deshalb, drüber reden ist nicht einfach. Verstehe ich. Man muss es ja auch nicht an die große Glocke hängen, was passiert ist, aber zumindest im engsten Kreis sollte eine gute Kommunikation zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich sein. Finde ich. Weil dann das Überstehen und der Weg der Heilung, wie es in diesem Fall war, erträglich, menschlich und angenehmer wird.

Und Ihr?

Liebe Grüße
Birgit


Bild Pixabay.com
Text: Birgit Bauer



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