Dienstag, 5. Februar 2019

Immer diese Entscheidungen ....

Es passiert meist so: Der Arzt (Neurologe) schlägt eine neue Therapie vor. Vielleicht weil die vorhandene nicht mehr so gut wirkt oder man Nebenwirkungen registriert oder einfach weil die neue besser passt. Zum Leben und zu einem selbst. Oder auch, weil man die Diagnose gerade erhalten hat. Beides Situationen, die viel Kraft brauchen und eigentlich auf die Nerven gehen. Man muss sich der Verantwortung gegenüber sich selbst stellen.

Meistens bekommt man einige Vorschläge präsentiert, vielleicht die eine oder andere Broschüre und soll sich dann entscheiden.


Oftmals ist es allerdings nicht so einfach, richtig zu entscheiden. Schließlich sind wir erst mal Menschen und keine Ärzte. Nicht immer sind alle Informationen verständlich.  Die Situation ist unübersichtlich und die Suche nach Antworten mühsam. Es braucht eben doch mehr, um gut abzuwägen. Beispielsweise einen Gesamtüberblick, den man auch kapiert.

Auf der anderen Seite: Die Ärzte haben auch so ihre Mühe. Sie stehen unter Zeitdruck, die Zeit bei Kassenpatienten ist budgetiert, das Wartezimmer ist voll und andere Patienten hätten gerne auch eine vernünftige Auskunft. Zeit für Fragen oder eine vernünftige Diskussion über die Optionen ist oft nicht da. Mir ist es oft schon passiert, dass ich Sachen frage, die ein Arzt als selbstverständlich betrachtet und vielleicht gar nicht erwähnt. Dass ich diese Information dann einfordere, wurde, gerade früher, mit Erstaunen quittiert. Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten ist oft schwierig und endet oft in Verärgerung auf beiden Seiten.

Und nun? Es gibt diverse Broschüren zum Lesen und die Frage: Wie soll oder kann ich mich entscheiden?

Grundsätzlich gilt für mich: ich muss hinter jeder Entscheidung stehen können.
Ich will sie gut informiert treffen und alle Argumente abwägen. Habe ich mich entschieden, dann stehe ich dazu und ich erwarte, dass auch ein Arzt das akzeptiert. Egal ob für oder gegen etwas. Es geht um mein Leben.

Das gilt für jeden Aspekt und auch in Sachen Therapie. Ich weiß, dass sich viele mit diesen Entscheidungen befassen müssen und es geht hier nicht darum, heute für oder gegen Therapien zu diskutieren, sondern über die Entscheidungsfindung. Denn jeder muss am Ende für sich selbst entscheiden was ok ist oder nicht. Es geht um die Frage, wie man die eigenen Ansprüche mit den Angeboten abwägt. Nicht so einfach. Sag ich mal.

In Sachen Therapie gibt es mittlerweile einige Möglichkeiten. Als ich 2005 die Diagnose erhielt, gab es nur Injektionstherapien und Kortison gegen den Schub. Das war fast übersichtlich, wenn man sich die Möglichkeiten ansieht, die wir heute haben. Es gibt jede Menge neuer Wirkstoffe und wir können dazu noch zwischen verschiedenen Einnahmeformen wie Infusionen, Tabletten oder die gute alte Injektion entscheiden. Die Auswahl ist größer geworden und damit auch der Bedarf an Informationen. Letztlich hängt an einer Entscheidung ja auch die Konsequenz daraus. Und die trägt kein Arzt für uns Menschen mit MS, die tragen schon wir.

Die Entscheidung ist also nicht so eine einfache Aufgabe. Ob das mit Broschüren geht, stelle ich in Frage, weil ich die Erfahrung habe, dass Broschüren nett sind, aber oft nicht alles das bieten, was mir wichtig ist.

Da ist zuerst die Frage nach Lebensqualität.

Nur weil wir mit MS leben, ist das Leben nicht zu Ende oder in einer Sackgasse. Es bleibt auch nicht stehen. Wir leben es weiter und daher finde ich es immens wichtig, dass man eine Therapie wählt, die zu einem passt. Daher ist es wichtig zu wissen, ob die Lebensqualität in allen Aspekten gewahrt bleibt. Ich finde, wir haben ein Recht auf gute Lebensqualität, wie jeder andere eben auch. Das Leben darf, soll, muss auch noch gut sein.

Beispiel? Als ich letztens unterwegs war, traf ich auf eine Lady mit MS, die mir ihren zusätzlichen "Ausweis" zeigte. Ein Schriftstück in Englisch, das klar aussagte, dass sie mit MS lebt und sich tägliche Injektionen geben muss und daher Spritzen im Handgepäck transportiert. Der "Ausweis" ermöglicht es ihr, die Sicherheitskontrollen zu passieren. Dennoch ist das mühsam, sagt sie. Weil sie sich fast immer erklären muss und dafür braucht sie mehr Zeit am Flughafen. Auf der anderen Seite erklärte sie mir, sie sei zufrieden mit ihrer Therapie und wolle nicht wechseln. Also nimmt sie die Kontrollen in Kauf und kommt damit klar, weil es für sie passt und sie gut zurechtkommt. Für mich wäre das unvorstellbar.

Ein anderer Punkt ist der, ob man mit der Therapie umgehen kann, damit meine ich zum Beispiel Nadelphobie oder Schwierigkeiten beim Schlucken, wenn die Tablette zu groß ist. Es sind oft Kleinigkeiten, die eine Überlegung wert sein müssen und nicht selten dazu beitragen, dass eine Entscheidung anders ausfällt. Eben weil andere Möglichkeiten vielleicht besser zur eigenen Definition in Sachen Lebensqualität passen. Und wenn man sich für eine Therapie entscheidet, muss klar sein, dass man dran bleiben sollte oder muss. Daher finde ich den Punkt so wichtig.

Wie ich Entscheidungen treffe? Ich erzähle Euch mal ein bisschen darüber:

Die obligatorische Liste: 

Was mir dann hilft? Ich schreibe Liste und bin ein wahrer Listenfan. Immer, wenn mein Kopf zu voll ist, schreibe ich alles auf. Oft mit Stift und Papier, also ganz altmodisch, aber es hilft mir, die Gedanken abzulegen, nichts zu vergessen und auf der anderen Seite klar zu sehen, was ich nicht verstehe. Es kann auch passieren, dass ich das, was ich mir denke aufzeichne. Das ermöglicht mir Klarsicht auf die Dinge, gezielt Fragen zu formulieren,  zu recherchieren und zu erfahren. Und was ich mir ganz klassisch mit der Hand aufschreibe, das merke ich mir auch besser. (By the way, hier ist es sehr gut erklärt: https://www.spektrum.de/frage/merken-wir-uns-von-hand-notierte-dinge-besser-als-getippte/1323807 )

Recherche mache zum Beispiel hier: 

Cochrane Library in Englisch : https://www.cochranelibrary.com
Und in Deutsch: https://www.cochrane.de/de/willkommen-auf-unseren-webseiten

Springer Medizin: https://www.springermedizin.de/neurologie/neurologie/10131158

Die Patienten Universität der medizinischen Hochschule in Hannover: http://www.patienten-universitaet.de

Oder die Blogposts von Professor G. Giovannoni aus UK: http://multiple-sclerosis-research.blogspot.com der auch ausschließlich in Englisch schreibt, aber dafür auch Studienergebnisse näher betrachtet.

Geht es um so genannte Rote Hand Briefe, also solche Informationen die von pharmazeutischen Unternehmen veröffentlicht werden, wenn bei einem Medikament unerwünschte Ereignisse oder Nebeneffekte auftreten, die einer strengeren Beobachtung bedürfen, gibt es hier beim BfArM:

https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risikoinformationen/Rote-Hand-Briefe_Informationsbriefe/_functions/RI_rhb_Filtersuche_Formular.html?queryResultId=null&pageNo=0

Die gelbe Liste bietet gute Einblicke in die neuen Therapiemöglichkeiten und auch über neue Erkenntnisse: https://www.gelbe-liste.de/neurologie

Es gibt natürlich noch diverse andere Seiten von diversen anderen Anbietern. Wer noch spannende Seiten kennt, kann dies gerne in einen Kommentar packen und posten! :-)

Dr. Google:

Ich google natürlich auch. Dr. Google kann eine gute Quelle sein, ist aber mit Vorsicht zu genießen. Ich glaube längst nicht alles, was da so aufgelistet wird.

Viele Quellen sind auch nicht unbedingt solche, die vertrauenswürdig sind. Es gibt Millionen von Einträgen und viele davon sind einfach nicht wirklich gut, veraltet, unverständlich oder auch überhaupt nicht korrekt. Viele Portale, Medien und andere Informationsverbreiter bieten mehr oder weniger gute und aussagekräftige Infos an, bei denen sich das Hinterfragen lohnt.

Ein Gegencheck hilft. Gerade wenn man sich für oder gegen etwas entscheiden soll, ist Genauigkeit wichtig. Schaut Euch auch das Veröffentlichungsdatum an, mir passiert es oft, dass ich in sozialen Netzwerken Artikel finde, die heute geteilt wurden, aber sowas von gestern sind.

Schaut euch an, wie ein Bericht verfasst ist. Ist er neutral und sind alle Quellen aufgelistet, wenn es um Zitate geht? Versteht Ihr, was da steht? Und kann man erwähnte Zitate im Netz wieder finden (Thema Gegencheck)? Oder ist der Ton eher überschwänglich und emotional, dann werde ich grundsätzlich vorsichtig. Also wenn mir jemand sagt, dass er total gute Studienergebnisse hat und mir oben drauf noch was schenken will oder auch wenn jemand schwärmt.
Sind zum Beispiel auch die Patientenzahlen unkorrekt, dann sollte man aufpassen, dann könnte man auch fragen, ob der Text kontrolliert und mit einem Update versehen wird, also ob sich  jemand kümmert. Ich habe bei der Recherche hier zum Thema einige solcher Seiten von Anbietern gefunden, die sonst professionell sind, aber auch zeigen, dass man sich nicht immer um die Aktualisierungen kümmert. Was schade ist. Weil wir die Aktualität brauchen.

Community: 

Natürlich passiert es auch, dass man in die Community fragt. Klar, Erfahrungen sind wichtig und oft hilfreich.  Menschen mit MS sind meistens ganz gut informiert und können auch etwas erklären. So, dass man es versteht.

Ein bisschen vorsichtig sollte man jedoch sein. Jeder Körper ist anders. Nur weil der eine etwas nicht verträgt, muss das beim anderen nicht so sein. Mögliche Nebenwirkungen müssen nicht passieren, können aber, weil sie möglich sind. Das was bei anderen klappt, muss noch lange nicht bei einem selbst funktionieren. Dennoch sind oft Tipps dabei, die echt helfen und die man für sich selbst adaptieren kann. Gerade in Krisensituationen oder bei neuen Symptomen habe ich da schon oft Unterstützung gefunden.

Klar ist, MS Menschen helfen sich gegenseitig oft und das meistens sehr kompetent. Das durfte ich in den letzten Jahren erfahren. Sie sind, gerade wenn sie länger mit MS unterwegs sind, sehr gut informiert und fragt man nach, zum Beispiel auf Twitter oder auch in anderen sozialen Netzwerken, bekommt man oft gute Anregungen.

Schaut Euch auch Blogs an! Blogger, Ihr könnt Euch unten verewigen. :-)

Informationen verstehen! 

Der wichtigste Punkt bei der Entscheidungsfindung ist eines: Wissen und die Informationen auch zu verstehen.

Daher finde ich es wichtig, sich umfassend zu informieren, zu lernen und zu fragen. Wenn etwas nicht klar ist, den Arzt noch einmal konsultieren und klar machen: Solange die Infos nicht komplett verstanden sind, entscheide ich mich nicht. Übrigens ermutigte mich in diesem Jahr ein Onkologe, der in einem Vortrag beim Hauptstadtkongress in Berlin, sinngemäß sagte: "Ich erkläre es meinen Patienten so lange, bis ich sicher bin, dass sie alles richtig verstehen!"

Ich verstehe, dass das mühsam sein kann, aber es geht um die eigene Gesundheit und darum, gut im Leben mit all dem, was darin passiert, klar zu kommen. Wir reden hier über Lebensqualität und die sollte uns allen doch so gut wie möglich erhalten bleiben oder?



Und nochmal die Liste: 

1. macht Euch eine Liste mit allen Punkten, die euch wichtig sind.

2. Recherchiert gründlich und genau, checkt Infos bei Bedarf gegen und glaubt nicht alles auf Anhieb. Ich weiß, das ist einfacher und wie oft sieht man auf Facebook genau dieses Vorgehen. Aber ich denke, solange Menschen in Deutschland die technischen Daten eines Autos genau hinterfragen und am Ende im Schlaf aufsagen können, können wir dieses Verhalten auch für Therapien nutzen nicht wahr? ;-)

3. Bleibt mit dem Arzt im Gespräch bis Ihr wirklich alles verstanden habt und auch wenn er oder sie genervt reagiert, es ist Euer Körper und Eure Gesundheit und es ist das Recht als Patient oder Patientin, alles genau zu wissen und zu verstehen. Wenn Ihr eine Nurse kennt oder von einer betreut werdet, könnte auch sie oder er eine gute Quelle sein, um Fragen zu klären.

4. Alle Punkte, die super wichtig sind, in Gespräche äußern und nachfragen, diese auf der Liste besonders kennzeichnen, damit Ihr nichts vergesst.

5. Gerade bei wichtigen Entscheidungen, sucht Euch eine Person, der Ihr vertraut und nehmt sie mit. Zwei Köpfe nehmen Informationen genauer und besser war und verstehen mehr. Mache ich auch immer so und ich habe auch immer Zettel und Stift im Gepäck, um wichtige Punkte für mich festhalten zu können.

So und jetzt Ihr: Wie trefft Ihr Entscheidungen und was braucht Ihr dafür oder wie macht Ihr das? Helft mal denen, die mich immer fragen, doch ein bisschen weiter. Mit Euren Ideen!

Liebe Grüße
Birgit




Text: Birgit Bauer
Bilder: Pixabay.com

1 Kommentar:

  1. Danke, Deine Tipps passen genau.
    Ich recherchiere gerade für bzw. gegen einen nicht invasiven Blasenkrebs in der Familie.
    Obwohl ich beruflich schnelles Einarbeiten gelernt habe, sieht es bei solchen Themen nochmal anders aus.

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