Donnerstag, 30. Mai 2019

Keine/r siehts! Eine/r spürts! #sichtbarwerden - Der Welt MS Tag 2019

Früher mochte ich im Auto das Spiel: ich sehe was, was du nicht siehst.

Man suchte sich einen Gegenstand oder derlei aus und ließ die anderen raten, was man sah. Sie durften fragen und raten, aber es dauerte bisweilen lange, bis die anderen Mitspieler einem auf die Schliche kamen.

Heute spiele ich: Ich spüre was, was Du nicht siehst. Mit Fräulein Trulla im Team. Versteht sich. Sie denkt sich aus, wo sie mich nerven kann und ich muss der Welt mitteilen dass da was ist, obwohl es keiner sieht.

Das ist der Haken an MS: Du siehst viele Symptome nicht. Man sieht nicht krank aus.



Mein letzter Schub ist ein gutes Beispiel. Es fing an meinem rechten Auge an. Am Karsamstag. Es war als hätte der Zahnarzt seine Betäubung zu stark gesetzt. Alles war taub oder irgendwie taub und oft genug griff ich mir an die Nase oder den Mund, um zu kontrollieren, ob ich nicht vergessen hatte mir die Nase zu putzen oder ob mir eine Nudel vom Chinesen im Mundwinkel hing.
Schließlich nahm Trulla auch noch Besitz von meinem Kiefer und ich meinte dauernd, dass mir die Zähne ausfallen würden, kontrollierte ständig meine Beißer und hatte ein ständig seltsames Gefühl im Kiefer.

Das Ding ist: es hat keiner gesehen. Mein Gesicht sah aus wie immer. Sagte ich etwas dazu kamen oft nur dumme Kommentare: "Ach geh, so schlimm wird's nicht sein."

Sowas tut weh, mehr als der Schub weh tut und es hinterlässt eine weitere Kerbe in meinem Sein, weil es nicht nötig wäre.

Meine Antwort: "Weißt du noch was Dümmeres als mich in Frage zu stellen?"

Menschen mit MS neigen häufig dazu, zu sagen, dass alles ok ist, weil es einem oft auf die Nerven geht, immer zu erklären, warum man sich krank fühlt aber nicht so aussieht. Wir tragen so eine Art Maske um uns selbst zu schützen und das ist, muss man ehrlich zugeben, auch nicht schlau. Aber bevor man sich ständig dumme Kommentare von Menschen gibt, die die Empathie eines Ziegelsteins haben ...
Lieber sagen wir, dass wir in Ordnung sind als uns blöde Kommentare anzuhören und "Ach ich bin auch ab und an müde" zu akzeptieren, wenn wir sagen, dass wir Fatigue haben. Ein anderes ziemlich nerviges und unsichtbares Symptom.

Erschöpfung, also Fatigue ist mehr als das, was man langläufig als müde bezeichnet. Es ist ungefähr so, als ob man auf dem Sofa sitzt, vor einem steht ein Glas Wasser, man hat Durst, überlegt aber ernsthaft, ob man es hinkriegt, zum einen zu trinken und zum anderen den Weg zum Klo gehen zu können. Denn es ist verdammt anstrengend und oft nicht machbar.

Andere unsichtbare Symptome sind zum Beispiel, wenn man eine Parästhesie hat, also sich Körperteile anfühlen, als würde eine Kolonne Ameisen darüber laufen, Schmerzen, kann man oft auch nicht sehen, die fühlt man nur. Blasen- und Darmprobleme? Sieht man nicht. Man hat sie. Und wenn wir über Sex reden, können wir sagen, auch das kann ein ernstes aber unsichtbares Problem der Menschen sein, die mit MS leben.

Depressionen? Zeigen einem die wenigsten, aber viele haben sie. Ungefähr jeder 5. mit MS hat Depressionen. Und wer je damit zu kämpfen hatte, weiß, wie übel es ist und wie hart der Weg zurück ins Leben sein kann. (Quelle: DMSG)

Gerne auch genommen sind Gedächtnisprobleme oder auch Probleme, wenn der Sommer kommt. Hitze ist kein guter Begleiter und man muss aufpassen, wie heiß man läuft und wie man sich abkühlt.
Dazu kommen oft genug zwischenmenschliche Probleme, das Unverständnis der Bevölkerung und oft auch der Mitmenschen, die einem nahe sind. Sie verlässt man irgendwann, wenn es zuviel wird. Dinge, die es nicht bräuchte, wäre MS bekannter und würden sich Menschen mehr darüber informieren.

Es gibt sicherlich noch viel mehr zu sagen zu "Ich spüre was, was du nicht siehst" und #butyoudontlooksick.

Was mir aber wichtig ist ist eines und das möchte ich
offen sagen:

Wir Menschen mit MS haben ein Recht auf eine gute Lebensqualität, Respekt und Akzeptanz. 

Wir haben ein Recht auf Leben und darauf, dass man uns nicht ständig in Frage stellt, wenn wir Symptome äußern. 




Deshalb, wenn jemand mit MS über unsichtbare Symptome spricht, stellt ihn oder sie nicht in Frage, sondern vertraut diesen Menschen und bietet Unterstützung an. Die sagen das nämlich nicht einfach aus Lust und Laune, sondern weil es so ist.

Ignoranz ist keine Lösung!




Übrigens, gerne darf man auch fragen, wenn man etwas nicht versteht, ich freue mich darauf, Fragen zu beantworten und andere Menschen mit MS sicherlich auch! 

Laßt uns MS sichtbar machen. Und helft mit, diese Barrieren in den Köpfen der Menschen einzureißen und MS genauso zu sehen wie andere Erkrankungen. 

Einen schönen Welt MS Tag!

Birgit 



Bild von Fräulein Trulla: Birgit Bauer / Marion Stein
Bild von Leandro De Carvalho auf Pixabay Bild von Reimund Bertrams auf Pixabay
Bild Ignorance Pixabay.com

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen