Werte Leserschaft,
vor einigen Tagen waren die Bauer und ich unterwegs. Wir saßen an einer Kaffeetafel und wunderten uns über das eine oder andere, das selbst mein Spitzenkrägelchen, das ich extra gestärkt hatte, zum Erzittern brachte.
Die Bauer hatte mich gewarnt und hatte selbst lange darüber nachgedacht, welche Kleidung sie auswählen sollte. Für mich war klar, ein sittsamer schwarzer Rock, Strumpfhose, ein weißes, zurückhaltendes Oberteil und ein kleines, neckisches Handtäschchen sind angemessen für sie. Selbstverständlich mit sittsamen Schuhwerk. So wie ich das immer mache. Angemessen, sittsam und schön ordentlich.
Sie meinte nur: "Ja klar, dann steck ich mir noch nen Stock Duweißtschonwohin und knüpfe mir nen Dutt anstatt meiner Locken. Du spinnst Trulla, das ist dein Look, aber nicht meiner!"
Sie wäre nicht die Bauer, hätte sie nicht einen sommerlichen Look mit einem Hauch Zebra an den Schuhen gewählt und eine - wie sie sagt - vernünftige Handtasche dazu genommen.
Wir saßen also, ich sittsam, sie typisch bunt am Tisch, als die Frage an uns gerichtet wurde: Wie es ihr, also der Bauer, mit ihrer MS , also mit mir, ginge?
Die Bauer: "Och eigentlich ganz gut. Ich lasse mich aber von der MS (Sie verwendet meinen Namen nur bei Menschen, die sie mag und denen sie vertraut, sonst bleibe ich offiziell die MS) nicht unterkriegen. Dafür bin ich zu beschäftigt."
"Aha. In der Zeitung stand aber ja, dass MS ganz super laufen kann!"
"Ja, kann, aber du weißt halt auch nie, was als Nächstes kommt. oft verläuft eine MS nicht unbedingt immer sichtbar, es gibt viele Sachen, die bleiben dem Beobachter verborgen und nur wir, die wir mit MS leben, spüren sie! Ich komme zum Beispiel auch gerade aus einem Schub!"
Ich begann mich gerade in der mir zugeteilten Aufmerksamkeit zu sonnen und genoss sehr, dass sie über mich sprach, wenngleich nicht in dem Ton, der sich gehören würde. Aber man lebt ja auch von kleinen Dingen, nicht wahr?
Was aber dann passierte war nicht nett. Man hat mich abserviert. Dabei hätte ich doch so viel zu sagen gehabt. Wirklich! Über meine unsichtbaren Zeichen, die verschiedenen Formen und was ich wirklich gelernt habe.
Aber was kam war: "Die Sahnetorte schmeckt heute gut!"
Die Bauer und ich? Abgehakt. Ausgetauscht aus Desinteresse. Abserviert mit einem Stück erbärmlicher Sahnetorte.
Was passiert ist?
Die Bauer sagte es klar: "Man fragt halt. Weil es sich so gehört. Was weit von ehrlich entfernt ist und unhöflicher als einfach nicht zu fragen. Es ist offenes Desinteresse und verletzt. Und wenn du sagst, dass du gerade aus nem Schub kommst, kann das richtig schlimm sein. Das will man keinesfalls hören. Und schon gar nicht zur Sahnetorte."
Sie schaute mich an, ließ mich zum Trost sogar auf dem Rücksitz ihres Autos mitfahren und meinte: Trulla, das ist so. Sobald es kritisch oder eventuell unangenehm sein könnte, nehmen Menschen Abstand. Noch immer. Du gehörst nicht zur beliebten Sorte der chronischen Erkrankungen. Du bist ein Mysterium und sich einfach mal zu informieren, also abseits der gängigen Heile Welt Artikel der Tagespresse, die halt erscheinen, wenn Welt MS Tag ist, kommt nicht in Frage.
Und drüber reden geht nicht, das könnte Dinge hervor bringen, die nicht zur Sahnetorte passen. Weil sie vielleicht bitter sein können, sozusagen der unerwünschte Beigeschmack, den keiner will. Vor allem, wenn das Interesse nicht da ist und man nur fragt, weil man das halt so tut.
Ich war entsetzt. Mir wurde gar blümerant, brauchte ein Likörchen und Erholung.
Ich! Das werte hochvornehme Fräulein Trulla! Abserviert und ausgetauscht! Gegen eine erbärmliche Sahnetorte!
Die Bauer würde jetzt sagen: Hallo? WTF? Gehts noch?
Und sie würde eine Ansage machen. Etwas, was ich mir jetzt erlaube.
Fräulein Trullas Ansage:
Sollten wir uns also in Zukunft begegnen, fragen Sie nur wie es uns geht, wenn Sie wirklich ersthaft interessiert an uns und unserem Wohlbefinden sind. Wenn Sie es aushalten können, mit uns über Schübe oder unsichtbare Symptome zu sprechen und Verständnis dafür haben, wenn etwas bei uns anders funktioniert als bei Ihnen. Wir begrüßen Interesse, Anteilnahme und einen wertschätzenden Austausch. Gerne auch mit Torte. Aber nicht im Austausch gegen Torte.
Mir bekommt es nicht, gegen erbärmliche Sahnetorte ausgetauscht zu werden. Als Fräulein Trulla von Welt finde ich, dass wir, also die Bauer und ich, die ehrliche Aufmerksamkeit verdient haben, die uns zusteht.
Desinteresse können Sie also behalten und wenn Sie dann noch auf Abstand bleiben, sind wir damit völlig einverstanden!
Mit besten Grüßen
Ihr Fräulein Trulla
Bild "Torte" von Manfred Richter auf Pixabay
Bild "Wut" von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay
Mein Leben ist fast normal. Mann, Kater, Haus. Alles normal. Fast. Bis auf die Tatsache, dass ich seit 2005 mit der Diagnose "Multiple Sklerose" lebe. Nichts geht ohne sie, aber viel mit ihr .... Lebensmomente - Augenblicke - Wissenswertes über das Leben und das Arbeiten mit MS!
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