Dienstag, 27. August 2019

Wirklich immer alles schlecht oder .... in Sachen Balance ...



Gestern lief ja der Film Balanceakt. Die Geschichte über Marie, die die Diagnose MS bekommt. Und klar, wie bei uns allen, diese Diagnose ist ein Schock und Marie spricht erst mal nicht darüber, bis es halt irgendwann so an die Grenzen geht, dass sie nach und nach sagen muss, oder ihr Mann sagt es, dass sie MS hat.

(Hier zum Nachschauen: https://www.zdf.de/filme/der-fernsehfilm-der-woche/balanceakt-100.html)

Das Leben schlägt von einem Tag auf den nächsten um. Von der erfolgreichen Architektin zur Frau mit MS ist dramatisch und auf einmal geht nichts mehr. Krank sein war vorher nicht drin, jetzt muss sie und bleibt so ein bisschen im Bett kleben. Das Thema Akzeptanz kommt auf und ist im Film ganz gut dargestellt.

Alles ist düster. Alles ist schlecht und negativ. Die Zukunft wird in Frage gestellt, weil man eben nicht sagen kann, was kommt. MS ist bis heute nicht vorhersehbar. Man muss es nehmen, wie es eben kommt. Das Leben. Und die Vorstellung im ersten Moment ist tatsächlich grausam. Vor allem, wenn man noch nicht so viel weiß und ein ganzes Leben auf den Kopf gestellt wird.



Ehrlich gesagt, ich glaube, MS ist nicht nur schwarz oder weiß. Die Erkrankung ist auch alles das, was dazwischen ist. So facettenreich die Erkrankung bei den Menschen, die damit leben, auftaucht, so facettenreich ist auch das Leben damit.

Und facettenreich heißt für mich auch, dass es neben der schlechten Seite auch eine gute Perspektive gibt. Allerdings braucht das ein bisschen Zeit, denn man muss sich ein bisschen darum bemühen, sich damit anfreunden. Schlicht: akzeptieren.

Akzeptanz ist am Anfang schwierig.



Man muss damit anfangen, an sich und der eigenen Situation arbeiten, Zeit zu investieren. Raus aus der Komfortzone ohne MS und sich eine neue Komfortzone mit MS zu schaffen. Das, was in der Vergangenheit war, spielt keine oder fast keine Rolle mehr, man muss quasi ab in die Zukunft und das ist eine Herausforderung. Es ist  eine Sache der Selbstreflexion und der Art wie man mit sich selbst umgeht und umgehen wird und ob man sich mögen wird. Und ob man damit klar kommt, dass der Körper nicht mehr wie gewünscht funktioniert.

Als ich die Diagnose erhielt, war alles schwarz. Verständlich oder? Ich mein, wer lässt sich gerne sagen, dass er quasi lebenslänglich mit undefinierbarer Zukunft bekommt? In Form einer neurodegenerativen Erkrankung, die nicht heilbar ist. Schön ist dann auch anders.
Ich brauchte eine Weile bis ich es kapierte, aber neben der MS gab es noch dieses Leben und dieses Leben wollte gelebt werden. Die Welt stand nämlich nicht still und die Erde drehte sich frecherweise weiter. Tag folgte auf Tag und nach einiger Zeit des Selbstmitleids in dem ich mich etwas suhlte, war mir auch klar, ich muss da raus.

Ehrlicherweise muss ich zugeben, ich hatte, neben einigen sehr schrägen Menschen in meinem näheren Umfeld, die mit mir auf einmal nicht mehr klar kamen, auch ein oder zwei, die mich aufs Gleis zurück schoben. Während Herzblatt mir am morgen mitteilte, was er zum Mittagessen wollte und welche Dinge ich als Hausfrau zu tun hatte, schickte mich mein Hausarzt zur Psychologin. Sie verpassten mir, jeder auf seine Weise einen Ablaufplan und Struktur. Und ich war böse auf beide. Zuerst. :-)

Aber irgendwie hatte ich nichts anderes zur Wahl. Ich fand mich irgendwo in den Krümeln meines Lebens vor der MS wieder, die keiner mehr nutzen konnte, weil eben alles anders war. Etwas staubig und hustend machte ich mich also auf den Weg und fand nach und nach eine Richtung.


Zugegeben, eine ganz andere Richtung als ich es mir vor der MS so ausgedacht hatte, aber Richtungen sind dafür da, dass man sie ändert, anpasst und damit versucht, das Beste draus zu machen. Ich lernte. Von mir, von der MS und ich lernte mit der MS umzugehen, damit zu leben und nicht  zur "Kämpferin", sondern zu der, die mit MS leben kann und wird.

Auf meine Intuition zu hören und mir selbst zu vertrauen war klasse und ich genoss und genieße es. Mit der Zeit schüttelte ich Menschen ab, die mich mit ihrer Art über Menschen mit MS zu denken behinderten.
Ich lernte, was Resilienz (innere Widerstandskraft) bedeutet und erfuhr, dass ich eine Menge davon habe. Auf einmal waren da Fähigkeiten, die ich vorher großzügig übersehen hatte und die ich jetzt nutzte. Machte was aus dem, was da war etwas.  Eine meiner Omas erklärte mir als Kind: Aus allem kann man ein bisschen was machen. Zutrauen muss man sich das halt.

Ich hatte das nicht bis zu dem Zeitpunkt nicht so ganz kapiert, aber ich traute mich und machte etwas aus dem, was da war.
Stimmt. Trauen muss man sich. Leben mit MS braucht Mut. Zur Veränderung. Zur Konsequenz und zur Selbstdisziplin. Es braucht Mut, sich zu informieren und sich alle Facetten der Erkrankung anzusehen und zu lernen um entscheiden zu können, was die wirkliche Priorität hat.

Um es auf den Punkt zu bringen, es ist nicht immer alles schlecht mit MS. Aber es liegt auch oft an der Situation jedes Einzelnen, der Menschen selbst und ihrer Art, wie sie leben und leben wollen. Es liegt daran, wie jemand lebt, welche Menschen als Unterstützer da sind und einen ermutigen.

Zum Beispiel auch, um Hilfe anzunehmen, sich helfen zu lassen. Unterstützung anzunehmen ist eine andere schwierige Sache. Denn man gibt etwas aus der Hand, muss andere machen lassen. Und das ist für Perfektionisten wie mich oder auch Marie aus dem Film, echt eine Hürde. :-)



Deshalb, ja MS ist nicht nett, es ist eine ernsthafte Erkrankung. So eine, die richtig zuschlagen kann. Aber es ist auch ein Leben, das gelebt werden möchte, das es oft auf verdient hat, gelebt zu werden.

Auch wenn es ein Balanceakt ist, um mich des Filmtitels zu bedienen, aber der stimmt einfach.

Nachdenkliche Grüße

Birgit



Text: Birgit Bauer

Bilder: Pixabay.com

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