Dienstag, 20. August 2019

Und manchmal ein zufriedenes Nein - von Prioritäten!


Kennt Ihr das: Jemand kommt an und macht euch ein sehr verlockendes Angebot. So eins, wo man vor Begeisterung Schnappatmung kriegt, nach einem Sauerstoffzelt verlangt und kreischend auf dem Sofa hopst? So eine Sache, die auf den ersten Blick wirklich saugenial aussieht und von der man glaubt, das kommt nie wieder. Was sehr wahrscheinlich ist und man ist verleitet, sofort zuzugreifen.

Sabbernd sitzt man da, hat Feuerwerk im Kopf (Kann ich auch ohne MS ;-) ) und freut sich ein Loch in den Bauch, weil man auf einem Ding sitzt, das besser nicht sein könnte.

Das Angebot ist wohlmeinend, positiv, freundlich und unschätzbar großzügig. So etwas passiert einem nicht oft.  Erstaunen ist angesagt. Und Dankbarkeit.
Man macht sich dann (also ich schon) Sorgen um den passenden Look und andere Dinge, noch bevor man den Rest der Sache genauer betrachtet hat. Aber hey, es ist ein geiler Trip und sowas muss man genießen, also allein dieses Ereignis wohlgemerkt.

Wenn man dann wieder von diesem Rundflug auf die Erde plumpst, oder sanft landet, weil man ja dieses wohlmeinende und unschätzbar weiche Wölkchen unterm Popo hat, fängt man auch wieder an, normal zu denken. Meistens jedenfalls. Abgesehen von dem einen oder anderen Knallfrosch, der zurückbleibt. Was aber ok ist.
So ungefähr ging es mir vor einigen Tagen. Und so gesehen: Geiler Trip. Echt.

Und ein Angebot von unschätzbarem Wert für das allein ich schon super dankbar bin. Ich fühle mich geehrt.

Trotzdem .... irgendwann landest du auf dem Boden der Tatsachen. Ich landete sanft und mit Freude im Herzen und aufgeregt und so.

Und  fing an mein Hirn wieder einzuschalten und zu nutzen. Denn da gibt es Dinge, die muss man sich ansehen. Fragen wollen gestellt und beantwortet werden. In dem Fall ging es um Prioritäten, um etwas Wohltätiges und die damit ethischen Blickwinkel (Ist das nur für mich oder hilft es allen, die da eigentlich dabei sind?) und viele andere Faktoren, wie kriege ich das in dem kurzfristigen Zeitrahmen so hin, dass alles ok ist? Es sind Prioritäten im Leben, die da sind. Grundsätze und Dinge, die man verfolgt und die sich vielleicht ins wohlmeinende Vorhaben drängeln und es möglicherweise verhindern.



In der Patient Advocacy höre ich oft den Satz der sinngemäß so lautet:

Du brauchst das richtige Gift in der richtigen Dosis zum richtigen Moment.

So ähnlich ging es mir. Ich attestiere: Es war die Gelegenheit im falschen Moment. Einem Moment, in dem ich andere Prioritäten hatte und habe. So kam die Frage auf,  ob die Tür, die mir ein wohlmeinender Mensch geöffnet hatte, wirklich eine war, durch die ich gehen sollte, könnte oder wollte.

Ich fragte mich, ob meine Mittel, meine Prioritäten und auch meine Ziele, die ich gerade verfolge, das zulassen würden und ob diese Gelegenheit etwas dafür tun würde, außer, dass ich echt Spaß haben würde und das ein Trip wäre, den man so schnell nicht wieder kriegt.

Was in solchen Fällen passiert ist das: Meine Bodenständigkeit meldet sich zu Wort. Das ist so ne Mischung aus Hausfrauendenken, Unternehmerinnengedanken, Birgit die Chaoten (schreit ja immer "ich will das sofort" und stampft auf dem Boden) und meine pragmatisch niederbayerische Denke, die fest verwurzelt ist in der Erde.

Sie ließen mich sanft, aber auch bestimmt landen. Und brachten eines mit sich, was ich in solchen Fällen immer mache: Listen. Ich bin quasi eine Listenkönigin, es gibt To-Do Listen, eine Reisezielliste, eine mit tollen Radwegen, Hotels und mehr. Es gibt Einkaufslisten, Listen mit diversen wichtigen Dingen und eine Pro - und Contraliste für diese Gelegenheit. Dazu gesellte sich auch meine Intuition.



Es gibt viele Fragen wie: Ist es das wert zu tun?  Ist der Schritt richtig?
Kann ich so spontan? Eine Frage, die mit der MS aufkommt. Mit MS leben heißt auch, viel achtsamer mit sich und der Umgebung, den Möglichkeiten und der Energie umzugehen als die, die gesund sind. Sie können spontaner sein, sich oft ins Leben stürzen und leichtsinnig solchen Angeboten folgen, wenn sie auch hinterher Ruhe brauchen, erholen sie sich schneller als wir, die wir dann vielleicht Symptome erleben, die wenig nett sind.

Es kann mit MS schon mal schief gehen und dann ist man froh, wenn das Hotel bequem ist und beispielsweise in der Nähe der Location liegt, wo eine Veranstaltung etc. stattfindet. Nicht so einfach also,  mal eben schnell irgendwo ein Hotel zu buchen, ohne zu sehen, wie nah es an der Location ist und ohne zu wissen, wie man hinkommt und ob es dort, wo man sich tagsüber aufhält, die Möglichkeit gibt, sich einen Moment auszuruhen. Gut, Fräulein Trulla hält mich selten auf und derzeit ist sie echt nett zu mir, aber weiß ich was morgen ist?

Leben mit MS heißt anders planen ...

... auch ein bisschen zu sehen, dass man Unvorhergesehenes abfedern kann. Mit Nähe, einfachen Wegen und bequemen Hotels, in die man sich zurückzieht, wenn es zuviel wird oder mit Ecken, die einem gut tun, weil sie still und ruhig sind und nicht laut und überfordernd.
Viele Menschen mit MS erleben oft Überforderung wenn sie mitten im Chaos sind, also Lärm, viele Menschen und Eindrücke zu verarbeiten sind.
Fatigue, also Erschöpfung kann dafür sorgen, dass gar nichts mehr geht oder dass die eigene Leistung abnimmt.
Es sind oft Kleinigkeiten, die andere übersehen. Sie können das, wir müssen halt aufpassen. Nichts muss, aber es kann halt passieren und so sorgt man ein bisschen besser für sich. Man plant Pausenzeiten, achtet auf gesundes Essen und zieht sich am Abend eher zurück um am nächsten Tag fit zu sein. So mache ich es bei Kongressen. Die anderen gehen feiern, ich gehe schlafen. Dafür bin ich aber am nächsten Tag fit und habe Spaß, erlebe Kongresse und kann mich gut konzentrieren.

Etwas, das Menschen, die noch nie mit einem MS Menschen zu tun hatten, nicht immer verstehen oder begreifen. Verständlich und ein Grund, es hier heute auch mal zu erklären. Es ist halt alles ein bisschen anders.

Auf der anderen Seite gibt es das finanzielle Limit: ist es diese Gelegenheit wert, meine Budgets empfindlich zu überschreiten? Letztlich musste ich schon auch meinen Teil in Sachen Finanzen beitragen. Und wäre es den Projekten, an denen ich derzeit arbeite, förderlich und zuträglich? Ich machte mir auch darüber Gedanken.

Fragen die wichtig sind. Sie machen nicht wirklich Spaß, brauchen aber eine Antwort. Besonders wenn es darum geht, über die eigenen Prioritäten nachzudenken. Sie sind anders gelagert.

Mit MS leben heißt anders gewichten

Etwas, das ich über die Jahre gelernt habe und das mir gut tut, weil ich so sicher stelle, dass ich mich wohlfühle, mit meinem Körper, mit mir und mit dem Rest, den das Leben eben so an Überraschungen bereit hält. Sicher kann man nicht alles planen, aber man kann achtsam sein.

Letzten Endes habe ich mich gegen das Angebot entschieden. Weil meine Prioritäten nicht dazu passen. Wie gesagt, falscher Moment. Auch ethisch betrachtet. Aber ein großartiges Angebot über das ich mich immer noch freue. Weil ich es gekriegt habe.

Es war ein ein kurzer, heftiger Prozess, der mir wieder einmal gesagt hat, dass ich ein sehr zufriedener Mensch bin. Dass ich dankbar bin für das was ich habe und nicht jeder Gelegenheit hinterherlaufen muss. Ein schöner Gedanke, der befreit.

Am Ende steht ein zufriedenes "Nein". Eines, das gut tut, zufrieden macht und sagt, es ist genau jetzt die richtige Entscheidung.

Und dafür bin ich dankbar. Und dafür, dass ich meinen Fähigkeiten, meine Prioritäten richtig einzuschätzen und Situationen trotz Feuerwerk im Kopf und Sofahopsen durchaus sehr gut vertrauen kann.

Ein anderes Mal gern ...

Birgit




Text: Birgit Bauer

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