Wie geht es Dir?
Eine Frage, die ich, wenn ich sie stelle, nicht als höfliche Floskel betrachte, sondern damit mein Interesse bekunde. Das Interesse am Menschen und daran, was im Leben dieser Person gerade los ist. Dass es etwas sein könnte, was nicht so gut ist, etwas, das Mitgefühl verlangt, vielleicht ein Moment einträchtigen Schweigens oder aber auch purer Freude bei der ich mitmache, ist mir klar.
Aber mich interessiert es. Weil mich der Mensch interessiert.
Als ich anfing mit MS zu leben, dachte ich, dass es die Menschen wirklich interessiert, wie es mir geht. Wenn ich gefragt wurde, gab ich schon mal Auskunft und erklärte, dass das Leben mit MS nicht immer einfach ist, wenn ich einen Schub hatte, sagte ich das auch. Und war immer wieder erstaunt über einzelne Reaktionen. Man wandte sich ab, wechselte das Thema oder kam mir mit der üblichen Mitleidsnummer, die auch keiner braucht.
Wirkliches Interesse war selten. Ist es bisweilen auch heute noch. Man fragt, weil das höflich ist. Weil sich das gehört. Dass es sich gehört, dann wirklich interessiert zu sein und ein Gespräch damit aufzunehmen, vergisst man gerne. Was schade ist.
Nach dem Befinden zu fragen, bedeutet nicht nur Interesse, es bedeutet auch die Pflege eines sozialen Kontaktes, man kann auf Freundschaft dazu sagen. In einer Zeit, in der die Zeit knapp ist und man glaubt ständig irgendwelchen Dingen hinterher hecheln zu müssen scheint die Aufrichtigkeit hinter der Frage zur Seltenheit geworden zu sein.
Weil die Antwort manchmal mehr Zeit erfordert, als da ist. Ich würde sagen, hier trennt sich oft die Spreu vom Weizen. Richtige Freunde nehmen sich den Moment. Die, die nur aus reiner Manier heraus fragen, nicht. Sie wandeln weiter, kaum dass der Satz ausgesprochen ist. Nicht ein Atemzug passt dazwischen, nicht ein Wort als Antwort.
Was genau dahinter steckt ist nicht immer klar. Als ich letztens darüber nachdachte, habe ich festgestellt, dass ich mittlerweile diverse Antworten habe.
Fangen wir schnell an: Der Quickie
Kommt dann als "Danke gut!" zum Einsatz, wenn ich eindeutig den "Ich bin nur höflich aber nicht interessiert" Menschen erkenne.
Der Ablader
Oder aber, wenn ich merke, dass jemand vor mir steht, der nur drauf wartet, seinen Ballast bei mir loszuwerden, also auf die Gegenfrage "Und wie geht es dir" wartet. Sie sind die, die gierig darauf sind, ihren kompletten Ballast abladen wollen oder auch totale Aufmerksamkeit benötigen.
Sie überlasten und überdehnen den Rahmen empfindlich und übersehen, diese feine, aber wichtige Grenze, zwischen ich erklär dir kurz was los ist und ich hau dir alles, was mich nervt gegen den Latz. Die Antwort muss in Balance bleiben. Damit Raum für Antworten bleibt. Für Begegnungen. Daher auch hier: "Danke gut" und weiter.
Die Interessierten
Sie haben wirklich Interesse, nehmen sich einen Moment und wenn sie zuhören, schenken Zeit und haben oft eine Inspiration, eine Antwort oder eine andere Perspektive, die hilft, eine andere, vielleicht bessere Haltung zu einem Thema zu finden. Das sind so richtige Freunde oder Menschen, die wohlwollend und wertschätzend sind.
Die Ängstlichen
Sie sind besonders. Sie fragen erst gar nicht. Auch das ist möglich. Sie haben Angst vor der Antwort. Ich erlebe das immer wieder. Diese Menschen haben Angst vor MS. Die MS streicht quasi die Frage aus dem Gespräch, lässt die Menschen allein zurück und sorgt dafür, dass sie sie umgehen.
Sie kennen es nicht, haben keine Ahnung, wie man es einordnen soll. Als ich jemandem sagte, dass ich niemandem die technischen Details aufzwinge, sondern dann eher diplomatisch und verständlich für alle antworte, hat ihn das wohl nicht beruhigt. MS ist für sie eine gruselige Fratze, die sie nicht einordnen können, was verständlich ist, aber auch nicht wollen. Und das finde ich schade. Weil ein "Das tut mir leid zu hören" schon reicht, wenn jemand nicht mehr verträgt.
Die, die immer auf #butyoudontlooksick aus sind
Die gibt es auch. Die sehen einen, kommen um einen zu begrüßen und beantworten die Frage "Wie geht es dir" gleich selbst: Du siehst ja so gut aus! Überhaupt nicht krank!
Und disqualifizieren sich selbst von einer guten Antwort. Sie hören von mir nur ein "Oh du siehst auch sehr gesund aus" oder
Zu guter letzt: eine Mischung aus Angst und Verdrängung.
Diese Menschen fragen nicht, weil sie zum einen Angst haben aber die MS gerne verdrängen. Sie lenken ab, wollen sich damit auseinandersetzen. Das kann bei manchen Zeitgenossen echt schmerzhaft sein, weil man sich nahe steht oder gut kennt. Eigentlich könnte man sagen, ein bisschen erwartet man die Frage, weil man selbst fragen würde, aber sie kommt nicht. Weil man sich damit nicht konfrontieren möchte, das Gespräch, vermeidet, könnte ja unangenehm werden. Und weil es sich einfacher ohne MS lebt. Was schon stimmt, aber nun ja .... die einen können tatsächlich einfach leben, die anderen nicht. Weil sie mit MS leben müssen. Da bleibt nichts anderes.
Kurz und gut: Die Frage ist eine, die viele Menschen plagt, umtreibt und ab und an beeindruckt. Besonders dann, wenn man sie stellt, weil man wirklich interessiert und bereit ist, einen Moment mehr zu verweilen, zuzuhören und vielleicht auch etwas Hilfreiches von sich zu geben. Da zu sein und das zu schenken, was "Wie geht es dir?" eigentlich ist: Zeit.
Wie geht es Euch?
Viele Grüße
Birgit
Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay
Luftballonbild pixabay.com
Danke. Luft nach oben, Luft nach unten.
AntwortenLöschenMuss halt...
Vielen Dank für den schönen Beitrag. Das “wie gehts dir?“ kann wirklich eine ganz besondere Frage oder auch nur eine Höflichkeits-Floskel sein.
Je nach dem können so begonnene Gespräche sehr interessant oder auch sehr anstrengend oder nervig werden