Donnerstag, 20. Februar 2020

Herrlich faul sein? Ich kann das!

Faul sein ist wunderschön! Das sang Pippi Langstrumpf schon. Und sie hatte ja so recht.

Ich hänge für mein Leben gerne ab. Letzten Sonntag. Ich lümmelte im besten Lümmeloutfit auf dem Sofa als das Herzblatt meinte, dass wir auch spazieren gehen sollten. Sollten wir. Richtig. Aber ich war beschäftigt. Ich hatte mir selbst faul sein verordnet und gab das perfekte Faultier. Ok, ich hing nicht am Baum, aber lümmelte quer übers Sofa drapiert. Ein Spaziergang war da nicht geplant. Ein bisschen stricken natürlich aber sonst, dem nachhängen, was mir gerade durch den Kopf schoß.
Es war wunderschön. So erholsam. Friedlich, sanft und unheimlich gemütlich. Man könnte fast behaupten, ich war super hygge letzten Sonntag.


Im Laufe der Woche las ich den Kommentar einer Expertin in Sachen MS, die sich bitter darüber beklagte, wie faul wir Menschen mit MS doch sind. Wie unmotiviert uns zu bewegen. Wir wären gar nicht bereit, unseren Lebensstil zu verändern, schrieb sie. Und klang ein bisschen verbissen und anklagend und so als wären wir alle die größten Faultiere ever.

Ich fragte mich in dem Moment, was da los ist. Vor 15 Jahren, als ich die Diagnose erhielt, sagte man mir, Sport wäre ganz arg schlecht für mich. Wegen der MS. Allenfalls ein milder Spaziergang (was immer die damit meinten, weiss ich bis heute nicht wirklich) wäre ok.

Schaut man sich die Empfehlungen heute an, ist alles gegenteilig. Wir sollen uns fit halten, Sport machen, ganz viel am liebsten und müssen unheimlich fit werden. Es ist quasi ein ganz heißer Trend ganz fit zu sein. Weil man über die Jahre eben heraus gefunden hat, dass Sport und MS sich eben nicht ausschließen und Bewegung im Zusammenhang mit Fatigue, Beweglichkeit und Depressionen positiv wirkt. Experten, die wie besagte Dame, argumentieren oft aus Studien und Daten heraus und bestehen jetzt quasi darauf, dass wir uns bewegen und unseren Lebensstil verändern. Ohne mit MS zu leben. Also erst mal rein theoretisch. Alles schön und gut. Die Experten haben ja auch Recht.

Und um der Theorie jetzt die Praxis anzufügen: Wir alle geben unser Bestes. Gut der Großteil von uns. Natürlich sind wir aktiv und verändern unseren Lebensstil, das lässt sich auch nicht verhindern, die MS zwingt einen dazu. Daher ist es mir im Moment nicht klar, woher die Expertin die steile Faulheitsthese abgeleitet hat.

Ich sehe es an meinem Netzwerk. An Euch und dem, was Ihr so erzählt. Viele von Euch machen Sport, bestreiten sogar im Wettkämpfe und Ihr lebt gesund und seid aktiv. Oft lese ich davon, dass jemand seine Ernährung verändert, etwas Neues beginnt, weil er oder sie festgestellt hat, dass sich diese Veränderung positiv auf den Gesundheitszustand auswirkt. Das tun wir alle. Soweit die MS uns lässt. Nicht immer ist jede Aktivität gesund. Aber wir sind motiviert, weil den meisten von uns klar ist, welchen positiven Einfluss eine vernünftige Lebensart auf unser Befinden hat.
Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Logischerweise könnte man sagen, dass sich die Passiven vielleicht Gedanken darüber machen könnten, wie sie aktiver werden und etwas für ihre Gesundheit tun können. Muss man wahrscheinlich auch. Entscheiden aber müssen diese Menschen das für sich selbst.

Klar gibt es diese Tage, an denen fühlt man sich schlicht als wäre man unter einen Bagger geraten. Da geht nichts.
Wir erleben vermehrt Symptome, sind platt und matt, nicht wirklich leistungsfähig und der Gang in die Dusche kann zur Herausforderung werden.
Auch ich habe solche Tage und verstehe jeden, der dann eher das Sofa oder das Bett aufsucht, anstatt aktiv wie ein oller Duracellhase fröhlich weiter zu machen. Das geht dann einfach nicht. Dann geht es nach dem Willen der MS und das was wir gerne möchten, ist abgemeldet.
Diese Tage sind ohnehin nicht einfach und dann noch aktiv zu werden, ist eine Sache, die definitiv nicht mehr machbar ist.


Dann gibt es diese faulen Tage. Diese Sonntage. Es sind Seelentage.
Sie sind nötig, um sich mental zu erholen und sich selbst gut zu tun. Auch das ist in gewisser Weise ein Fitnesstraining. Auf mentaler, seelischer Ebene. Das ist völlig ok und ich würde sagen: gesund. Nicht nur für Menschen mit MS übrigens. Selbstfürsorge tut allen gut und ist wichtig für die viel zitierte so genannte "Work Life Balance".

Ich stimme Pippi also zu: Faul sein ist wunderschön. Eine gute Portion Faulheit ab und an verschafft einem die notwendige Balance zwischen Aktivität und Erholung. Für Menschen, die mit einer chronischen Erkrankung leben, ist es umso wichtiger, genau auf diese Balance zu achten um fit zu bleiben und aktiv sein zu können. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es reaktiviert Kräfte, lädt die Akkus auf und verschafft Reserven.

Faul sein ist wunderschön und ich kann herrlich faul sein. Ich genieße meine Faulheit dann und finde das großartig. Ein schlechtes Gewissen plagt mich dabei übrigens gar nicht. Im Gegenteil, mich plagt es, wenn ich durchgehend aktiv bin, weil ich genau weiß, dass das schon mal schief gehen kann und das Fräulein Trulla dann quasi einen Freifahrtschein in ihrer Tasche sieht und mich piesackt.

Wie seht Ihr das? Seid Ihr auch manchmal herrlich faul?

Faule Grüße

Birgit


Text: Birgit Bauer


Bild von Minke Wink auf Pixabay

Bild von ronaldosantospires auf Pixabay

Bild von Pexels auf Pixabay

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen