Mittwoch, 24. Juni 2020

Über das Blind Date mit mir ...



"Wer zu sich selber finden will, darf andere nicht nach dem Weg fragen." 

Ein weises Zitat, von dem österreichischen Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick (1921 - 2007).

Ein Satz, der ziemlich das widerspiegelt, was ich am Anfang, so nach der Diagnose erlebt habe.
Ich war ehrlich gesagt nach der Diagnose nicht fähig, mir zu überlegen, was ich tun soll, also fragte ich andere Menschen nach Wegweisern oder Wegen.
Mein Ziel war, meinen Weg zu mir zurück zu finden. Was aber nicht geht, wenn man sich auf den Hinweis von anderen verlässt. Weil die gehen ihren Weg und den kann man nicht mitgehen, weil es eben ein anderer ist.


Es ist doch so, erhält man eine Diagnose wie MS, steht man erst einmal vor einem Scherbenhaufen, weil sich alles ändert. Von jetzt auf gleich ist man "Patient" und in einem Wirbel von Dingen, die man nicht zuordnen kann. Klar verliert man die Orientierung. Ist ratlos. Rennt manchmal im Kreis. So ging es mir und so geht es vielen anderen von euch auch, gerade, wenn man so aus der Diagnose schlittert und alles irgendwie sehr chaotisch ist. Als ich mich gefühlt das 1000. Mal vor ein und derselben Stelle wiederfand, war ich genervt. Und es war auch klar, dass ich in eine Spirale von negativen Gedanken und Gefühlen landen würde, wenn ich nicht aufpasste. Also auch keine Lösung.

Mir wurde klar, dass ich meinen eigenen Weg finden musste. Nicht den der anderen. Dem war ich lange gefolgt und immer wieder grandios und nicht selten schmerzhaft gescheitert. Dem Weg anderer zu folgen kann auch bedeuten, dass man sich in eine Schablone pressen lässt, in die man eigentlich nicht passt. Am Ende macht man Dinge, die weder zu einem passen, noch zum eigenen, neuen Leben mit MS noch zu den eigenen Vorstellungen und Ideen, die man ja immer noch hat.

Den eigenen Weg zu finden bedeutet, sich mit Menschen auseinander zu setzen, nicht selten heißt es auch, sich mit anderen anzulegen. So ging es mir, als ich anfing aus den Schablonen zu steigen und meine eigenen Grundsätze und Vorstellungen zu leben. Das passte vielen nicht. Ich wurde unbequem für den einen oder anderen in meiner Umgebung. Was klar ist, wenn man auf einmal die eigenen Rahmenbedingungen absteckt und formuliert, was einem selbst wichtig ist. Das war ab und an nicht einfach, ich verlor Menschen, gewann aber solche hinzu, die mich unterstützten und die zu Freunden wurden und denen die MS völlig egal war und ist.

Zu sich zu selbst zu finden ist wie das Blind Date mit sich selbst. Weil man sich völlig neu kennenlernt. Es hat sich im eigenen Leben etwas geändert. Die Diagnose überschattet zunächst alles. Verändert jedes noch so kleine Ding und das muss man sehen wollen.

Was bei mir passierte? Ich traf auf eine engagierte Frau, die sich traute, sie selbst zu sein. Ich konnte gar nicht glauben, dass das möglich war. Vorher war ich, sagen wir, sehr angepasst an diverse Schablonen , von denen man mir erzählt hatte, dass sie gut für mich wären. Ich hatte das eine Weile stillschweigend akzeptiert aber die Frau die ich traf, brachte es auf den Punkt: "So ein Schmarrn", sagte sie, "Wenn du weiter gut leben, zufrieden sein und dich wohlfühlen möchtest, musst du deinen Weg gehen und wenn du unbequem für andere wirst, ist das so, aber es geht um dich. Nicht um das Leben der anderen."

In dem Moment wurde mir klar, dass ich eigentlich Recht habe, also mein gesunder Menschenverstand und meine Intuition. Ich akzeptierte die Herausforderung und machte mich auf den Weg.
Mit im Gepäck war auch Watzlawicks "Anleitung zum Unglücklichsein".
Zum einen war ich amüsiert und zum anderen hielt mir dieses Buch einen Spiegel vor.  Das war nicht immer nett, aber hilfreich.

Ich lernte über Pflichten, die ich gerne tun sollte aber in Wirklichkeit nicht leiden konnte, ich meine, wer geht schon gerne zum Zahnarzt oder putzt oder derlei. Man macht es, weil es sein muss, aber gerne? Na ja. Zu sagen, ich mache das eine oder andere gerne, nur damit andere zufrieden sind, ist ein fauler Kompromiss. Sicherlich kann man diese nicht immer vollständig umgehen, aber als ich wieder klar denken konnte, war auch klar, dass ich dennoch meinen Weg gehen kann. Man muss es nicht immer allen recht machen.

Aus dem Blinde Date wurde eine sehr liebevolle Beziehung, ich fand mich auf dem Weg und das ist gut so. Bis heute bin ich für viele Menschen am Rande meines Lebens schrecklich unbequem, sie können nicht verstehen, dass der eigene Weg der bessere ist und dass man den nur findet, wenn man ihn selbst sucht und eben nicht andere danach fragt. Aber das ist eben so und es gibt auch Dinge, die sich nicht ändern lassen. So schade das im einen oder anderen Fall auch sein mag.

Ich mag meinen Weg und ich kann es nur empfehlen, sich mit sich zum Blind Date zu treffen und sich kennen zu lernen. Weil es einen zufrieden macht, man lernt, zu sich zu stehen und sich im eigenen Leben wohl zu fühlen.

Und das ist es doch. Oder? Daher, macht euch auf den Weg zu euch. Es lohnt sich und macht das Leben authentischer und ich glaube am Ende auch zufrieden. Im Leben mit MS. Weil ihr dann nämlich die Hauptrolle spielt und nicht die Trullas dieser Welt.

Ach ja, falls ihr euch denkt, dass es allein nicht geht, holt euch Unterstützung. Bei Psychologen oder auch bei Menschen mit MS, die etwas mehr Erfahrung haben. Weil niemand ganz alleine los muss.

Herzliche Grüße

Birgit


Bilder: Pixabay.com
Text: Birgit Bauer

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