Freitag, 16. Oktober 2020

Sieh es doch mal positiv!

Der Satz alleine wird bei manchen von euch wohl ein bisschen Würgreiz auslösen. 

Wie kann man in diesen Zeiten, in der Pandemie, die uns seit dem Frühjahr machtig stresst davon sprechen, etwas positiv zu betrachten? 

Wie kann jemand einem anraten jetzt positiv zu sein? 

Oder überhaupt, wie kann jemand einem das hinschmieren, wenn er gerade einen Schicksalsschlag erlebt und die Positivität irgendwo auf dem Weg verloren ging? 

Ganz ehrlich, ich mag ihn jetzt auch nicht unbedingt. Aber dennoch ... er ist da und er holt mich immer wieder ein ... 

Daher ist es Zeit, mal darüber nachzudenken. 

Als ich mit "Sieh es doch mal positiv" oder auch "Du musst jetzt positiv denken, andere tun dies und das trotz blablabla..." das erste Mal so richtig in Berührung kam, hätte ich kotzen können. Ich brach damals in Tränen aus. Fing an verbal um mich zu schlagen und ging. 

Das war 2005. Nach meiner Diagnose. Wie um Himmels Willen konnte man mir so dermaßen unsensibel kommen? A --- Löcher . Allesamt. Ich war fertig mit diesen Menschen, mit einigen, die damals beleidigt abzogen, weil ich ihren wohlmeinenden Ratschlag so abgetan habe, ihnen krumm nahm. 

Weil es eben ein Schlag war. Mehr als ein Rat und wohlmeinend empfand ich die ganze Sache auch nicht.

Ich sah mich als Opfer dieser irren Erkrankung und meine Umgebung trug jetzt nicht immer dazu bei, mir diese Opferrolle auszureden oder sie zu mildern. Ganz im Gegenteil, da gab es Kandidaten, die hadern bis heute mit meiner MS. Gut müssen sie selbst wissen, weil das Fräulein Trulla gehört mir ganz allein. Es sind Menschen in meiner Umgebung, die mir die Luft zum Atmen nahmen. Weil sie das Drama sahen und zuließen. 

Etwas, das mich erst einmal beschäftigte und für einen Moment zur Dramaqueen werden ließ. Was auch nicht hilfreich war. Und diese Krone, das kann ich aus heutiger Perspektive sagen, steht mir im ernsthaft betrachteten Kontext nicht. Die Dramaqueen geben kann ich aber trotzdem. Mal kurz. Wenn es das braucht. ;-) 

Gerade nach einer Diagnose wie MS kann es bei manchen Menschen schon ein bisschen dauern, bis sich wieder ein einigermaßen normales Lebensgefühl einstellt. Ganz verständlich, MS verändert das ganze Leben, setzt neue Maßstäbe und verschiebt die Prioritäten und Perspektiven. Da ist dieser Moment völlig legitim und notwendig. Aufstehen geht nicht so einfach. Vor allem nicht ohne eigene Kraft.  Man muss an sich selbst arbeiten und das ist ab und an verdammt anstrengend. Aber: Es lohnt sich. 

Um der Positivität Einzug zu gewähren, muss man Türen öffnen. In sich selbst und im eigenen Leben und das Freunde, ist ein verdammt harter Job. Einer, der unangenehm ist, der Schmerzen verursacht aber auch ein Angebot macht. Nämlich das Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten. 

Über die Jahre habe ich gelernt, immer dann, wenn es schwierig wird, einen Schritt zur Seite zu machen. Ich gebe der Negativität einen Schubs, zumindest versuche ich es und suche mir einen ruhigen Fleck zum Verweilen, zum Nachdenken und um meine Gedanken zu klären. Zu sehen, wo ich mich gerade befinde.

Oft schaue ich einen Moment zurück, betrachte das, was ich schon geschafft habe und versuche, mich an dem Erfolg zu erfreuen, was oft nicht so einfach ist, weil ich bin ungeduldig und habe oft das Gefühl, zuwenig geschafft zu haben. Was aber nicht stimmt. Oft ist da eine ganze Menge. 

Diese andere Perspektive verschafft mir eine Art neutrale Einstellung, die mir ermöglicht, Sachen differenziert zu betrachten, etwas anzunehmen wie es eben gerade ist oder mir zu überlegen, was der nächste, bessere Schritt sein könnte. Manchmal denke ich auch über die komplette Änderung der Richtung nach und einen Neustart, was riskant und nervig ist, mehr Aufwand braucht aber ab und an auch lohnenswert ist. 

Diese Haltung muss man üben. Ich hatte damals meine großartige Psychologin im Boot, die mir genau das vermittelte. Es geht nicht immer darum, das Lange vor einem zu sehen, sondern den Status zu betrachten und zu verweilen. Nichts muss in kürzester Zeit passieren, sondern gut Ding darf auch mal Weile haben. 

Mit der Zeit begann ich mich zu drehen. Vom ewigen Hadern mit meinem Schicksal in eine positive Haltung. Eine die Vorwärts strebt, aber Stillstand zulassen kann und die nicht hadert, wenn es mal wieder länger dauert. Eine Haltung, die einen Misserfolg zulässt, aber auch die Zuversicht vermittelt, dass man da wieder rauskommt. Aus dem Dreckhaufen. Und dass man weitergehen kann. Das brauchte Zeit, aber ich habe mir das Hadern fast abgewöhnt. Fast, weil dunkle Stunden habe auch ich. Ich finde, dass ich das auch darf, mal granteln, hadern und ein bisschen rumgammeln. Das gehört dazu. Allerdings ist es nach diesem Moment Zeit, aufzustehen und weiter zu gehen. Mit einer positiven Grundhaltung. Weil mir der das Leben oft einfacher geht. 

Natürlich ist es ein Prozess, der nicht zu jedem passt. Notorische Pessimisten kann man damit nicht überzeugen, auch die nicht, die diese Negativität als nettes Kuschelkissen betrachten, was an sich ja einfacher ist. Ein bisschen beklagen ist immer besser, bequemer, als etwas zu verändern. Das erfordert Mühe. Positivität ist sicherlich auch kein Allheilmittel oder Garant für bessere Lebensqualität, aber etwas, das einem ermöglicht, den Kopf über Wasser zu halten, wenn der Pegel steigt. Etwas, das hilft, etwas zu verändern, um etwas zu verbessern. 

Diese Haltung, man könnte wohl auch Resilienz dazu sagen,  hat mir in den letzten Monaten sehr geholfen. Das, was ich mir vor 15 Jahren nach der Diagnose MS erarbeitet und erobert habe, hilft mir heute diese Pandemie zu überstehen, dennoch gute Dinge zu erleben, mit dem zufrieden zu sein, was gerade da ist und das Beste aus dem zu machen, was sich eben anbietet. Das klappt mal mehr, mal weniger. Dennoch bin ich zufrieden. Weil ich (klopfe auf Holz), dem Virus bisher nicht in die Arme gelaufen bin, mein Home Office zu einer europaweiten Zentrale für Ideen, Strategien und neue Eindrücke wurde. 

Und last, but not least, weil ich seit einigen Tagen eine Lösung dafür habe, wie ich der Zoomfatigue und meinem leicht schlampig gewordenen Lebensstil eine andere Richtung geben konnte. Aber davon das nächste Mal hier. Im Blog. 

Wie positiv seid Ihr gerade drauf? Ach ja, der Satz "Sieh es doch mal positiv", bringt mich bis heute auf die Palme. Weil selbst ich nicht immer nur positiv eingestellt bin. Das geht gar nicht, das wäre übertrieben und eine Balance braucht es eben schon auch. Allerdings werfe ich dann nicht mit Kokosnüssen, sondern grinse über mich selbst und sage zu den anderen: "Dann erklärt mal ganz genau wie du das machst!" Was meist zu einem schnellen und friedlichen Ende der Diskussion führt. 

In diesem Sinne, heute positive Grüße!

Birgit 


Bilder: Pixabay.com, Bild Türe Birgit Bauer 

Text: Birgit Bauer, Manufaktur für Antworten UG 

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