Donnerstag, 27. Januar 2022

17 Jahre und nicht klein gekriegt

Vor einigen Tagen jährte sich das Ereignis der Diagnose zum 17. Mal. Zuerst hab ich es vergessen, aber als ich die Tage das Datum brauchte, fiel es mir auf. Daher habe ich überlegt, was ich dazu sagen könnte, weil eigentlich ist alles gesagt. 

Happy birthday Fräulein Trulla du oller Feger? 

Oder: Herzliche Glückwünsche olle Schrapnelle? 

Oder: Allertrullerische Geburtstagswünsche dummes Ding? 

Sagen wir es so, es gibt wenig Schimpfwörter, die das werte Fräulein nicht kennt von mir, daher sage ich es ganz anders: 

17 Jahre mit dem Fräulein Trulla, das eigentlich MS heißt, und kein bisschen klein gekriegt. 

Im Gegenteil, ich bin an ihr gewachsen, wenngleich wir uns oft gemessen und uns die Nasen blutig gehauen haben. Symbolisch gesprochen, versteht sich.

Ich habe erlebt, wie so manche Menschen das Fräulein Trulla kopieren wollten, war aber nicht möglich, sie ist nämlich einzigartig. Sie ist mein Fräulein Trulla und nur den Namen übernehmen nutzt nix. Sie existiert nur in meiner Welt und doch ist sie da. 

Mit entrüstet zitterndem Spitzenkrägelchen an der hochgeschlossenen Bluse, mit ihren Freunden angefangen bei Herrn Uhthoff, Fräulein Fatigue und die Gefährtin De-Pression. 

Das gute Fräulein sieht man auf den ersten Blick nicht. Sie ist meist unsichtbar für andere, nur ich weiß,
wann sie ihr Unwesen treibt. Man nennt das auch unsichtbare Symptome und deshalb funktioniert auch der #butyoudontlooksick so gut bei mir. Ich sehe zu gut aus für diese Welt. ;-) 

Das hat so seine Nachteile, man glaubt mir MS oft nicht. Oft denken dann viele, dass ich quasi unkaputtbar bin, belastbar bis zum Anschlag, was aber nicht der Fall ist. Hinter der Fassade befindet sich ab und an ein sehr fragiles Gerüst. 

Da heißt es dann oft "Ach, ich bin auch manchmal erschöpft" und ich denk mir: "Du warst noch nie so erschöpft, dass du überlegst, wie du an Wasser kommst weil du Durst hast und wie du dann die 5 m aufs Klo kommst oder ob du in die Hose machst!" Oft sag ich das dann auch und ernte erstaunte bis angeekelte Gesichtsentgleisungen. Weil ich eben nicht aussehe, als hätte ich mit sowas zu tun. Hab ich aber. Das ist sogar schriftlich dokumentiert. Und nur weil einer gut aussieht heißt das nicht, dass es der Person auch gut geht. Man sollte sich nicht täuschen lassen. 

Nichtsdestotrotz habe ich mich mit der MS ausführlich auseinander gesetzt. Schon von Berufs wegen mache ich das und manchmal habe ich Dinge gehört, aus der Forschung, die ich lieber nicht hören wollte, weil sie unangenehm sind. Sie zeigen die Fratze, die hinter dem blumigen Fräulein Trulla steht. Aber auch daran habe ich mich gewöhnt. Es ist doch so, alles kann, nichts muss und man muss realistisch bleiben. Bodenständig. Und nur weil ein Forscher etwas herausfindet, muss ich davon nicht betroffen sein. 

Über die Jahre habe ich mir einen recht eigenen und bodenständigen Pragmatismus zugelegt, der mir auch die Resilienz einbrachte, die notwendig ist. Wenn andere ich Panik verfallen, neige ich eher, mir die Sache von außen anzusehen und zu versuchen Lösungen zu finden. Ich habs schon oft gesagt, ich denke nicht in Problemen oder in der Vergangenheit. Ich denke meistens in Lösungen und spucke über den Tellerrand und bleibe dabei realistisch. Fakten sind mir lieber als Hörensagen oder Gerüchte und quellenlose Behauptungen. 

Was mich auch einholte ist Klarheit, wenn es drum geht etwas zu sagen. Schwurbeln oder noch einige Rüschen an ein Thema basteln, damit es plüschig wird, ist nicht meins. Das bringt mich ab und an in die Bredouille, weil nicht jeder mit der Klarheit umgehen kann und auch nicht mit meinem Pragmatismus, aber ich kriege es gewuppt. Und muss dann oft über mich selbst lachen. Aber hey, was soll ich machen, harte Fakten sind nicht immer nett zu einem und da hilft ein Rüschen auch nicht weiter. Und ich sags immer mit einem Lächeln und einer Lösungsidee. Das hilft auch. 

Von Fräulein Trulla habe ich auch gelernt, Prioritäten zu setzen. Es gibt diese Tage, an denen geht nicht alles. Wir sind alle keine eierlegende Wollmilchsau und mit MS reduziert sich diese Fähigkeit ab und an durchaus. Dann muss man anfangen zu entscheiden, was einem wichtig ist. Zu sehen, was man verschieben kann und dann gehts erst weiter. Ich plane und bin organisiert.

Durchhalten habe ich auch gelernt, Aussitzen kann ich auch ziemlich gut und Abwarten. Beobachten kann  hilft Rückschlüsse zu ziehen und dort weiterzumachen, wo es sich lohnt. 

Was mir noch passiert ist? Nach 17 Jahren Fräulein Trulla weiß ich, was ich kann und dass ich mir und meinen Fähigkeiten vertrauen kann. Ich bin leistungsfähig, schaffe heute oft mehr als früher, bin nicht mehr angepasst und entspreche nur selten den Erwartungen oder Konventionen. Das Herzblatt sagt immer, ich kann Schweinsbraten mit Knödel und digitale Innovation gleichermaßen. Damit bringt er mich immer zum grinsen. Recht hat er schon irgendwie. Ich bin ein bunter Vogel, kreativ und chaotisch, frech und auch sensibel wie innovativ. Letzteres kann Menschen durchaus ins Straucheln bringen wie ich manchmal feststelle. Wo wir wieder bei Konventionen sind, denen ich nicht immer folge. 

Ich kann mich über mich selbst amüsieren, gut mit mir alleine sein ohne mich einsam zu fühlen. Es ist vielleicht ein Klischeesatz aber ich glaube, ich bin angekommen. Dort wo ich bin fühle ich mich Zuhause. Mit Fräulein Trulla im Rücken. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich seit einiger Zeit in der Gruppe von Menschen mit MS bin, die eigentlich niemanden mehr zu interessieren scheinen, Frauen, die auf die Menopause zugehen. 

Eins kann ich sagen, wir sind da. Ich bin da. Mit Fräulein Trulla, die seit 17 Jahren da ist, in meinem Leben, in unserem Leben und die wir mitnehmen. Das Herzblatt und ich. Mit der wir uns irgendwie arrangiert haben, die uns nicht zu Kriegern oder Kämpfern macht, sondern die uns einige Lektionen serviert hat, auf die wir gerne verzichtet hätten, die wir aber gelöst haben. Am Ende hat sie uns aber auch gezeigt, wie stark wir sind. Sie hat unser "Gemeinsam" nicht unterbrochen, eher gestärkt. 

So fies alles am Anfang war, heute kann ich sagen, ich bin zufrieden, fühle mich geliebt und bin mit Menschen unterwegs, die ich wirklich gerne um mich habe und die mich gerne um sich haben. 

Und viel mehr braucht es nicht. Oder? 

Birgit 


Text: Birgit Bauer / Manufaktur für Antworten UG 

Bilder: Frl. Trulla - Marion Stein 

Bild Birgit, Foto Birgit: Fotostudio Traumaugenblicke Abensberg, Grafik Birgit Bauer 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen