Montag, 23. Januar 2023

Du musst draußen bleiben - Über den Angehörigenstatus im Krankenhaus, Kommunikation und derlei


Vor zwei Wochen war das Wochenende eines, das mit Schrecken begann und zwar am Freitag. Herzblatt klagte beim Frühstück über einen fiesen Rückenschmerz, der sich schnell als Nierenstein entpuppte der mehr als schmerzhaft war und wohl nach dem Ausgang suchte. 

Es war schnell klar, dass es mit ein "bisschen" Schmerzmittel nicht gehen würde und wir starteten eine Odyssee durch das Gesundheitssystem. 

Ich habe viel beobachtet, gelernt und mitgenommen und möchte hier als ersten, wichtigen Punkt einen aufgreifen, der so wichtig ist: Die Perspektive der Angehörigen. 

Früher, also vor Corona, begleitete man die Angehörigen in die Notaufnahme. Einerseits, weil man sich sorgt, zum anderen, weil man auch als Begleitung und Angehöriger doch etwas über die Person, die ärztliche Hilfe braucht, weiß. Gesundheitsdaten über Allergien, Vorerkrankungen oder auch Medikamente, die die Patienten einnehmen. Zudem erhofft man sich Informationen. Über nächste Schritte, Untersuchungen und natürlich möchte man sich mit den Ärzten austauschen. 

Jetzt ist alles anders. Die immer noch gültigen Regeln der Pandemie sagen klar: Angehörige müssen draußen bleiben. Du kannst nicht fragen, nicht helfen oder Informationen teilen. Und da wir keine funktionierende ePA haben, und selbst wenn, wäre diese extrem löchrig, müssen wir alles mündlich mitteilen und Ärzte müssen es notieren. Ein unheimlicher Zeitaufwand und eine Prozedur die nervt. Abgesehen davon, dass auch Informationen verloren gehen, denn wenn man sich in einem schmerzhaften wie emotionalen Ausnahmezustand befindet, ist nicht sichergestellt, dass alle relevanten Infos wirklich erwähnt werden. 

Angehörige könnten helfen. Hätten sie den Zutritt. Oder aber eine ePA könnte helfen, gäbe es denn eine. Gesundheitsdaten zu teilen ist ein mühsames Geschäft. Das kann ich von hier aus schon sagen. Als Angehörige wird es aber noch schwieriger. 

Denn, die Zeit ist knapp. Während der Arzt Daten von einem Bildschirm auf den nächsten überträgt, sprich abtippt, weil das Krankenhausinformationssystem eine Datenübertragung von einem Systembereich in den nächsten nicht zulässt, bleibt der Patient hinten dran. Angehörige auch. Man erhält eine Telefonnummer und kann versuchen, etwas über die Person in der Notaufnahme zu erfahren, ist aber viel los, ist das auch nicht wirklich drin. Verständlich, aber in dem Moment nicht wirklich erträglich wenn man sich sorgt und nichts weiß. 

Ich will betonen, in dem Krankenhaus, in dem Herzblatt mit seinen Schmerzen strandete, waren sie wirklich bemüht und nett. Aber der Notstand in der Pflege und bei Ärzten war nicht zu übersehen. 

Man schickte mich weg. Die Alternative war, draußen in der Kälte zu warten. Hätte ich das getan, wäre ich 4 Stunden da gestanden und hätte ohnehin nicht weiter gedurft als in die Wartezone, wo ab und an jemand vorbeikam, wenn Zeit war, um jemandem Bescheid zu sagen.  Ich bin also wieder nach Hause gefahren und erfuhr am Abend noch, dass das Herzblatt aufgenommen wurde, er hatte sein Smartphone mit und schickte immer wieder rudimentäre Informationen. Was aber genau der Plan war, blieb unbekannt. 

Angehörige brauchen Informationen, sie müssen verstehen können, was passiert und warum

Neben der Sorge, die einen plagt, ist klar: es geht um Entscheidungen und die betreffen natürlich die erkrankte Person zuerst, aber am Ende eben auch eine Familie, die Angehörigen. Ich wollte wissen, was los ist und was nächste Schritte sind. Ich war auch in einer emotionalen Ausnahmesituation und daher wären Informationen hilfreich gewesen. Zu wissen was ist beruhigt. 

Nichts wissen = Googlen 

Hat man aber keine Chance auf Wissen, passiert das: Man fängt an zu surfen. Erste Ansprechstelle: Dr. Google. Der wohl umstrittenste "Arzt" den es gibt oder? Gut, ich nutze weniger Google als vertrauenswürdige Quellen, ich bin die Art Angehörige, die vielleicht an der einen oder anderen Stelle etwas besser informiert ist. Was machen aber die, die dieses Wissen nicht haben? Dann wird aus Kopfschmerzen ein Gehirntumor oder noch etwas ganz anderes obwohl es eigentlich gut behandelbar und eben kein Gehirntumor ist. 

Ratloser Ausnahmezustand 

Ich stand an diesem regnerischen und eiskalten Freitagabend mit anderen ratlosen Angehörigen vor der Notaufnahme und wir fragten uns alle, was zu tun wäre. Wir alle waren höchst besorgt. Am Ende standen wir alle vor derselben Lösung: Geh nach Hause, ruf später nochmal an und versuch was rauszufinden. Und hoffe, dass dein Familienmitglied da drin das smartphone nutzen kann. Damit du nicht verzweifelt die Nacht durchmachst. 

Bei uns war das möglich, Herzblatt hatte die Möglichkeit zu kommunizieren, aber was ist mit einer Person, die sich nicht äußern kann? Die eben aufgrund der Regeln keine Begleitperson mitnehmen kann und auch keine ePA oder andere Dokumente mit sich führt, die Aufschluss darüber geben können, welche medizinische Belange beachtet werden sollten?  Wie soll jemand etwas entscheiden, wenn er es nicht versteht und keiner da ist, der quasi übersetzt? Wie kann man jemandem helfen, über den man nichts weiß oder in Erfahrung bringen kann?

Informationen sind ein Schlüsselelement

Egal ob es um die Person geht, die als Patient in der Notaufnahme liegt oder die Angehörigen. Informationen sind wichtig. Für alle und für gute Entscheidungen. Eigentlich, wäre da nicht der papierene Wust, den Ärzte von A nach B bewegen weil  Datenübertragung nur funktioniert in dem die Ärzte die Daten von einem Bildschirm in den nächsten Rechner abtippen, was ein Zeitfresser schlechthin ist und damit auch weniger Zeit für den Patienten lässt.

Dieses Gesundheitssystem pflegt nicht. Es verwaltet. Und das ist schlimm, weil der Mensch nicht mehr dort ist, wo er sein müsste. Im Mittelpunkt. Gesund werden mit Papier funktioniert aber nicht und auch nicht ohne Informationen oder noch besser Informationsaustausch, der Angehörige, Patienten und Ärzte verbindet. Nebenbei, auch panische Ausbrüche, Zweifel oder sinnloses Googeln könnte man damit eingrenzen. 

Wir müssen dafür sorgen, dass Zeit für Angehörige bleibt

Angehörige sind meistens der Ankerpunkt für viele Belange und für die Patienten ohnehin. Sie brauchen Informationen und dürfen nicht draußen vor der Türe abgefertigt werden. Nicht in der akuten Situation, aber danach. Ein Telefonat oder ein Gespräch nach ersten erfolgten Schritten hilft, um sich zu beruhigen und in der Lage zu sein, weitere Gesundheitsdaten zu liefern. Es wird nicht nur eine Person behandelt, sondern in vielen Fällen im Prinzip eine Familie. Das trägt zu einem besseren Verständnis bei und schafft Vertrauen. 

Dass Angehörige oft außen vor gelassen werden und vor verschlossenen Türen stehen, ist ein Problem, das wir lange kennen. Ich habe bei Kongressen oft davon gehört und es diskutiert. Die Meinung war immer einhellig, Angehörige müssen informiert sein. Wie sollen wir Pflege übernehmen, wenn wir die Zusammenhänge nicht kennen? 

Abgesehen davon hat unsere Erfahrung deutlich gezeigt, wie wenig digital unser System ist. Es ist ein kompliziertes Konstrukt, das mehr Zeit für Verwaltung in Anspruch nimmt, als die Patienten bekommen. Ärzte als Papierverwalter, ist nicht deren Aufgabe oder? 

Hätten wir digitale Lösungen etabliert, was lange der Fall sein könnte, dann müssten wir nicht Anamnesedaten mehr als zweimal wiederholen und sie müssten auch nicht von einem Bildschirm in den nächsten Rechner getippt werden, weil es keine Datenübertragung gibt. 

Es bliebe Zeit für die Patienten und deren Familien. Zeit für Dialoge und Austausch, der nötig und wichtig wäre. Zeit, in der auch Daten und Informationen fließen könnten, die vielleicht auch dazu beitragen, Pflege zu verbessern. 

Pflege oder Behandlung ist kein Papierkrieg. Es ist ein Dialog zwischen Menschen. Denen, die krank sind und denen, die ihnen helfen und den Angehörigen, die den Pflegejob in vielen Fällen dann übernehmen, wenn ein Patient das Krankenhaus verlässt mit dem Ziel, schnell wieder gesund zu werden oder zumindest auf die Beine zu kommen. 

Angehörige sind eine Ressource die bis heute in vielen Fällen empfindlich unterschätzt wird, wir haben den Kontakt nach außen und kennen Patienten sehr gut. Auch deren Denke, Einstellung oder Gewohnheiten. Außerdem: ist man als Angehöriger involviert, liefert man auch. Man tut alles, was nötig ist, um das erkrankte Familienmitglied zu unterstützen und das kann dem Heilungsprozess nur positiv entgegen wirken. Wenn man Angehörige lässt. 

Birgit 


Bild: pixabay.com 

Text: Birgit Bauer 

2 Kommentare:

  1. Liebe Birgit,

    der Traum der Digitalisierung in Deutschland wird in so vielen Bereichen geträumt. Behörden, Bildungswesen, Gesundheitswesen. Ich befinde mich selbst in dieser Tretmühle. Als Angehörige, die versucht, den kranken Partner zu unterstützen. Gestolpert bin ich über dein spannendes Fazit. "Hätten wir digitale Lösungen etabliert, bliebe mehr Zeit für Patienten und deren Familien." Hm, ja, eigentlich schon. Klingt gut. Theoretisch. Oder? Denn es böten sich alternativ dadurch auch hervorragende Möglichkeiten, das Gesundheitswesen weiter zu rationalisieren. Economisieren. Die gewonnenen Ressourcen nicht für Patienten und deren Angehörige zu nutzen, sondern für weitere Einsparungen im Gesundheitswesen. Die Gewinnmaximierung auch auf dem Gesundheitssektor auf ein neues Level zu hieven. Horrorszenario oder realistisch? Ich hoffe, du hast recht und ich irre mich.

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    1. Liebe/r Anonym, ich glaube sehr wohl, und das sage ich als Digital Health Expertin, die sich seit Jahren mit dem Thema auseinander setzt, dass digitale Lösungen uns viele Dinge einfacher machen werden. Sie tun es jetzt schon, blickt man auf Sensoren, Wearables (Uhren, die unsere Werte messen und bei Bedarf ärztliche Hilfe anfordern können) und auch künstliche Intelligenz, die bereits in der Onkologie und der Neurologie bei der Ermittlung von Erkrankungsprogression oder auch bei der Identifikation von Symptomen oder Anzeichen genutzt werden, bei denen das menschliche Auge eher im Nachteil ist. Ebenso hilft es besser vorzusorgen, Stichwort Prävention, auch damit kann man effektiver in Sachen Gesundheitssystem werden und auch effizienter, weil Früherkennung in vielerlei Hinsicht hilft. Blickt man nach Estland oder Dänemark, die als digitale Vorreiter gelten, sieht man klar, dass es geht. Auch im Hinblick auf pflegende Angehörige. Effiziente Krankenhausstrukturen, kurze Verweildauer wenn möglich und Heimpflege mit entsprechenden Möglichkeiten und Assistenzen sind dort schon sehr normal. Und natürlich müssen wir das Gesundheitswesen neu aufstellen und effizienter wie effektiver werden. Wie will man sonst der demographischen Entwicklung die Rücksicht geben, die notwendig ist und in einem System, das derzeit nur behandelt, aber nicht vorsorgt? Es geht doch auch darum digitale Werkzeuge und Methoden einzusetzen, um Prävention und öffentliche Gesundheit zu fördern. Sonst werden wir als solidarisches System das nicht mehr bezahlen können. Ich verstehe die Befürchtung, aber ich habe andere und die haben mit vielen kranken Menschen zu tun, die nicht gut versorgt werden. Andererseits, ich schrieb hier über einen Fall, den ich als pflegende Angehörige erlebt habe und bei dem jetzt schon digitale Möglichkeiten wesentlich schneller und effektiver geholfen hätten, also auch wirtschaftlich besser für das System, als das ewige Übertragen von Daten von einem Bildschirm auf den anderen. Dinge, die jetzt schon Standard sein könnten, Grundlagen so gesehen. Weil ein Krankenhausinformationssystem kein Hexenwerk ist, aber Zeit spart und so frei macht für ordentliche Arzt - Patientengespräche, vernünftige Pflege und kein Verwalten. Bevor wir also über Gewinnmaximierung reden und unterstellen, dass es nur für andere, aber nicht für Patienten ist oder deren Angehörige, müssen wir das betrachten, was jetzt nötig ist, Grundlagen schaffen und dafür sorgen, dass Versorgung wieder Versorgung ist und nicht ein wenig hilfreiches und verwaltendes Gebilde, das nur viel Geld kostet, aber wenig Nutzen für die bezahlenden Menschen bietet.

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