Es war ein bisschen #neuland und ein bisschen hey was ein geiler Trip. Aber auch ein anstrengender.
Ich musste in den letzten 8 Wochen komplett umplanen. Es gab viele Kongresse und es schien, als würde jeder noch schnell alles in den Juni stopfen wollen, um noch vor dem Sommer etwas abschließen zu können.
Und so ergab es sich, dass ich nur wenig wirklich Zuhause war und damit auch Zeit für mich hatte. Zeit, die umso kostbarer war und in der ich strikt Prioritäten setzen musste.
Für einige Momente tauchte ich dann ab. Schweißte den Deckel von innen zu und blieb für mich. Weil ich es brauchte. Die stillen Momente, so heißt es, sind die kostbarsten. Weil man wieder sich selbst hören kann und das ist wichtig.
In den letzten Wochen habe ich viel gelernt. Über Menschen, das Leben, über die Opferrolle, in die sich manche sehr schnell sehr leicht hinein begeben und darüber, wie ich mich am besten organisiere, wenn ich mit meinem mobilen Büro unterwegs bin.
Leben mit MS erfordert eigentlich genügend Pausen. Es braucht diese Zeit um zu regenerieren und diverse Symptome nicht ausufern zu lassen. Nicht so einfach wenn man zwischen Hotelbetten hin- und her zieht, Koffer in Züge wuchtet, auf dem Boden eines Flughafens sitzt weil es da eine Steckdose gibt, die frei ist und man dort das Notebook oder die Powerbank aufladen kann und denkt, wenigstens einer von uns, der aufgeladen wird, wenn ich es schon nicht bin.
Wenn du am Morgen aufwachst und überlegst, wo du gerade bist und dir dein Kalender verrät, was Sache ist und du dich fragst, was wohl ohne wäre. Und wenn du dann informiert bist und du dich freust weil du genau weißt, was vor dir liegt: Spannende Diskussionen, Input und Wissen, dass du sammeln kannst.
Und um es so zu sagen: Ich habe so unbeschreiblich tolle Menschen getroffen, kluge Menschen mit denen ich Gespräche führte, diskutierte und Lösungen fand. Menschen mit und von denen ich lerne und die mich begeistern, weil sie größer denken, die vor Innovationen nicht zurück schrecken und solche, die etwas wagen und gleichzeitig zulassen können, dass Fehler passieren. Die man korrigieren kann.
Dafür bin ich sehr dankbar.
Wenn du Essen und Trinken siehst, es verfolgst und zuschlägst, weil du Hunger hast und nicht weißt, wann eine nächste Mahlzeit am Horizon auftaucht und dir nur 10 Minuten Essenspause wünscht. Und die dir ab einem bestimmten Punkt einfach nimmst. :-)
Wenn du selbst am Abend, wenn du eigentlich nur noch in den Aufzug stolpern und ins Bett möchtest, noch um was angehauen wirst, weil das jemand wichtiger findet als den Rest der Welt, seine Manieren vergessen hat, dich anhaut und du das dann bitte auch noch kostenfrei tun sollst und das bitte aber SOFORT. Klar, zieh ich auch noch schnell aus dem Bauchladen und berate zwischen 3 Stockwerken und meinem Bett noch schnell zu einem Fachthema. Nicht.
Wenn du damit lernst Menschen zu erklären, dass du auch nicht mehr Zeit hast als die anderen, eben 24 Stunden am Tag und dein "Nein" nicht verhandelbar ist. Weil es dann auch um dich geht, um Selbstfürsorge und den Schutz deiner selbst, den du manchmal durchsetzen musst, weil du weißt, dass du sonst voll abstürzen kannst. Und wenn das dann das Gegenüber nicht kapiert ...
Wenn du bleiben willst und trotzdem weiter musst ...
Und wenn andere meinen, dass du ein kostenloser Service bist, der zaubert, Wunder schafft und nebenbei noch selbstverständlich schnell ne Gratis Keynote aus dem Ärmel schüttelst und natürlich auf Honorar verzichtest und du die Geschichte vom Schnitzel und deinem Metzger erzählst, der erstaunlicherweise Geld für sein Schnitzel verlangt und es mir nicht schenkt, nur weil ich mich engagiere, auch mal ehrenamtlich übrigens. Der Gesichtsausdruck meines Gegenübers war und ist unbezahlbar.
Und an dieser Stelle muss das mal gesagt werden:
Nur weil sich jemand aktiv als Patientenvertreter:in engagiert, heißt das nicht, dass dieser Service grundsätzlich kostenfrei ist.Zum einen, weil wir hier einen echt professionellen Job machen in dem viel Lernen und Fortbildung, sowie Erfahrung stecken, die ein Investment darstellen und der damit eine vernünftige Kompensation mehr als rechtfertigt und weil wir nicht von Luft und Liebe leben, sondern tatsächlich Rechnungen zu bezahlen haben.
Wie halt normale Menschen auch. #weißtebescheid
Oder kriegt Ihr alles geschenkt und arbeitet selbstverständlich umsonst? Nur weil eine Person mit einer Erkrankung lebt und man diese Person als Patientin oder Patient bezeichnet, bedeutet dass nicht, dass es sich hier um eine kostenfreie Ressource handelt. Das ist in Sachen Inklusion, Gleichstellung und Diskriminierung schlicht eine Frechheit.
Und dann der große Moment:
Wenn du deinen letzten Flug machst, innerlich abfeierst und merkst: Ich bin durch. Ich bin 5 Wochen gereist, war verspätet, spontan, erschöpft, amüsiert, verärgert und beglückt. Ich habs geschafft. Ich habe die bisher längste, vollste und überhaupt anstrengendste Geschäftsreise echt gut hingekriegt.
Der Trip war, so gesehen, einer von denen, die man als geil bezeichnet, das Gefühl war als wäre ich auf einer Riesentour wo wir abgefeiert und getrauert haben, eine Veranstaltung, die glücklich machte, weil so viele Bühnen - die Rampensau lässt grüßen - eine Zeit in der ich so viel gelernt habe, Fachwissen gebunkert und sagt mir nicht, lernen ist doof oder man kann es nicht, ich musste das auch erst verstehen, aber lernen ist so wichtig. In vielerlei Hinsicht.
Es war aber auch gefährlich, was mir die ganze Zeit bewusst war. Das Fräulein lässt mich nicht allein und ich weiß das. Weil ich eben nur fast normal lebe und an Stellen aufpassen muss, wo andere weiter können. Ich kann es nicht. Ich gehe pünktlich ins Bett, habe Abendrituale um überhaupt einschlafen zu können und brauche mal meine Ruhe. Mein Körper braucht die Auszeiten, damit ich am nächsten Tag fit bin wie meine ausgelatschten Flugsneakers und die Leistung abrufen kann, die nötig ist und Dinge leicht aussehen zu lassen, damit andere mit mir kommen. In meine Welt. Auch wenn es manchmal nicht so einfach ist, wie es wirkt.
Und wenn du dann beglückt in deinem eigenen Bett liegst und dir denkst: Muss mir jetzt auch erst mal einer nachmachen und du gefühlt eine Woche Tiefschlaf brauchst um weiterdenken zu können. Und die nicht kriegst. Versteht sich. Weil das Leben am nächsten Tag weiter rennt und dich mitreißt.
Und wenn du dann einfach mal leise wirst. Still, um zu verdauen, zu reflektieren dann hast du ein Problem. Weil du noch so auf Touren bist, dass runterkommen, die nächste Herausforderung ist. Der stelle ich mich jetzt. Weil zwischen Lissabon, Baveno, Berlin, Zürich, Basel, irgendwo in Deutschland und zwischen anderen Orten etwas zurück blieb: Ich.
Daher gehe ich jetzt mich genießen und mich ein bisschen feiern. Weil - und das ist das größte Learning - auch wenn wir mit MS und auch jeder Erkrankung unterwegs sind, manchmal muss man sich herausfordern damit man checkt, was da noch hinter den Kulissen lauert und was man drauf hat. Und das ist manchmal mehr als man denkt ...
Birgit
Bilder:
DSL Deutschland
Pixabay
Birgit Bauer
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