Dienstag, 30. Mai 2023

Übers Verstehen und Verständnis - oder #geMeinSam - #weltMStag


Heute ist Welt MS Tag. 

Ich habe lange überlegt was ich schreiben könnte oder machen. Einfach weil ich mir manchmal denke, dass alles gesagt ist. 

Wir reden kontinuierlich über die Erkrankung, Therapieoptionen, das Leben damit an sich und über die Symptome. Es geht um Probleme mit den Ärzten, das Erkrankungsmanagement und Schübe und vieles mehr. Eigentlich ist auf den Blogs oder in Social Media jeden Tag Welt MS Tag. 

Der Tag hat nach wie vor seine Berechtigung. Es gibt ihn um das Bewusstsein der Menschen für Multiple Sklerose zu schärfen und darüber aufzuklären. Nicht nur Menschen, die erkrankt sind, sondern auch Angehörige und, was besonders wichtig ist, die Öffentlichkeit. Weil da fehlt es oft am Verständnis. 

Einerseits, wenn es um die Grundkenntnisse geht, die wir oft genug wie Wanderprediger immer wieder besprechen, eben dass MS nicht Muskelschwund ist. Andererseits wenn es darum geht, jemanden mit MS zu kennen und hier kein Verständnis aufzubringen, gerade da wo und dann wenn es am nötigsten wäre. Wenn jemand einen Schub hat beispielsweise.

Ehrlich gesagt, es erschüttert mich immer wieder, dass wir solche Tage überhaupt brauchen. Dennoch sind sie nötig. Solange, bis wir alle uns anderen öffnen und zumindest anfangen, die Ansätze zu verstehen. Das gilt übrigens nicht nur für MS sondern für alle anderen Erkrankungen. 

Sich zu öffnen und sich ein Mindestmaß an Wissen, eben dass MS nichts mit Muskelschwund zu tun hat (sorry, aber das hab ich letzte Woche zweimal hören müssen) ist jetzt keine besonders schwierige Aufgabe. Es ist auch kein besonderes Wissen nötig, auch weil man das mit ein wenig Aufmerksamkeit durchaus den Medien entnehmen könnte, wenn man das wollte. Nötig ist eher ein wenig Menschlichkeit und Empathie. Gesunder Menschenverstand schadet übrigens auch nicht. ;-) 

Es ist einfach nur an uns, das Verständnis dafür zu entwickeln, dass ein Mensch, der mit einer chronischen oder langfristigen Erkrankung unterwegs ist, ab und an einfach andere Bedürfnisse hat, einen anderen Takt läuft und nicht immer, und das finde ich besonders wichtig, den Erwartungen der Mitmenschen entspricht oder entsprechen kann und will. 

Dafür muss ich nicht wirklich etwas über die Erkrankung wissen. Es reicht schon zu sagen, ok, es geht jetzt vielleicht nicht, dass wir uns sehen, aber ich habe Interesse daran mehr von dir zu hören um zu verstehen oder zu sehen, wann ich dich unterstützen kann. Das öffnet Türen. Wenn man das möchte. 




Vorwürfe hingegen knallen Türen zu. Und zwar nachhaltig. 




In den vergangenen Wochen  habe ich all das, was so über MS vor sich hin fabuliert wird, gegen den Latz gedonnert bekommen. Wochen, die den Bedarf für diesen einen Tag so deutlich machen. 

Weil MS eben kein Muskelschwund ist, weil man mit MS lebt und nicht ständig Patient ist sondern ein Mensch, weil man mit MS schön aussehen kann (#butyoudontlooksick - eine Erkrankung ist erst dann eine Erkrankung wenn man sie sieht, was absurd ist) und soll, weil es der Seele gut tut und weil MS einfach auch unbequeme Entscheidungen einfordert. Wenn ich Nein sage, heißt das nicht zwangsläufig, dass es mir gefällt. Vielmehr ist es oft der Fall dass es so sein muss weil es vernünftiger ist. 

Dinge, die ich seit Jahren immer wieder erkläre. Ich frage mich, ob überhaupt jemand zuhört oder nicht nur verständnisvoll nickt und es im nächsten Moment wieder vergisst. Ob das, was wir alle, die wir mit MS leben und darüber berichten, das Gehör findet, das eigentlich nötig ist um zu verstehen, was da los ist. Umgekehrt ist es nämlich so - und das habe ich schon oft gesehen - wenn jemand  eine Diagnose bekommt, wird das Verständnis für die Person erwartet, die vorher nicht bereit war selbiges zu geben. Es ist das gegenseitige Verständnis um das es mir hier geht. 

Das Verständnis für die Menschen mit MS und umgekehrt aber auch das Verständnis für die anderen. Wir müssen lernen uns gegenseitig zu verstehen. Ein Minimum wäre da schon ok. Von allen und gegenseitig. 

Beispiel? Wenn man einen Schub hat zieht man sich zurück. Kümmert sich um sich selbst. Weil in dem Moment nichts anderes wichtig ist. Weil man es muss. In diesen Phasen sagt man oft Nein oder macht einfach etwas nicht. Weil es schlicht nicht geht. Wegen der MS, weil ein Schub keine 0815 Sache ist sondern ein ernstes gesundheitliches Problem, das höchste Priorität verlangt. 

Da kann es schon mal passieren, dass es an Verständnis mangelt. Nicht aus der Community heraus, wenn ich den MS Menschen in meinem Netzwerk sage, dass ich schiebe, treffe ich auf extremes Verständnis. Und in meinem engsten Freundeskreis ist es genauso. Ich kann mich zurückziehen und wieder kommen, wie es eben möglich ist. Ein Fakt, für den ich sehr dankbar bin, weil ich in dem Moment auch den Freiraum bekomme, den ich brauche. 

Dann gibt es noch anderen. Die, die sich vernachlässigt fühlen, weil man etwas nicht gemacht hat, weil man sich nicht meldet. Das sind die, die einem dann gerne einige Vorwürfe entgegen bringen, einen in die Rechtfertigungsschleife jagen möchten und am Ende gönnerhaft einen Neuanfang anbieten. Auch so eine Sache, die am Ende eine Tür zuhaut und Abstand schafft. 

Sorry Leute, da bin ich raus. 

Zum einen, weil ich schlicht nichts dafür kann, dass ich mit MS lebe. Ich habe mir das nicht ausgesucht. Ehrlich gesagt, latsche ich auch nicht gelangweilt durch die Gegend und wünsche mir Schübe, die mir eine maximale Gehstrecke von 20 m bescheren und mich lahm legen. Und, das Wichtigste; Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich mir selbst die höchste Priorität einräume, wenn es darum geht, Symptome jedweder Art durchzustehen und etwas dafür zu tun, dass es mir wieder besser geht. 

Ich kann verdammt nochmal nichts für die MS. Die war einfach da und ich muss irgendwie klar kommen. 

Ich lebe mit MS und ich lebe anders. Über die Jahre habe ich gelernt, wann es Zeit ist, den Fokus auf mich zu legen und wann es gut ist, einfach zu leben. Diese Phasen wechseln sich ab, dankenswerterweise sind die Phasen in denen ich einfach nur lebe, länger und öfter als die, in denen ich mich auf Symptombekämpfung konzentrieren muss. 

Und dennoch: ich lebe langsamer, intensiver und dankbarer. 

Weil, und das muss man auch verstehen, Leben mit MS bedeutet auch Richtungsänderung, man entwickelt andere Skills, also Fähigkeiten. Man wird ein Stück weit manchmal härter, entscheidet schneller und ist konsequenter, auch entspannter, wenn es darum geht, Dinge einfach so sein zu lassen, wie sie sind, weil es nicht lohnt, sich aufzuregen. Man dosiert das eigene "Ich bin dagegen" und wandelt es in ein "Im Moment ok, mein Moment kommt noch" um und kommt dann in Aktion, wenn es einfach besser passt, weil es weniger anstrengend ist. 

Ich erwarte nicht vollstes Verständnis dafür wie ich lebe. Brauch ich nicht, weil: Ich habe es auch nicht immer für andere und das ist ok. Aber was ich immer habe ist auch die entspannte Haltung zu sagen: wenn es für dich ok ist, ist es für mich ok. 

Denn manchmal ist keine Zeit und kein Raum für Vorwürfe, manchmal ist es einfach an der Zeit für etwas Verständnis aufzubringen, weil es gerade nicht anders geht, weil das der anderen Person gut tut, weil sie in dem Moment Verständnis braucht und keine Vorwürfe. Dann ist das eine unsichtbare Umarmung, die hilft, durch eine Situation zu kommen. Drüber reden kann man später. Konstruktiv und in Ruhe. Wenn die Gemüter sich beruhigt haben. 

Was uns wieder dazu bringt, dass Verständnis nicht immer nur Wissen ist. 

Verständnis ist verstehen und Empathie. 


Und das hat zwangsläufig nichts mit MS zu tun, sondern einfach mit Menschlichkeit und gesundem Menschenverstand. Ich finde, es wäre gut, daran zu arbeiten. Wer noch? 

#geMeinSam! 

Was auch der # für den deutschen Welt MS Tag ist!

Birgit 


Text: Birgit Bauer / Manufaktur für Antworten UG 

Bilder: World MS Day.org / Pixabay.com 

Copyright 2023 

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