Montag, 24. März 2025

„Wir sind doch alle Patienten …“ – Warum mich dieser Satz jedes Mal irritiert! - English Version: ‘We're all patients, after all...’ – Why this sentence irritates me every time

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Manchmal sind es nicht die großen Diskussionen, die einen beschäftigen – sondern ein einziger Satz. Einer, der scheinbar beiläufig fällt, aber hängen bleibt. 

Einer, der mehr verdeckt als erklärt. 

Vergangene Woche war es wieder so weit. Ich habe mich in einer Runde für die Einbindung von Menschen mit Erkrankungen ausgesprochen, dafür, dass ihre Perspektive gehört werden muss – und dann kam er wieder: „Wir sind doch alle Patienten.“

Ein Satz, der vieles sagen will – und dabei so vieles übersieht.

Oft taucht er genau dann auf, wenn es eigentlich um mehr gehen soll – um Teilhabe, Mitsprache, um das ernsthafte Einbinden von Menschen mit Erkrankungen in Diskussionen und Entscheidungsprozesse. 

Auf Panels, in öffentlichen Debatten, bei Veranstaltungen, in denen man sich mit dem Thema „Patient:innenbeteiligung“ schmückt – kommt dieser Satz immer wieder ins Spiel. Fast wie eine rhetorische Beruhigungstablette. Doch anstatt Augenhöhe herzustellen, hebt er sie auf.

Denn so richtig angekommen ist die Idee der Mitgestaltung noch nicht überall. Viel zu oft wird über Einbindung gesprochen, statt sie tatsächlich zu leben – strukturell, konsequent und mit echtem Interesse an den Perspektiven der Betroffenen. Viel zu häufig werden einzelne eingeladen, weil „man jemanden dabeihaben sollte“. Und wenn dann jemand mehr sagen möchte als ein nettes Statement, kommt er fast reflexhaft: „Wir sind doch alle Patienten.“

Dabei stimmt der Satz rein formal. Ja, wir alle können im Laufe unseres Lebens erkranken – für kurze Zeit, in kleiner oder großer Not. Aber: Das bedeutet nicht, dass wir alle die gleiche Erfahrung machen. Und genau da liegt das Problem.

Es gibt Menschen mit einem Infekt, einem verdrehten Knie, einer Magen-Darm-Erkrankung – keine Frage. Es gibt auch jene mit temporären, aber ernstzunehmenden Beschwerden: einem Bruch, einem Bandscheibenvorfall, einer längeren Reha. Auch das kann sehr belastend sein. Und dann gibt es Menschen, die chronisch krank sind. Die nicht „wieder gesund“ werden. Die ihr Leben lang mit Symptomen leben, mit Medikamenten, mit regelmäßigen Arztbesuchen, Therapien, Rückschlägen. Die sich arrangieren müssen – mit Einschränkungen, mit gesellschaftlichen Barrieren, mit dem Gefühl, eben doch nicht „wie alle anderen“ zu sein.

Gerade diese Menschen sind es oft, die sich engagieren, die mitgestalten wollen, die sich einbringen – weil sie wissen, was es heißt, dauerhaft betroffen zu sein. Sie sind keine Gäste im System. Sie leben darin.

Und damit keine Missverständnisse entstehen: Natürlich hat auch die Person mit dem Gips etwas zu sagen. Jede Perspektive ist wertvoll. Jede Erfahrung bringt Aspekte zum Vorschein, die man sonst leicht übersieht – sei es im Gespräch mit Ärzt:innen, im Kontakt mit der Verwaltung oder beim Zugang zur Versorgung.

Aber dort, wo sich Menschen engagieren, die ihr Leben lang mit einer chronischen Erkrankung leben – sei es MS, Diabetes, rheumatische Erkrankungen oder andere –, da lohnt es sich, noch genauer hinzuhören. Denn hier fließt nicht nur persönliche Betroffenheit ein, sondern oft auch fundiertes Erfahrungswissen. Sachkenntnis, gewachsen über Jahre. Wissen darüber, wie Systeme funktionieren – oder eben nicht.

Diese Perspektive ist nicht wichtiger, aber oft tiefgehender. Und genau deshalb sollte man sie nicht übergehen, sondern einbeziehen – von Anfang an und in allen Vorhaben. Sei es als Start-up, das eine digitale Lösung entwickelt, oder als Mitarbeiter:in einer Behörde, einer Krankenkasse oder eines Unternehmens, das sich in irgendeiner Form mit dem Gesundheitswesen beschäftigt.

„Wir sind doch alle Patienten“ klingt dann wie ein gleichmachendes Tuch, das über alle Unterschiede gelegt wird. Es klingt, als gäbe es keine Unterschiede im Erleben, keine Unterschiede in der Belastung, keine Unterschiede in der Perspektive. Doch die gibt es – und sie sind entscheidend.

Weil es eben etwas anderes ist, sechs Wochen einen Gips zu tragen, zu wissen, wann der Verband abkommt, und danach schrittweise zur Normalität zurückzukehren – oder sich, wieder einmal, auf eine neue Medikamentenumstellung einzulassen, weil sich der Zustand verschlechtert hat. Weil man dann erneut in der Klinik landet, wieder untersucht, neu eingestellt, vielleicht auch wieder zurückgeworfen wird. Es ist ein Unterschied, ob man mit einem Ablauf rechnet – oder ob der eigene Alltag regelmäßig von medizinischen Notwendigkeiten unterbrochen wird, unplanbar, manchmal auch unausweichlich.

Was diese Phrase vor allem nicht ist: hilfreich. 

Sie verhindert, statt zu verbinden. Denn sie schert über einen Kamm, wo Differenzierung nötig wäre. Und sie spricht jenen, die mehr als nur vorübergehend krank sind, oft das Besondere ihrer Lebensrealität ab.

Ich habe an diesem Tag nicht bissig reagiert. Obwohl ich kurz davor war. Nicht, weil ich beleidigt bin – sondern weil ich glaube, dass wir sensibler werden müssen. Zuhören statt abwinken. Fragen statt einordnen. Und ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass Krankheit nicht gleich Krankheit ist. Genauso wie eben Mensch nicht gleich Mensch ist.

Es geht nicht darum, Fronten aufzubauen. Es geht darum, ernst zu nehmen, was Menschen erleben – und was sie beitragen können. Gerade dann, wenn ihre Perspektive nicht bequem, sondern ehrlich und notwendig ist.

Nein, wir sind nicht alle gleich. Und genau deshalb brauchen wir Gespräche, die Raum lassen für Unterschiede. Für echte Teilhabe. Und für Sätze, die nicht pauschalisieren – sondern wirklich verbinden.

Vielleicht lohnt es sich, beim nächsten Mal einen Moment innezuhalten, bevor dieser Satz fällt: „Wir sind doch alle Patienten.“

Wirklich? Oder ist es an der Zeit, genauer hinzuhören, bewusster zu unterscheiden – und echte Beteiligung nicht nur zu behaupten, sondern strukturell zu ermöglichen?

Menschen mit Erkrankungen bringen nicht nur Erfahrungen mit, sondern auch Expertise. Besonders dort, wo sie sich über Jahre hinweg mit Versorgung, Forschung und Systemfragen auseinandersetzen. Dieses Wissen gehört nicht an den Rand – sondern in die Mitte jeder Entscheidung, die sie betrifft.

Der #patientsinvolved wurde seinerzeit nicht ins Leben gerufen, um irgendwann als leere Hülle zu enden oder als gerne genutztes Signal in Social Media. Er braucht Leben und Lebendigkeit. Und sollte genau das liefern, was er sagt: Menschen mit Erkrankungen, bekannt als Patient:innen, einzubinden – und sie aktiv Teil einer Sache, eines Vorhabens oder eines Projekts werden zu lassen.

Offen für Vorschläge und einen Austausch! 

Birgit 


Bild: Erstellt mit KI und Canva

Text: Birgit Bauer 


English Version: 


Sometimes it's not the big discussions that occupy you – but a single sentence. One that seems to be said in passing, but sticks. 

One that obscures more than it explains.

Last week it happened again. I was in a group that spoke out in favour of involving people with illnesses, that their perspective must be heard – and then it came again: ‘We are all patients after all’ (Wir sind doch alle Patienten).

A sentence that wants to say a lot – and overlooks so much.

It often crops up precisely when more is actually at stake – participation, having a say, the serious involvement of people with illnesses in discussions and decision-making processes.

On panels, in public debates, at events where the topic is ‘patient participation’ – this sentence comes up again and again.Almost like a rhetorical sedative. But instead of creating a sense of equality, it cancels it out.

The idea of co-creation has not yet been fully embraced everywhere. All too often, involvement is talked about instead of actually practised – structurally, consistently and with a genuine interest in the perspectives of those affected. All too often, individuals are invited because 'you should have someone there'. And when someone wants to say more than a nice statement, the reflexive response is: ‘We are all patients, after all.’

The sentence is technically correct. Yes, we can all become ill at some point in our lives – for a short time, with little or great hardship. But that doesn't mean that we all have the same experience. And that is precisely where the problem lies.

There are people with an infection, a twisted knee, or an upset stomach – no question about that. There are also those with temporary but serious complaints: a hernia, a slipped disc, a lengthy period of rehabilitation. These can also be very stressful. And then there are people who are chronically ill. Who do not ‘get better’. They live with symptoms all their lives, with medication, with regular doctor's visits, therapies, setbacks. They have to come to terms with restrictions, social barriers and the feeling of not quite being like the rest of society.

It is often precisely these people who get involved, who want to help shape things, who get involved – because they know what it means to be permanently affected. They are not guests in the system. They live in it.

And to avoid any misunderstandings: of course the person with the plaster cast also has something to say. Every perspective is valuable. Every experience brings to light aspects that are otherwise easily overlooked – whether in conversations with doctors, in contact with the administration or in access to care.

But when it comes to people who live with a chronic illness throughout their lives – whether it's MS, diabetes, rheumatic diseases or others – it's worth listening even more carefully. Because here, not only personal concern flows in, but often also well-founded knowledge gained from experience. Expertise that has grown over years. Knowledge about how systems work – or don't.

This perspective is not more important, but often more profound. And that is precisely why it should not be ignored, but included – from the outset and in all projects. Be it as a start-up developing a digital solution, or as an employee of a public authority, a health insurance company or a company involved in healthcare in some way.

‘We are all patients after all’ then sounds like a levelling cloth that is laid over all differences. It sounds as if there are no differences in experience, no differences in burden, no differences in perspective. But there are – and they are crucial.

Because it is quite a different thing to wear a cast for six weeks, to know when the bandage will come off and then gradually return to normality – or, once again, to have to get used to a new medication because your condition has worsened. Because you then end up in hospital again, are examined again, readjusted, and perhaps even set back again. There is a difference between anticipating a process and having your daily routine regularly interrupted by medical necessities, unpredictably and sometimes unavoidably.

What this phrase is not, above all, is helpful.

It hinders instead of connecting. It lumps together what needs to be differentiated. And it often denies those who are ill more than just temporarily the reality of their lives.

I didn't react snappishly that day, even though I was on the verge of doing so. Not because I'm offended, but because I believe we need to become more sensitive. To listen instead of dismissing. To ask questions instead of categorising.And to develop an awareness that not all illnesses are the same. Just as not all people are the same.

It's not about creating fronts. It's about taking seriously what people experience – and what they can contribute. Especially when their perspective is not convenient, but honest and necessary.

No, we are not all the same. And that is precisely why we need conversations that leave room for differences. For real participation. And for phrases that don't generalise – but really connect.

Perhaps it is worth pausing for a moment before saying this next sentence: ‘We are all patients, after all.’


Really? Or is it time to listen more carefully, to distinguish more consciously – and not just to claim genuine participation, but to make it structurally possible?

People with illnesses not only bring experience with them, but also expertise. Especially where they have been dealing with care, research and system issues for years. This knowledge does not belong on the sidelines – but at the centre of every decision that affects them.

The #patientsinvolved was not launched to end up as an empty shell or as a popular signal in social media. It needs life and healthcare. And it should deliver exactly what it says: to involve people with illnesses, known as patients, and to let them actively participate in a cause, an endeavour or a project.

Open to suggestions and dialogue!

by Birgit


Image: Created with AI and Canva

Text: Birgit Bauer

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