Mittwoch, 19. September 2018

Schuld ....



Am Wochenende las ich auf Twitter über die Schuld. Eine Frau mit MS wünschte sich ein Medikament gegen die Schuldgefühle, die einen ab und an überkommen können, wenn man MS hat.

Es ist die Schuld, die einen Menschen mit einer chronischen Erkrankung regelmäßig überkommt. Sogar mich. Wir fühlen uns nicht selten schuldig, wenn wir etwas nicht können oder Unterstützung brauchen.
Mir geht es oft so, wenn ich das bei Herzblatt mache. Ich kann etwas nicht und er muss verzichten. Schuldig. Im Sinne der MS.

Oder er muss übernehmen, was jetzt selten der Fall ist, aber im Fall eines Schubes passieren kann. Auch dann fühle ich mich schuldig. Weil er verzichtet oder mehr macht als nötig wäre.



Es ist doch so, mit einer chronischen Erkrankung zu leben bedeutet oft auch, selbst verzichten zu müssen. Auf eine Veranstaltung, etwas, das uns Spaß macht. Ab und an ist einem das Sofa und die Ruhe angenehmer als Lärm und Trubel.

Wer jetzt sagt, dass es einem ja selbst auch so geht, dem kann ich sagen, stimmt, aber ist es auch so oft wie bei einer Person mit MS? Ich kenne viele, die brauchen schnell Ruhe, weil sie wesentlich schneller erschöpft sind als gesunde Menschen, weil der Fokus auf die Veranstaltung, den Trubel und das Verarbeiten des Lärms zum Beispiel, echt anstrengend werden kann oder weil die Fatigue (chronische Erschöpfung) einholt oder Schmerz sie plagt. Dinge, die man nicht auf den ersten Blick sieht, aber die da sind und oft bittere Begleiter werden. Dann muss man gehen. Obwohl man nicht will. Und fühlt sich schuldig.

Weil die MS einem in dem Moment die Tour versaut und zwar so richtig. Und als Kirsche auf dieser Torte gibts dann das Schuldgefühl. Weil die eigene MS den anderen auch die Tour versaut hat.

Das ist nicht schön und angenehm. Gerade bei Herzblatt tut mir das weh. Es schmerzt zu sehen, wie er selbstlos verzichtet und zusieht, dass er mich schnellstmöglich in eine Ruhephase bringt. Über die Jahre haben wir uns daran angepasst und ich glaube, er nimmt das meistens nicht so krumm, weil mir dieser Verzicht nur begrenzt passiert, also überschaubar ist und er selbst jetzt eher ein gemütlicher Mensch ist. Aber oft genug denke ich auch darüber nach, was passiert, wenn es häufiger nötig wird. Jünger werde ich auch nicht und in diesen Momenten fühle ich mich so richtig schuldig.

Wenn ich darüber rede, wiegelt er ab. Er liebt mich und das gehört eben dazu. Gibt mir einen Kuß und gut. Die Liebe ist da, bleibt aber eben die Schuld auch.

Eigentlich müsste man sich ja nicht schuldig fühlen. Wegen der MS. Ich meine, keiner von uns ging in den Supermarkt und hat einen Doppelpack MS gekauft oder hat sich das Zeug spritzen lassen. Wir waren alle nicht heiß darauf, MS zu kriegen und aussuchen würden wir uns das nie im Leben. Wer sucht sich schon eine chronische, neurodegenerative und derzeit nicht heilbare Erkrankung aus? Keiner.

Es ist nicht unsere Schuld, dass wir etwas nicht können. Aber wir fühlen uns so. Weil die MS eben nicht nur uns einschränkt oder Steine in den Weg legt. MS betrifft immer auch das Umfeld. Das uns regelmäßig erklärt, dass wir nicht schuldig sind, auch wenn wir uns so fühlen.

Über die Jahre habe ich gelernt, damit umzugehen. Mir nicht mehr so viele Sorgen darum zu machen, was ist, wenn ich etwas ablehne oder über die berühmten Stränge schlage, zustimme, um eventuelle Diskussionen zu vermeiden. Letzteres war übrigens selten gesund und nett. Ich habe immer dafür bezahlt. Also habe ich angefangen, zu dem zu stehen was ist. Egal ob gut oder nicht, letztlich kann ich mir nur das leisten, was wirklich machbar ist. Alles andere ist nicht so wirklich sinnvoll. Und es nimmt keine Rücksicht darauf, ob ich mich schuldig fühle oder nicht. Da muss ich dann durch.

Ich glaube, es ist kein Problem, um Unterstützung zu fragen, wenn man sie braucht. Zumindest bei den Menschen, von denen man weiß, dass sie verstehen. Bei diesen Menschen ist es auch weniger das Problem, das Schuldgefühl über die Zeit zumindest zu reduzieren. Bei den anderen? Hm, wird es uns wohl immer verfolgen, auch wenn es völlig unnötig ist.

Weil man nur für etwas die Schuld übernehmen kann, wenn man bewusst dafür eine Entscheidung traf. Ich habe mich nicht für MS entschieden, sie war einfach da.

Was denkt Ihr?

Liebe Grüße
Birgit

Text: Birgit Bauer
Bild: Birgit Bauer

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