Sonntag, 30. Dezember 2018

Lass es nicht fallen, sonst ist es kaputt! Über Wohltaten, wohl Gemeintes, Übergriffiges und rohe Eier ....

Es gibt sie, diese Momente, in denen man sich ein bisschen bevormundet fühlt. Behandelt wir so ein rohes Ei. "Lass es nur nicht fallen, sonst ist es kaputt!"




Manchmal fühle ich mich so. Das kommt definitiv vom blöden Fräulein Trulla. Immer dann, wenn ich sage, dass ich etwas benötige, kann es passieren. Jemand sieht das rohe Ei und bettet mich quasi auf Watte. Will ich aber ja eigentlich gar nicht. Aber es passiert.
Wie? Jemand trifft eine Entscheidung für mich, die ich so gar nicht wollte und die ich im Leben nicht so entschieden hätte. Ich kann das nämlich. Selbst entscheiden. Zu bestimmen, was gut ist für mich, oder auch nicht. Ich bin nämlich schon groß. ;-) Auch wenn man das anhand von ab und an stattfindenden Kindskopfanfällen nicht immer sofort erkennen kann. Allerdings ist das eine andere Geschichte.

Ich finde es ja großartig, wenn man mir etwas abnimmt, oder mich unterstützt. Den wohlmeinenden Gedanken verstehe ich, obwohl es ihn eigentlich nicht braucht. Wie gesagt, das "rohe Ei" kann selbst entscheiden. Und weiß eigentlich auch am besten, was es braucht und was nicht.

Wie sagte es neulich ein Kollege, der mit Gehhilfe unterwegs ist und ständig diese "Übergriffe auf sein Leben" wie er es nennt, abwehren muss, ganz lässig: "Weißt du, wenn ich was brauche oder möchte, sage ich das. Aber solange ich nichts sage, musst du überhaupt nichts tun. Nicht für mich entscheiden oder versuchen, was Gutes zu tun, nur weil ich gerade schwanke."

Wir sind uns klar darüber, meistens meint die Menschheit es ja erst mal nur gut. Auch wenn ich das langsam nicht mehr wirklich hören kann. Es wurde zu oft gesagt und als Ausrede für einen Entscheid benutzt. Zwischen gut meinen und etwas Gutes tun ist ein Unterschied.

Gut meinen ufert oft im Treffen von Entscheidung für andere aus und tut nicht gut. In dem Moment wird ein eigentlich gutes Verhältnis durch das Gefühl der Bevormundung getrübt.  Wer lässt sich als Erwachsener schon gerne bevormunden?

Aus gesetzlicher Sicht betrachtet dürfen wir wählen, Alkohol trinken, Sex haben, sind voll geschäftsfähig und werden vom Staat durchaus als mündige Bürger gesehen. Warum auch nicht? Wenn ich etwas anstelle und mich strafbar mache, weil ich etwas entschieden habe, werde ich bestraft. Egal ob ich jetzt MS hab oder nicht. Und wenn der Staat das so sieht, kann es doch der Rest auch oder? ;-)

Es ist dasHelfersyndrom und das haben viele Menschen. Es kommt immer oder oft zum Vorschein, wenn wir mit dem Schicksal anderer nur schlecht umgehen können.

Da muss man doch etwas tun!!! Ehrlich gesagt, ich glaube, dieses "Helfersyndrom" oder die Sprachlosigkeit, mit der viele Menschen zu kämpfen haben, wenn sie hören, dass ihr Gegenüber mit einer chronischen Erkrankung wie MS lebt,  ist eines dieser Hindernisse. Es schränkt die "Helfer" ein und lässt sie betriebsblind in Sachen Umgang werden. Oft sehen sie erst einmal nur die Krankheit. Nicht den Menschen.

Ehrlich, das nervt. Wir sind alle erfahren genug im Umgang mit einer Erkrankung, um wirklich zu wissen, was wir möchten und brauchen. Wir können das sogar sagen und danach fragen!

Ungefragt und ohne die genaue Faktenlage zu kennen, für andere, die man im Grunde genommen nicht kennt, eine Entscheidung zu treffen ist nicht besonders hilfreich. Woher weiß man, ob jemand wirklich Unterstützung oder Assistenz braucht oder wünscht?
So gesehen ist das Verschwendung von Ressourcen. Da geht viel Geld für gebuchte Zusatzleistungen drauf, für die Organisation von etwas, das am Ende oft ungenutzt bleibt.

Auf der anderen Seite: Es kostet denjenigen, der diese Entscheidung ausbaden muss Kraft. Oft genug ist die Konsequenz dieser Entscheidungen Chaos in den Plänen der anderen und wenn ich eines gelernt habe, dass wir mit MS (und sicher auch alle anderen, die mit Erkrankungen oder Behinderungen leben) sehr gut organisiert sind.

Ich bin mittlerweile Profi darin, die Entscheidungen, die andere für mich getroffen haben, zu entkräften. Allerdings macht es mich müde, es kostet mehr Kraft, diese Pläne so zu modifizieren, dass sie in meine Pläne passen. Oft bleiben bereits organisierte und bezahlte Leistungen ungenutzt, wenn sie nicht zu mir passen. Letztlich ist es meine Sache, wie ich plane und es geht andere nichts an, was ich mache und wann und wen ich dazu benötige.

Man könnte es so sagen: Dieses ungefragte Helfen wollen ist Mehraufwand zu Lasten der Person, deren Leben es erleichtern sollte. Das kann von schneller Erschöpfung bis hin zu stärkerer Fatigue oder kognitiven Problemen bei MS viel sein und ich habe es schon oft erlebt und gehört.

Einen Satz hörte ich in dem Jahr oft, von anderen Menschen mit MS aber auch von Menschen, die mit anderen Erkrankungen leben, er kam oft sinngemäß so daher:

"Ich sag nicht immer, was ich habe, weil ich sonst anders behandelt werde, ich Sachen untergejubelt kriege, die ich nie wollte und das finde ich höchst seltsam oder befremdlich. Vor allem, wenn Leute entscheiden, die mich nicht kennen!" 

Letztlich geht es darum, so normal (was immer es ist und wie jeder Mensch es für sich definiert) wie möglich zu leben. Und dieses "Normal" ist es doch, was wir alle brauchen. Dazu gehört auch, selbst zu entscheiden, wie weit wir Unterstützung benötigen, annehmen möchten und einholen.



Ein rohes Ei zu sein, ohne es zu wollen, ist nicht besonders hilfreich.  Der Unterschied ist auch, dass ich so schnell nicht kaputt gehen werde. Was aber hilft ist dann zu helfen, wenn jemand nach Hilfe fragt. Und den Rest ey, den schaffen wir alleine. Ich schwör!

Liebe Grüße
Birgit



Bilder: pixabay.com
Text: Birgit Bauer


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