Vor einem Jahr war ich viel unterwegs, arbeitete als digitale Nomadin von Flughäfen aus, besetzte diverse Barplätze für Meetings oder ging in den Etagen mit Büroarbeitsplätzen in Hotels ein und aus. Mein Zeitrahmen war ein anderer. Ich machte meine Pausen oft in Flugzeugen und während ich das Fräulein Trulla als Sperrgepäck aufgab, war ich in Gedanken nicht selten Zuhause.
"Was muss es cool sein, nur von Zuhause aus zu arbeiten!", dachte ich mir und wunderte mich über so manches Meeting, das man online hätte genauso gut halten können. Für mich ist das schon lange kein Thema mehr, mich online zu treffen, für andere war es das.
Dass es mir in diesem Jahr passieren würde, dass ich quasi Zuhause im heimischen Büro strande und erst mal nicht mehr so einfach los düsen werde, das hätte ich erst mal nicht gedacht.
Aber wie ist es: Es kommt immer anders als man denkt und das Thema "Balance" braucht ein Update!
Normalerweise habe ich eine sehr gut ausgependelte Balance was Job und MS und Leben betrifft, wenngleich mein Arbeitsvolumen schon gut voll ist. Aber hey, ich mag meinen Job echt gerne und daher ist Vieles von dem, was ich da so mache, auch das, was mir so Spaß macht, dass ich das nicht mehr als Arbeit empfinde. Eine komfortable Situation und ich weiß das echt zu schätzen. So gesehen habe ich es mit viel Einsatz und Motivation in den letzten Jahren geschafft, das zu tun, was ich immer tun wollte, war nicht einfach und ab und an musste ich ganz schön einstecken, aber es hat geklappt. Wenngleich ich immer weiter an meinem Job arbeiten muss. Weil sich alles entwickelt, fortsetzt und verändert.
Einer meiner Lieblingssätze ist: Ich habe einen Plan. Ich organisiere mich gut und schaffte es bisher immer gut durchzukommen. Wo andere mich verzweifelt bedauerten, weil ich so viel auf Reisen war, lachte ich nur und war bis auf wenige Ausnahmen immer entspannt. Sag ich doch, Pausen müssen in den Plan. Und auch wenn ich von meinen Destinationen nie viel sah, gab es immer eine nette Ecke um gemütlich zu verweilen. Zumindest einen Moment. Ich genoss es dann, Zuhause zu sein und mich um den Haushalt zu kümmern, liebte mein Homeoffice und mein Sofa.
Heute ist es ein bisschen anders. Ich reise nicht. Ich klebe hier. Nicht falsch verstehen, ich liebe mein Zuhause immer noch, mag meinen Haushalt, weil der mir die kreativen Ideen schenkt, die ich manchmal im Büro vergeblich suche undicht liebe mein Zuhause und genieße es auch. Auch das Sofa mit seiner unendlichen Anziehungskraft.
Aber ich habe ein bisschen die Balance verloren. Ich reise immer noch, aber nur virtuell. Klicke mich von Meeting zu Meeting, versuche zwischendrin aufzuarbeiten, schreibe viele Artikel und Texte, arbeite an Projekten und: mache Überstunden. Etwas, das mir trotz der vielen Reisen in der Vergangenheit selten passiert ist.
Vor einigen Tagen begann ich darüber nachzudenken, ob ich überhaupt noch einen Plan habe. Ich fühlte mich ein bisschen verloren und nachdem sich Fräulein Trulla eilig zu Wort meldete, war mir klar, ich muss nachdenken. Und muss zugeben, fehlt meinem Plan tatsächlich etwas. Immerhin habe ich Freitag, der ist mein Denktag. Den gibt es hier schon länger und war eine der ersten Entscheidungen, mir mehr Raum zu verschaffen. Coole Projekte kriegt man nicht groß gedacht, wenn dafür kein Raum ist. Dieser Raum war früher auf Airports, im Flieger, in Taxis, auf Kongressen in Vorträgen wo ich inspiriert wurde und ab und an auch bei einem stillen Kaffee in einem Lokal. Irgendwo. Jetzt ist es der Freitag, auch wenn viele das eher nicht verstehen wollen. Aber wenn ich gute Projekte entwickeln und gute Texte abgeben soll, dann brauche ich diesen Frei-raum!
Früher, zu Reisezeiten gab es diese Zeitlöcher, die sich auftaten und die gut taten. Die da waren um groß zu denken, geistig abzuhängen und schräg zu denken. Diese Zeitlöcher vermisse ich. Ehrlich. Es ist nett, sich von Meeting zu Meeting zu klicken, aber so richtig das Gelbe vom Ei ist es nicht, wenn man bedenkt, dass ich meine Zeitlöcher brauche wie die Luft zum Atmen. Zum Runterkommen, Hirn ins Standby schalten und gepflegt chillen. Es sind die Momente, die mich zum einen Entspannen, zum anderen der Kreativität den Raum geben, um unkontrolliert zu wuchern, über Projekte zu sinnieren und Strategien zu entwickeln oder einfach auch, um über Texte wie diesen hier nachzudenken. Und es sind diese Zeitlöcher, die auch helfen, in Sachen MS klar zu kommen. Gut damit zu leben und Fräulein Trulla unter Kontrolle zu behalten.
Es ist Zeit die Zeitlöcher wieder zu bekommen, mich neu zu sortieren und einen neuen Plan zu fassen. Mit genügend Zeit für mich. Für mein Leben mit MS. Weil die eben die Balance braucht, damit ich gut leben kann. Entspannt bleibe und eben nicht das Gefühl habe, man hätte mich angeleimt. Mit Superkleber. Was ja nicht der Fall ist. Aber dennoch: ich brauche mehr Raum.
Ein erster Teil ist schon gelungen, ich habe nach einer Pause des Nachfühlens den Physiotherapeuten gewechselt.Am Start ist ein "Neuer" und wieder ein fester Termin den es einzuhalten gilt. Also ein Zeitloch ist schon da.
Aber es braucht mehr. Das nächste Zeitloch wird ein fester Sporttermin mit dem Herzblatt, der nämlich auch was tun muss. Daher gibt es jetzt eine Sportgruppe hier. ;-)
Klingt nach einem Plan oder? Derzeit überlege ich auch, mir wie zu Reisezeiten eine Woche im voraus, die Löcher zu planen.
Montag, geplantes Physiozeitloch, Dienstagnachmittag ab 15.00 Uhr bin ich dann nicht zu sprechen. Dann wacht der Automat, während ich mich im Hintergrund in kreatives Treiben stürze.
Weil eben alles seine Zeit braucht. Sogar das Zeitloch. Und das ist wichtig, um in Balance zu bleiben, gleichmäßig vorwärts zu gehen und dabei den Spaß nicht aus den Augen zu verlieren.
Wie haltet Ihr derzeit die Balance? Habt Ihr Tipps?
Verplant verpeilte Grüße aus dem derzeitigen Zeitloch! :-)
Birgit
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