Montag, 7. März 2022

#nowords? Und kein MS Post und was das jetzt mit Stricken zu tun hat

Es war ein bisschen still hier. Das liegt daran, dass ich keine Worte fand. Ich war, wie alle erschüttert ob der aktuellen Situation. Wortlos. Nie gedankenlos, aber voller Fragen. Wie kann ich damit umgehen, was kann ich tun? Muss ich das jetzt kapieren? Wie kann ein Mensch so sein? Fragen und viele andere, die uns alle bewegen. 

Ich dachte an die Menschen, die krank in der Ukraine sitzen, deren Zugriff auf Medikamente übel unterbrochen ist, die Therapien unterbrechen müssen und keine Hilfe bekommen. Und ich frage mich.... und frage und frage und frage. Und komme auf keinen Nenner. Keine Weisheit der Welt kann mir gerade erklären, was da gerade geschieht, was Menschen umtreiben muss, die so eine Krise auslösen. Es war frustrierend und hat mich blockiert. Und ja ich weiß, wir sind alle mehr oder weniger blockiert, erschüttert und frustriert, traurig und derlei. 

Dann fand ich auf meinem Nachttisch ein Buch, das dort lange liegt. Weil ich es sehr mag und es in meiner Nähe wissen möchte. Es winkte mir zu, lachte mich ein bisschen an und lud mich auf seine Weise freundlich ein, mich daran zu erinnern, was die Autorin, Loretta Napoleoni in diesem Buch erzählt. 

Es ist das Buch: 

Die Macht der Maschen - wie stricken uns durchs Leben begleitet und miteinander verbindet. 

Um ehrlich zu sein, ich stricke viel und gerne, wer mir folgt, auf Insta beispielsweise, weiß dass. Es zieht sich seit Jahren wie ein roter Faden durch mein Leben. 

Es beruhigt mich und in unzähligen Artikeln habe ich auch über den Effekt geschrieben, den Handarbeiten wie Stricken auf die Gesundheit oder auf Patienten wie uns haben. Es ist nachgewiesen, dass Stricken wie Yoga wirkt, dass es der Kognition hilft, beruhigt und den Blutdruck senkt. (Hier gibts mehr zum Nachlesen.)

Stricken hilft mir umzudenken und neue Wege zu finden. Masche für Masche arbeite ich mich nach oben um im besten Fall ein schönes Teil zum Anziehen oder ein Accessoire zu haben, mit dem ich mich wohl fühle. Wenn ich stricke, löse ich oft Probleme, die ich beim normalen Nachdenken irgendwie überhaupt nicht knacke. Folge ich dem Muster, folge ich aber einer anderen Perspektive und das löst den Knoten in meinem Gehirn und hilft mir, die richtigen Entscheidungen zu treffen. 

Stricken fordert einen heraus, manchmal braucht es jede Menge Geduld oder man muss sich eine Niederlage eingestehen, wenn man sich verstrickt hat und auftrennen muss. Sich einem neuen Muster anzunähern heißt, sich vorzubereiten, sich einen Plan zurecht zu legen. Es bedeutet, sich einer Herausforderung zu stellen und um etwas zu kämpfen. Ich musste schon einige Herausforderungen überstehen. Habe ich auch. Und wenn ich darüber nachdenke, kann ich sagen: Immer mit einem Strickprojekt auf der Nadel. Damit ging es. Auch wenn es noch so schwierig war. 

Wer strickt, erzählt Geschichten, die weitergegeben werden. Geschichten, die von der Welt erzählen oder von der Familie in die man hineingeboren ist. Jedes Teil erzählt eine andere Sache. Da ist der Cardigan aus Mohair, den ich letztes Jahr für einen Vortrag in Helsinki strickte. Zitrönchen ist ein Wölkchen zum Anziehen, das im Sommer wenn es kühl wird perfekt ist. Ich habe auch "das verflixte ajour" in das man sich einwickeln kann. Eine graue Stola mit einem unheimlich komplizierten Muster und derzeit stricke ich grün, voller Hoffnung. In meinem Schrank ist also nicht nur viel anzuziehen, sondern auch viel Geschichte. Manchmal gestrickte Strategien in Form einer einfachen Jacke, die ich gearbeitet habe, um endlich den Faden für einen Vortrag aufnehmen zu können. 

Und genau diese Geschichten erzählt Frau Napoleoni in ihrem Buch. Stricken begleitet uns so lange, es half der Autorin aus einer persönlichen Krise, mir half es aus dem MS Diagnoseschock. Die Socken habe ich aber weggeschmissen. Ich konnte sie nicht tragen. 

Stricken hilft und nimmt auch Einfluss. Eine der sehr beeindruckenden Stellen in dem Buch handelt auch von dem, was wir jetzt erleben. Dem Krieg. In ihrem Buch erzählt Frau Loretta Napoleoni von Frauen, die Grenzen überwanden um den Soldaten ihres Landen Socken und Schals zu bringen, die sie wärmen sollten. Frauen waren immer involviert. Ihre Waffen waren anders, Stricknadeln, Spinnräder und Webrahmen. Und damit zogen sie Familien, Armeen und viele andere Menschen an. Gaben ihnen etwas Wärmendes. Eine Umarmung aus Wolle. Einen guten Gedanken, mit Liebe ins Teil gestrickt. Es wurde Vorhandenes aufgedröselt und verarbeitet, für die Männer da draußen, um ihnen Grüße zu schicken, nicht zuletzt aber, um sie warm zu halten. Es sind beeindruckende Geschichten, die weltweit so viele Menschen verbanden und verbinden. Geschichten über Veränderung, über Neusortierung, über kleine wie große Erfolge und darüber, wie uns dieser imaginäre Faden irgendwie alle verbindet. Es sind Geschichten über große und kleine, sehr stille Revolutionen, die von Frauen angezettelt und wirksam waren, die Käfige öffneten. Zeichen setzten. Und setzen. 

In Zeiten wie diesen ist das ein Gedanke, der irgendwie tröstlich ist. Auch jetzt, auf Instagram sieht man Strickerinnen, die auf ihre Art um den Frieden kämpfen. Die Farben gelb und blau sind hoch im Kurs, Es werden Botschaften in Handschuhe gestrickt, die Landesfarben der Ukraine werden in komplizierte mehrfarbige Muster eingearbeitet und die Wollfärberinnen und Färber arbeiten am Nachschub. Damit die, die mit der Stricknadel protestieren, weitermachen können. Masche für Masche in blau und gelb. Um jemandem eine kleine Freude zu machen, um Solidarität zu zeigen, um zu protestieren und für den Frieden einzustehen. Um zu helfen, Gedanken zu teilen und zu finden und so viel mehr. 

Stricken ist nicht nur ein Handwerk, eine Handarbeit. Es ist soviel mehr. Trost, Liebe, Problemlöser und gegen negative Gefühle hilft es auch ganz gut. Und manchmal hilft es auch, das, was in einem steckt wie ein oller Stöpsel der sich nicht lösen will, an die Luft zu befördern. Ich werde jetzt weiter stricken, denn ich weiß, dass das Stricken auch dieses Mal helfen wird. Aus den Erfahrungen der letzten beiden Jahre kann ich sagen, Wolle und Nadeln haben mich einige Male kurz vorm Ausflippen bewahrt. Wer nicht strickt, könnte auch Häkeln, Nähen, Sticken oder eben andere handwerkliche Dinge machen, denn nicht nur Stricken rettet irgendwie Seelenleben.

Und sonst holt Euch das Buch von Loretta Napoleoni, meiner Strickheldin, die so viele wunderbare wie weise Geschichten über das Stricken zusammen getragen hat, die von Revolution, Protest, aber auch von Liebe, Zusammenhalt und dem Beisammensein und Verbindungen erzählen, die nur ein Faden schaffen kann. (Hier könnt Ihr die ISBN Nummer finden!)

Birgit. 


Text: Birgit Bauer / Manufaktur für Antworten UG 

Bilder: Birgit Bauer, Pixabay.com 

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