Sonntag, 30. Juni 2024

Wenn du etwas nicht weißt ... von der Aufmerksamkeit gegenüber anderen und dem einen Gedanken mehr ...


Wer reist, der kann viel erzählen, so heißt es und in dem Fall kann ich sogar noch laut hier darüber nachdenken. 

Wenn ich euch erzähle, was mir letzte Woche in einem Flugzeug passiert ist, könnte man laut aufschreien, dass das ein Fall von #butyoudontlooksick ist und sich herrlich über die Ignoranz von Mitmenschen aufregen, die einen mitten in einem Flugzeug runterputzen. Menschen, die ihre Koffer nicht einchecken und das Gepäck anderer rücksichtslos durch die Gegend werfen, nur damit sie ihren weit über alle Limits gepackten "Handgepäckstücke" nicht aufgeben, sondern mitnehmen können. 

Menschen, wie dieser Schönling, der mich grob anmotzte, nur weil ich eines getan hatte: ich bin nach der Landung aufgestanden ... 

Es war so, ich bin seit Wochen nicht so fit wie sonst. Ich habe immer mal wieder Krämpfe und die Flugzeit hatte diese herauf beschworen. Also bin ich einfach mal aufgestanden, nachdem die Leuchtzeichen erloschen waren, um mein Fahrwerk zu lockern und bewegungsfähig zu werden. Denn bin ich zu langsam, kriege ich auch gerne mal eine drüber. 

Das hat den Schönling sehr erzürnt und er machte mich grob und sehr rüde an, ich solle gefälligst sitzenbleiben und anständig und wie es sich gehört aussteigen. Ich solle mich gefälligst an Regeln halten. Dass mit mir der halbe Flieger schon stand und ich mich nicht einmal vorgedrängelt hatte, sondern einfach nur dezent meine Muskeln streckte, hat den Typen nicht interessiert. Er war entrüstet und machte sich scheinbar dem gesammelten Frust der letzten Tage ordentlich Luft. 

Ich sagte ihm, er könne gerne vor mir aussteigen, er wies mich auch noch auf die junge Dame neben mir hin, die vor mir dran wäre und ich habe ihm nur gesagt, er kann doch raus und ich stehe da nur. Ehrlich gesagt, ich hätte vor dem gesamten Flieger sehr deutlich und klar sagen können, hey du Vollidiot, ich hab MS, ich steh da, weil es mir nicht gut geht und ich das jetzt brauche und ich hätte ihm auch gegen Latz knallen können, was für ein unhöflicher und rüde Zeitgenosse er ist und ob er einfach mal denken könnte. 

Ich habe das aber nicht. Ich war zu müde und mir war es schlicht zu anstrengend, mich mit so einem unintelligenten Menschen einzulassen. Meine Energie ist mir zu wertvoll, um mich mit solchen Typen einzulassen. Das hat der nicht verdient. Noch dazu einer, der rücksichtslos ohne Ende war und offensichtlich nur darauf bedacht, schnell aus dem Flieger zu kommen, weshalb er mir auch im sitzen noch einen Tritt gegen den Knöchel verpasst hat. 

Aber hier sind wir am Punkt. Klar ist es ein Fall von #butyoudontlooksick. Klar ist es diskriminierend. Aber vor allem stehen wir hier vor einem anderen Fall. Nämlich dem, dass wir immer weniger Aufmerksamkeit gegenüber aufbringen, dass wir diesen einen Gedanken, nämlich den zu erfahren, warum jetzt einer aufsteht, nicht mehr erübrigen. 

Das hat mich die ganze Woche beschäftigt. Sind alle so? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass es jede Menge Zeitgenossen gibt, die sich regelwidrig und rücksichtslos verhalten aber genau das anderen ankreiden.

Wann haben wir vergessen Mensch zu sein? Wann haben wir vergessen, dass es nicht nur uns gibt, sondern auch andere. Andere, die vielleicht unsichtbare Probleme haben, andere, die sich mit Situationen wie zu langem Sitzen in einem Flugzeug oder in beengten Räumlichkeiten schwer tun, weil sie nach einer bestimmten Zeit versteifen und jede Menge Kraft brauchen, um wieder in Schwung zu kommen. Mitmenschen, denen man mit einem Kleinstaufwand and Verständnis das Leben so erleichtern könnte, anstatt dass man sie anmacht und unhöflich bis rüde wird, nur weil man selbst das eigene Fortkommen im Sinn hat. 

In all den Jahren habe ich mir angewöhnt, hinter die Kulissen einer Person zu schauen. Manche tun Dinge, die ich auch blöd finde, aber ich weise mich immer selbst drauf hin: Der Person könnte doch etwas fehlen, vielleicht braucht sie oder er das jetzt weil es ihr oder ihm hilft gut klar zu kommen. Manchmal sieht man Dinge nicht, die passieren, manchmal hat man einfach keine Lust sich zu outen und jemandem lang und breit zu erklären, was der Sinn hinter einer Aktion ist. 

Zugegeben, ich schaffe das auch nicht immer. Manchmal überfällt mich dieser berühmte erste Eindruck und ich verpasse jemandem einen Stempel. Allerdings mache ich das im Stillen. Ich tue das nicht sofort kund und behalten meinen Frust für mich, denn für den können andere jetzt wirklich nichts. Ich beobachte weiter und stelle manchmal fest, dass ich meine Meinung revidieren muss. Am Ende bin ich auch nur ein Mensch und lasse mich manchmal fehlleiten, versuche aber wirklich, in dem ich an mir arbeite, das so zu reduzieren wie es nur geht. 

Es ist oft eine Millisekunde in der wir uns eine Meinung bilden. Und viele, wie der Typ aus dem Flieger, sind gefrustet und nutzen genau solche Gelegenheiten, anderen ihren Frust aufs Auge zu drücken. Denn, dass der Typ gefrustet war, war deutlich. Das fiel auf. Nicht nur mir. Der hat sich schon beim Einsteigen beschwert und, man glaubt es kaum, sich vorgedrängelt. Er hatte nämlich, nicht wie es sich gehört, seinen Koffer nicht eingecheckt und war besorgt, ihn unter dem Vordersitz verstauen zu müssen und das wäre natürlich eine Unmöglichkeit gewesen für den jungen Mann. 

Was auch auffällig war ist, andere Reisende blieben zwar auf meiner Seite, aber stumm. Für andere einstehen, unterstützen oder helfen ist auch so eine Sache. Den Mund aufmachen, selbst in solchen Situationen in denen man sichtbar einer anderen Meinung ist, ist für viele nicht drin. Ist es fehlender Mut oder einfach der Gedanke, schnell wegzukommen? 

Ich weiß es nicht, allerdings kann ich von mir sagen, ich sage durchaus etwas, wenn ich sehe, dass ich helfen kann, für andere einstehen und mal unterstützen ist etwas, was ich mache, auch wenn es dann zur Diskussion führt. Aber es ist wichtig, auch um die Menschen, die zu kurz und wenig aufmerksam denken, ein Stück weit einzugrenzen und ihnen mitzuteilen, dass sie mal völlig falsch liegen oder einfach die Klappe halten können, wenn sie selbst schon nicht auf Regeln achten was sie selbst betrifft. 

Fest steht aber, dass mich das Benehmen, dieses Typen verletzt hat, mir wieder einmal gezeigt hat, wie übel es einem ergehen kann, wenn man nicht sichtbar krank ist. Vielleicht hätte er anders reagiert, hätte ich eine Krücke gehabt oder so. Ich habe mich lange gefragt, was in ihm vorgegangen sein mag. Vielleicht hat er selbst vorher einen Anpfiff bekommen, eine Frau hat ihn abgewiesen? Er hat nen Job verloren und muss jetzt um sein Leben kämpfen. Es kann viel gewesen sein und ich versuchte auch noch, gemäß Herzblatts Strategie, eine Dose Verständnis aus dem Keller zu holen und zu öffnen, aber so richtig geschafft habe ich es dann nicht. Ich mein, ich kann es verstehen, viele stehen auf und müssen los, wenn man landet. Einige haben es eilig, müssen zum Termin oder zum Anschlussflug, andere müssen aufs Klo oder brauchen dringend Sauerstoff oder bekommen einen Anruf, der wirklich wichtig ist. Alles Gründe, die so sein können. Allerdings tat ich mich hart damit, einen zu finden, der auf einen solchen Angriff passte und zuließ, dass ich Verständnis hatte.

Es war unangenehm, aber ich habe mich nicht gerechtfertigt. Ich finde, das muss ich nicht. Es war unfair und unangebracht. Aber es hat auch gezeigt, wo Rücksicht und ein bisschen Einsatz von Gedanken helfen können, dass wir uns alle, damit meine ich wirklich alle, das Leben einfacher machen oder angenehmer zu gestalten. Das hat übrigens auch einen Effekt auf einen selbst. Einen positiven wohl gemerkt. Weil man damit anderen etwas Gutes tut. Mit einer kleinen Geste. 

In dem wir versuchen, nicht gesammelte Frustnummern an anderen auszulassen und in dem wir versuchen, zuerst herauszufinden, was da eigentlich ist oder ob wir vielleicht jemandem mit einem Lächeln, einer kleinen Geste oder einen Moment des Zurückhaltens das Leben vereinfachen können. Das ist wirksamer im Miteinander, als dass wir uns über etwas aufregen, das eine Kleinigkeit ist, die wir in dem Moment zum Megaelefanten hoch stilisieren. Ist übrigens auch gesünder. Von wegen Stress. 

Mal abgesehen, es gehört sich auch, dass ein Mann einer Dame den Vortritt lässt. ;-) Dass er charmant agiert und hilft, wenn es nötig ist. So wie der nette Typ aus England, der mir beim Aussteigen in London meinen Rucksack aus dem Gepäckfach geholt und mir den Vortritt gelassen hat. Einfach so. Weil er nett war und offensichtlich auch ein Mensch. Wir haben uns angelächelt und uns gefreut. Ich über die Hilfe und er über mein herzliches Danke. 


Was ich für mich mitnehme? Beobachten, nachdenken und dann Rückschlüsse ziehen hilft, das Miteinander einfacher und angenehmer für sich selbst und die anderen zu machen. So gesehen, Weitermachen Bauer. :-)

Seid mehr Mensch. Ein Lächeln, ein Stück zurücktreten und einfach mal alle Neune grade sein lassen und anderen den eigenen Frust nicht zu zuschieben hilft, denn die können nichts dafür, Frust ist ein Problem, das man selbst hat und das man selbst mit dem Weitergeben nicht los werden wird. 

Birgit 


Bilder: Pixabay.com 

Text: Birgit Bauer 

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