Montag, 12. August 2024

Hauptsach d'Luft hat gscheppert! - Der Zeit- und Energiefresser!

In Bayern heißt es halt so schön: Das was gsagt ist. Hauptsach, d' Luft hat gscheppert. 

In Deutsch könnte man sagen: Hauptsache, man hat etwas gesagt. Wie sicherlich erkennbar ist, es geht dabei weniger um überlegte Bemerkungen, es geht darum, dass man halt etwas gesagt hat. Ob das dann Sinn macht, ist nicht relevant. 

Viele Menschen sind extrem betroffen, wenn sie hören, dass ich mit MS lebe. Daraus entsteht eine Art Mitleidsdrang, der zu manchmal schon seltsamen Taten führt, oder eben Bemerkungen. Ob ich das brauche oder möchte, ist völlig überbewertet. Man muss doch was tun! Denken viele und dann entgleist die Nummer ganz geschmeidig. Weil sich das nämlich gehört. Höre ich oft, wenn ich anmerke, dass ich das jetzt gar nicht brauche. 

Ich kann das verstehen, es ist menschlich und so gesehen, schon schön, gerade in Zeiten in denen Menschlichkeit versorgen scheint, weiß ich das zu schätzen. Aber um ehrlich zu sein, macht die Dosis das Gift und "das gehört sich" ist eine fiese Nummer, denn sie wird anstrengend und frisst Energie. Meine Energie, weil dann wechselt man automatisch auf die "undankbare" Seite. Man muss ablehnen, abwehren und sehen, dass man Land gewinnt. Das kann zur Belastung werden. 

Ehrlich, wer braucht ungefragte Ratschläge, Vermittlungen zu anderen, Tipps und Links? Keiner, wir haben alle volle Leben und wenn wir etwas benötigen, können wir fragen und um Unterstützung bitten Ich kann das wirklich und dann freue ich mich auch. Ist es aber eine zeitfressende Nummer, bin ich raus. 

Höflich Abstand nehmen = oft undankbar

Viele dieser Menschen meinen, sie tun Gutes. Und erwarten natürlich Lob zurück und freundliche Annahme dessen, was sie ungefragt absondern. Man muss sich bedanken, sonst ist man gerne undankbar. Hab ich schon zu hören gekriegt. Aber ehrlich, ungefragt was auf den Latz bekommen und sich dafür bedanken? Really? 

Wißt Ihr eigentlich wie anstrengend das ist? 

Ich mein, man muss sich mal überlegen, die Welt ist voller RatSchläge. Aber was, wenn ich das mit dem Ernährungsplan schon gehört habe und gerade nicht so wirklich interessiert an der x-ten alternativen Option bin? (Der Gedanke allein lässt mich an dieser Stelle gepflegt gestresst schnauben!) 

Die nächste Steigerungsstufe ist, dass mir jemand jemand vermitteln will, der entweder superschlau in Sachen MS ist oder alternativ gerne genommen, gerade ein MS Problem hat.

Tut man das mit normal gesunden Mitmenschen kommt gerne: Was schert mich dem sein Problem, ich hab genug Probleme und keine Zeit. 

Gut, ein bisschen rüde, aber es sagt das, was es ist: ich bin auch nur ein Mensch mit limitierten Ressourcen und ich kann die Welt nicht retten und nicht allen helfen. Besonders wenn mir die beim Erstkontakt gleich mal vorsorglich ihre Lebensgeschichte servieren. Es mag jetzt auch rüde klingen, aber Leute, nur so: ich habe MS. Und ich habe auch das eine oder andere Problem zu lösen. Ich habe genauso Fatigue, manchmal Schmerzen, muss auf meine Balance achten und auf meine Pausen und manchmal habe ich Schübe und werde stigmatisiert. Alles das, was Ihr habt, hab ich teilweise auch. Und ich gebe wirklich gerne Wissen ab, aber ich kann keinem Menschen alles erklären und nicht alle auffangen. Ich bin am Ende auch nur eines: Ein Mensch mit MS. 

Abgesehen davon, fragt mal einer diejenigen, die vermittelt werden, ob es für sie ok ist? Geht ja auch umgekehrt. 

Außerdem: Ich will auch Spaß im Leben! 

Es gibt die Zeiten in denen möchte ich einfach mal nicht über MS, sondern über banale Sachen wie die neueste Liebesschnulze die ich gerade lese, Mode, Schuhe oder meine Lieblingstaschen oder auch gerne Wolle und Stricken reden. So normale Themen halt. Weil ich als Frau auch noch echt andere Interessen habe. 

Ich habe nämlich ein Leben, mit dem ich sehr zufrieden bin und ich habe sogar Hobbies. Man wills vielleicht nicht glauben, aber isso. 

Auf die Perspektive kommt es an, eine andere Betrachtungsweise ... 

Auf der anderen Seite ist es ein Aspekt, den man intensiver betrachten muss, er sagt uns auch, die Leute haben MS auf dem Radar. Das Bewusstsein und das Wissen in der Bevölkerung für die Erkrankung steigt. Allerdings müssen wir, die wir damit leben uns überlegen, wie wir dieses Wissen und die Aufmerksamkeit, in die richtigen Bahnen lenken. Es quasi sinnvoll kanalisieren, dass alle gut klar kommen und sich keine Zeit- und Energiefresser einschleichen. Ich betrachte das übrigens nicht nur als Aufgabe derer, die mit MS leben, auch Patientenorganisationen oder Krankenkassen und andere, die irgendwie mit MS zu tun haben, könnten hier deutlich hilfreich agieren und mit aufklären. 


Deshalb einige Tipps für den Umgang mit dem Drang, dass man genau jetzt etwas tun muss. 

1. Ein schlichtes "Das tut mir leid zu hören, bitte sag Bescheid, wenn ich etwas für dich tun kann!" ist völlig ausreichend. Stresst keinen, tut gut und ist nicht verpflichtend. Es ist ein kann.  

2. Sich eines Umstandes bewusst ein: der andere hat die MS. Nicht man selbst. Das heißt, man versteht vieles nicht, weil man nicht drin steckt. Das ist ok, daher: Zuhören. Erfahren. Nicht mitleiden sondern ehrlich Interesse zeigen. Nachfragen. Ihr könnt nicht in meinen Schuhen laufen. Müsst Ihr auch nicht. Daher probiert es gar nicht, das geht ohnehin schief. 

3. Vernetzungsangebote oder auch Angebote für die Vermittlung von Therapien oder anderen Ideen, sprich Start-Ups oder Unternehmen, die gerne die "Dienstleistung" von Menschen mit MS kostenfrei nutzen: Fragen bevor man vernetzt. Man will ja nicht immer alles machen oder hat Zeit dafür, ich suche mir sowas gerne aus und entscheide selbst. Kann ich! 

4. Ein Nein ist nicht verhandelbar und zu akzeptieren. 

5. Wenn kein Redebedarf besteht, da sein, aber auch in der Lage sein, eben nicht über MS zu reden oder gemeinsam zu schweigen. Hilft immer. Und kann gut tun. 

An sich wäre es einfach, kompliziert wird es immer dann, wenn Mitleid oder der Drang etwas tun zu müssen, versuchen das Kommando zu übernehmen. Das alles irgendwie umzulenken ist unheimlich anstrengend und bisweilen frustrierend und es braucht Kraft, die ich gerne anders nutzen möchte. Für mich und meine Gesundheit. Weil es so gesünder ist für mich und wenn man mir wirklich etwas Gutes tun will, dann könnte man meine Zeit und Kraft schonen. 

Leben und leben lassen! 

Wichtig ist, Menschen so leben zu lassen, wie sie es möchten, nicht ungefragt Aktionen zu initiieren, die nur mehr Aufwand für die andere Seite haben, die nicht helfen, sondern eher Unwillen erzeugen. Wer macht schon gerne Zusatzjobs, wenn er sich gerne ausruhen möchte? 

Fragen kostet nichts, etwas anbieten auch nicht. Es ungefragt zu tun schmeckt nach Bevormundung, gerne auch nach Paternalismus. Das kann auch Beziehungen im Keim ersticken. 

Menschen mit MS können entscheiden was geht und was nicht! 

Wir alle, die wir mit MS leben, sind so verschieden, aber wir haben eine Gemeinsamkeit. Wir können entscheiden, was wir annehmen, machen oder einsetzen. Wir wissen, wann wir Unterstützung benötigen und können uns entsprechend artikulieren. Wir sind keine bedauernswerten Patienten. Der Vernetzungsgrad innerhalb der Community ist hoch, genauso wie der Wissensstand. Das ist nicht zu unterschätzen, gerade weil wir mit vielen Vorurteilen, Falschannahmen oder auch Stigmatisierung leben. Täglich. Wir sind Frauen, Männer, wir haben Familien, Berufe oder Leidenschaften. Und wir haben ein Leben, das wir leben und das bitte  unabhängig, selbstbestimmt und selbstständig. 

Das braucht Verständnis und gezielt dann Unterstützung, wenn es nötig ist. Wenn wir danach fragen. Nicht wenn andere glauben, dass es nötig ist. 

Manchmal fühle ich mich ein wenig wie in dem Song "Kiosk" von Rumpelstilz aus der Schweiz, der im Jahr 1976 ein Hit war. Ja bin ich denn ein Kiosk? Kann man hier mal nachsehen: https://www.youtube.com/watch?v=QLjU9NEbf8A

Also, nicht einfach losschlagen, sondern dann agieren, wenn jemand aktiv danach fragt, aber auch akzeptieren, wenn jemand ablehnt und nicht erwarten, dass dann noch Begründungen kommen. Weil am Ende dürfen auch wir selbst entscheiden, wieviel Energie und Zeit wir in Dinge oder Dialoge stecken. 

Damit de Luft wenger scheppert .... Host mi? 

Birgit 


Bilder: Pixabay.com, Canva 

Text: Birgit Bauer 

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