Dienstag, 3. September 2024

Freundschaft - soziale Isolation


Es gibt einen Fakt, der mich nachdenklich macht. Er verfolgt mich quasi quer über meine Accounts in Social Media. 

Viele beklagen sich, dass sie keine Freunde mehr haben. Wegen der MS. 

Viele beklagen sich, weil sie nicht mehr eingeladen werden. Wegen der MS.

Viele fühlen sich sozial isoliert. Wegen der MS. 

Das macht mich nachdenklich und ich könnte mir die Sache jetzt sehr einfach machen und sagen: Dann arbeite an dir und lad doch jemand ein oder geh wohin, wo du Leute triffst. 

Aber, das wäre die Ansage von manch gesunder Person oder auch von Menschen die wenig Empathie haben. Weil: so einfach ist es nicht. Wegen der MS. 

Lebt man mit MS, lebt man anders. Das ist so. Manchmal kann man nicht so wie der Rest der Menschheit, manchmal will man nicht.

Fakt ist, man verliert Menschen wegen der MS. Nicht alle können mithalten, und man sollte auch nicht alle mitnehmen. Als ich mein Leben mit MS begann, war alles anders. Die Leute sprachen seltsam mit mir oder zeigten Boshaftigkeit. Für mich war klar, dass sich vieles verändert hat, aber gleichzeitig lief das Leben weiter.


Mit der Zeit wurde mir klar, dass ich nicht alle Menschen, die ich für Freunde hielt, bei mir behalten konnte. Manche musste ich loslassen, und manche verließen mich. Das war hart. Bei einigen war es leicht, besonders bei denen, die mit fiesen Fragen wie der nach einer Entmündigung kamen oder mir Dinge unterstellten, die für mich so nicht gingen. Andere machten es mir schwerer, aber wenn jemand mich nicht mehr als mich sehen konnte, war es an der Zeit, neue Wege zu gehen. Das hat zwar gedauert, aber es öffnete Türen für neue Menschen, die mich als das sehen, was ich bin: Birgit, mit all meinen Facetten.

Natürlich verändert man sich wegen der MS. Viele, die ich beobachtet habe, sind ins Jammertal eingezogen. Ich meine das nicht despektierlich aber es ist so: Die große Klage haben die oberste Priorität. Alles das, was gut ist, bleibt hinten an. Aber dieses ständige Klagen vertreibt Menschen, erst hören sie nicht mehr zu und dann sind sie weg. Soziale Isolation tritt ein. Man fühlt sich alleine. Es hat auch bei mir gedauert, das zu verstehen. Doch es liegt schon auch an einem selbst, daran wie man sich gibt. Man muss keine gute Laune vortäuschen, klar darf es einem schlecht gehen, das geht uns allen so. Egal ob mit MS oder nicht. Es bleibt aber die Frage: Wen will ich in meinem Leben haben? Kann ich mich ein Stück weit von der MS lösen und mehr Normalität zulassen?

Das war auch meine Frage. Anfangs musste ich viel über MS reden, sie drängte sich geradezu in den Vordergrund, aber es wurde weniger. Auf meinem Instagram-Account sieht man, dass ich mehr bin als MS, und das gefällt mir. Denn das Leben ist mehr als MS.

Um mein soziales Leben zu beleben, habe ich damals einiges geändert. Ich besprach alles mit einer Psychologin, die ich relativ früh aufsuchte. Durch sie war die MS weniger im sozialen Umfeld präsent. Ich erkannte, dass manche Menschen negativ reagieren würden, je offener ich mit meiner Erkrankung umging, und ließ diese nach und nach los. Manche beleidigten mich oder wollten mich entmündigen. Welch Unsinn! 

Je weniger ich die MS thematisierte – also über mein Wohlbefinden oder meine Symptome berichtete – desto mehr wohlmeinende Menschen zog ich an. Die Menschen sehen mich und schätzen mich, nicht wegen der MS, sondern wegen mir. Und das bedeutet nicht, dass MS kein Thema ist, aber die Erkrankung genießt eine geringere Priorität und spielt dann eine Rolle, wenn ich Pläne ändern oder etwas anders machen muss. Das sind nicht viele Beziehungen, aber sie halten seit Jahren und ich freue mich darüber. 

Meiner Aktivität in der Patient Advocacy und im Bereich Bewusstsein für Menschen mit MS hat das keinen Abbruch getan. Im Gegenteil, ich erreiche die Menschen sogar besser als vor den Veränderungen, die ich vornahm. Sie sind offener und hören mir mehr zu, vielleicht weil ich über normale Themen spreche – das war eines der Feedbacks, die ich bekam. Weil ich fast normal agiere und immer dann, wenn es wichtig wird, den Raum habe, die Wichtigkeit eines MS-relevanten Punktes zu betonen. Dann heißt es BÄHHHMMM und ich habe die Aufmerksamkeit auf meiner Seite. 

Auch so ein Nebeneffekt der neuen "Normalität" und die mag für jede und jeden einzelnen unterschiedlich sein, aber es hilft. Weil sich der Rhythmus ändert, da Leben an der einen oder anderen Stelle ein bisschen einfacher werden kann. Dass das nicht für alle geht, ist mir hier völlig klar, aber es ginge für viele, würden sie es wollen, das muss man hier auch deutlich erwähnen. 

Heute?

Habe ich Freunde, nicht viele, aber dafür die richtigen. Mit ihnen kam auch mein soziales Leben zurück und die Erkenntnis, dass ich ab und an auch ganz gut mit mir alleine sein kann. Wir helfen uns gegenseitig und sind füreinander da, auch wenn wir uns selten sehen. Ich habe Gruppen gefunden, mit denen ich meine Hobbys teile. Mein Leben mit MS ist wichtig, aber ich habe gelernt, es nicht zu zelebrieren – ein Ausdruck, den mir ein Arzt mit auf den Weg gab, mit dem ich lange zusammengearbeitet habe. Das Leben geht weiter, nicht mit der MS, aber auch nicht wegen der MS, sondern trotz der MS.

Sich neu auszurichten ist mühsam, aber man lernt viel über sich selbst und andere. Fehler passieren, aber es geht weiter. Man muss sich trauen, Veränderungen zuzulassen und das Leben zu leben.

Übrigens, die "Normalität" half auch in Sachen Beziehung. Wir leben mit MS. Das tut man ab dem Punkt, wo die Diagnose im Raum steht. Und auch unsere Lebenspartnerinnen und Lebenspartner sind davon betroffen. Auch für sie ist es schwierig, und daher tut die Normalität gut, wieder in einen Rhythmus zu kommen und gemeinsam ein fast normales Leben zu führen. Zumindest bei uns war das so, und ich genieße es.

Wie seht Ihr das? 

Birgit 


Bild von Chu Viết Đôn auf Pixabay

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