Mittwoch, 27. Mai 2015

#strongerthanMS oder: Die schwarzen Löcher ...

Liebes Fräulein Trulla,

nun hocken wir schon mehr als zehn Jahre quasi aufeinander. Unzertrennlich. Weil man dich, wenn man dich an der Backe hat, auch nicht loswird. MS ist nicht heilbar. Aber die gute Nachricht ist, man kann damit leben. Das vorab.

Und jedes Jahr ist der Welt MS Tag, der an sich immer eine gute Gelegenheit bietet, mich mit dir auseinander zu setzen. Wenn ich will. In diesem Jahr ist alles ein wenig anders. Du hast dich fies eingeschlichen, dich extrem daneben benommen. Das weiss ich nicht wirklich zu schätzen. Verstehste oder? Dummes Biest. Aber ...
Ich könnte auch jetzt sagen, dass ich nichts über dich schreiben werde. Weil du es nicht verdient hast, irgendwie erwähnt zu werden. Aber es geht nicht nur um uns. Es geht um alle.

Als du in mein Leben gekommen bist, haste mich ganz schön durcheinander geschüttelt. Uns. Das Herzblatt und mich. Eigentlich alles. Da war kein Stein mehr auf dem anderen und manchmal war ich kurz davor Amok zu laufen. Aber was hätte es gebracht? Nichts. Gut, ich war einen Moment verzweifelt, verfiel kurzzeitig in depressiven Modus. Aber du hast es nicht geschafft, mich zu kippen.

I'm stronger than MS. Ich bin stärker als die MS. 

Und das ist auch der #, der heute über den Tag benutzt wird.

#strongerthanMS

Quasi der internationale # für alle die, die mit Trullas, Trullerichen und anderen seltsamen Gestalten da draußen sitzen und die eigentlich eine ganz laute Stimme haben. Wenn sie alle gemeinsam laut werden und das geht! Ich erlebe es oft in letzter Zeit. Immer dann, wenn ich mit anderen MS Patienten aus vielen Nationen zusammen sitze und loslege. :-) Wir sind verdammt laut, wenn wir wollen! Und das ist etwas, was mich freut. Weil wir viele sind und keiner allein sein muss. Oder ist.

Lebt man mit MS, lebt man anders. Zugegeben. Man denkt anders. Ich denke beispielsweise bewusster, lebe intensiver. Genieße oft hemmungslos und dann wieder ganz leise.

Andere Wege sind oft nötig. Jetzt auch. Seit einigen Tagen denke ich über meine Mobilität nach. Du hast sie mir einfach so abgeknöpft. Also, probiert hast du es. Geschafft hast du es ja am Ende nicht. Weil ich stärker bin als du und dich und deinen perfiden Plan durchschaute.

Auch ich lerne, Fräulein Trulla. Und ich lerne eine Menge. Ich lernte eine Menge. Über mich, meine innere Stärke und die Tatsache, dass das Leben nicht stehen bleibt, sondern manchmal Umdenken verlangt. Andere Wege, quasi Umleitungen, solche Pfade, die ich vielleicht im Leben nicht beschritten hätte, wäre da nicht dieses Hindernis gewesen. :-)

Die DMSG rief folgendes Motto für dieses Jahr aus: Die MS reißt schwarze Löcher in den Alltag.

Hm. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob sie das tut.
Bild Pixabay.com 
Blickt man auf die Tatsache, dass wir mit
MS besonders auf unser Denkstübchen da oben im Kopf achten müssen, weil das Risiko des Gehirnschwundes (bäh pfui ich weiß) einfach da ist. Wir müssen auf unsere grauen Zellchen achten und aufpassen, dass sie genügend Training abbekommen. Wo sie doch quasi Lebensgrundlage sind. Ohne die kleinen Grauen da in meinem Kopf würden eine Menge Millionen Prozesse pro Sekunde nicht so einfach ablaufen, ohne dass ich darüber nachdenken müsste. Ein Grund, wieso ich mich für Gehirnschutz einsetze und für die Gesundheit des Gehirns plädiere.

Passbild von dat Trulla
Auf der anderen Seite, tut sie es in meinem Leben? Nun gut, die letzten Tage war da ein Loch. Eines, das zwischen Mobilität und Laufen können und dem ersten Erleben des Raubs der eigenen Beweglichkeit klaffte. Loch. Tief. Dunkel. Und im ersten Moment ein Schock.
Wenn du auf einmal deine Beine nicht mehr in die Hand nehmen kannst, ist das seltsam. Surreal. Die sind doch da, die zwei da unten. Und doch nicht. Mein Glück war, dass ich schnell kapierte, was du getan hast Fräulein Trulla. Und mein anderes Glück war meine freche Schnauze und meine Durchsetzungskraft, die ich nutzte, um schnellstmöglichst einen Kortisonstoß abzukriegen und dir das Handwerk zu legen.

Mittlerweile klingt der Schub ab, ich laufe wieder. Langsam, aber ich laufe und ohne diese dämlichen Gehhilfen, die mehr behindern als helfen.


Ja, MS macht manchmal Löcher. Löcher, die nicht immer von uns Betroffenen kommen. Sondern oft als Barrieren in den Köpfen der anderen stehen und keinen vernünftigen Gedanken durchlassen. Schwankt man, ist man besoffen, schlurft man, nimmt man Drogen oder wird einfach nur angegafft. So wie ich letzte Woche. Übrigens, den Typen beim Bäcker traf ich wieder. Stylish, drahtig mit Drahtesel. Er sah mich, ich erkannte ihn und meinte: Na ich geh jetzt wieder, cool oder?
Dem war klar, was ich meinte, das habe ich erkannt. :-)

Es sind oft Löcher von Informationen, die fehlen, Löcher in Sachen Bewusstsein, das für Betroffene fehlt, Löcher in Regelungen, Vorgaben und auch im Verständnis, wenn es um Entscheidungen geht, die wir treffen. Die Patienten. Für unsere Leben.

Heute ist mir nachdenklich zumute. Es läuft. Wieder. Und ich bin sehr dankbar dafür. Auch wenn ich weiß, dass meine Beine und ich noch ein wenig üben müssen, um auf ein normales Level zu kommen. Aber ich bin positiv eingestellt.

UND! NEIN! Wertestes Fräulein Trulla, DU! NICHT!

Denn: das Leben ist mir zu kostbar, als dass ich es nicht genießen würde. Ansage Ende.

Und weil wir grade bei Löchern sind. Einen Faktor, den gibt es, der vermag sie zu füllen, oder zumindest eine Brücke von einem Lochufer zum nächsten zu bauen: Mein Netzwerk.

In den letzten Tagen haben mich sehr viele tolle und liebe Nachrichten erreicht. Bilder, virtuelle Knuddel, Unterstützer. Menschen, die das Leben mit MS oft verstehen, die mitfühlen, aber nicht mitleiden und die einfach da sind. Solche, die einen zum Grinsen bringen, einem ein Freudentränchen ins Auge treiben und dafür sorgen, dass Fräulein Trulla zur Witzfigur wird.

Next Station in the Summer: Mountains! 
Danke an Alle!

Thank you to all my "MS Buddies" all over the world. You were there the last days. You sent me pics, hugs, positive thoughts and made me smile. I'm grateful to know, that you all out there!

And, don't forget: We are #strongerthanMS!

Und Trulla: Sei gewarnt. Ich werd dich nicht los. Aber du mich auch nicht. Und im Moment weiß ich nicht ganz, wer lästiger sein kann. Ich glaube, ich kenne die Antwort. Mieses Biest!


Ein ganz spezielles Dankeschön geht noch an einen Menschen, der mir wertvoller nicht sein könnte und der Trullas Pläne auch immer abkriegt. Das Herzblatt. Er trägt mich durch die Zeit, schenkt mir seine Schulter, sorgt sich und ist da. Traummann sag ich nur. Das  muss reichen. :-)

Gehts Euch gut? Was macht Ihr heute!

Liebe Grüße
Birgit









2 Kommentare:

  1. Ja, we are #strongerthanMS! Das müssen wir auch sein. Danke für Ihren schönen, nachdenklichen Beitrag. Mein Lieblingssatz war: "...eine Brücke von einem Lochufer zum nächsten zu bauen: Mein Netzwerk."
    Das ist ganz wichtig. Mit einem Freund haben ich im Zuge des jetzigen Kortisonschubs mal so durchgespielt, was für Hilfen in welcher Reihenfolge zur Verfügung stehen. Kortison, Stock, Rollator ...Halt! Das Wichtigste vergessen! Eine Hand, die zur Verfügung steht und zugreift bei Bedarf.
    Ich werde mich heute von der letzten Kortisonsitzung erholen.
    Liebe Grüße!

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  2. Gerade habe ich Deinen tollen blog entdeckt und bleibe mal hier! Und auf dem Weg der Beine zum normalen Level bin ich dabei! Drücke Dir die Daumen! Liebe Grüße! Nicole

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